Van der Bellen: Insolvenzverfahren für Euroländer

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Der grüne Wirtschaftsprofessor kritisiert im Gespräch mit der "Presse" die Pläne zur Reform des Euro-Stabilitätspakts und warnt vor einer nächsten Finanzblase durch Garantien für bankrotte Staaten wie Griechenland.

Wien. „Die Disziplinierung durch den Markt sollte nicht aufgegeben werden.“ Ungewöhnlich scharf kritisiert der langjährige Bundessprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, die derzeitigen EU-Pläne zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Sie würden weder zur Stabilität noch zum Wachstum beitragen. Im Gespräch mit der „Presse“ fordert er ein Insolvenzverfahren für marode Euroländer. „Derzeit wird dem Markt signalisiert, dass Eurostaaten nicht pleite gehen können. Dadurch entwickelt sich schon die nächste Blase“.

Van der Bellen hält den Staatshaushalt von Griechenland auf herkömmliche Art nicht mehr für sanierbar. Würde Athen entsprechend der Regeln des Stabilitätspakts die derzeitigen Staatsschulden von 125 Prozent des BIPs abbauen, so hätte es in 60 Jahren noch immer eine Staatsverschuldung von 90 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. „Griechenland wird da sowieso nie herauskommen.“ An einer „Restrukturierung“ der Staatsfinanzen führe kein Weg vorbei. Irgendwann werde das Land die Schuldner nicht mehr bedienen können, ist Van der Bellen überzeugt.

Der grüne Politiker erinnert daran, dass der neue 440 Milliarden Euro starke Rettungsfonds für marode EU-Staaten lediglich für drei Jahre eingerichtet wurde. So wie in den vergangenen Jahrzehnten für Länder wie Argentinien, Russland oder die Türkei müssten auch in der EU die Möglichkeiten des Staatskonkurses geschaffen werden. Dadurch könnte zahlungsunfähigen Länder ein Teil ihrer Schulden gestrichen werden. Der Rest der Schulden könnte durch eine Zinsvereinbarung und eine Streckung der Rückzahlung erleichtert werden. Auch Österreich sei in seiner Geschichte mehrmals bankrott gewesen.

Zinsen unnatürlich niedrig

Die Schaffung eines Insolvenzverfahrens für Euroländer hätte laut Van der Bellen auch den Effekt, dass die Zinsen für gefährdete Euroländer viel früher steigen würden. Die Teilnehmerstaaten an der Währungsunion müssten rasch Gegenmaßnahmen ergreifen und sparen. Derzeit seien die Zinsen unnatürlich niedrig. So lange der Rest Europas für angeschlagene Länder Garantien übernehme, profitierten lediglich Banken und Kreditausfallsversicherungen.

Die EU-Kommission versuche derzeit den Euro-Stabilitätspakt zu reformieren, ohne das notwendige Insolvenzverfahren einzubeziehen. „Damit ist das weiter ein Tabuthema“, kritisiert der grüne Wirtschaftsprofessor. Ein Stabilitätspakt in dieser Form sei „von Beginn an ein Holler gewesen“. Die Regel zum erlaubten Defizit von drei Prozent des BIPs pro Jahr führe dazu, dass Euroländer in Jahren mit gutem Wirtschaftswachstum völlig antizyklisch höhere Schulden machen dürfen. Das sei absurd.

Positiv bewertet Van der Bellen, dass die EU-Kommission künftig mehr Augenmerk auf die Gesamtverschuldung legen möchte. Auch Österreich hat die erlaubte Grenze von 60 Prozent des BIPs mit 70,2 Prozent bereits deutlich überschritten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.