Gipfeltreffen: EU-Vertragsänderung wird "Chefsache"

(c) AP (REMY DE LA MAUVINIERE)
  • Drucken

Beim Herbst-Gipfeltreffen stellen Deutschland und Frankreich die Weichen dafür, dass im Gegenzug für schärfere Budgetkontrollen das Verbot gegenseitiger Übernahme von Schulden in der Eurozone fällt.

BRÜSSEL. Der kommende Donnerstag wird die neu aufflammende Angst vor einem deutsch-französischen Direktorat, das im Alleingang bestimmt, wie es mit der EU weitergeht, bestärken. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy sind nämlich trotz beinahe geschlossener Ablehnung der anderen 25 Mitgliedstaaten fest entschlossen, die EU-Verträge erneut zu ändern.

Sie haben sich vergangenen Montag am Rande des französisch-deutsch-russischen Gipfeltreffens in Deauville darauf geeinigt, das sogenannte „Bail-out“-Verbot abzuschaffen, welches die gegenseitige Übernahme von Staatsschulden durch die Länder der Eurozone untersagt. Dafür soll ein geregeltes Verfahren der Staatsinsolvenz für Euroländer geschaffen werden, die zahlungsunfähig werden.

Unangenehme Lage für Faymann

Zu diesem Zweck soll der für drei Jahre befristet aufgespannte, 440 Milliarden Euro umfassende Rettungsschirm ab 2013 in eine Art dauerhaften europäischen Währungsfonds umgewandelt werden.

Für Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) bedeutet das, dass erstmals in seiner Amtszeit europäische Grundsatzfragen direkt in die Innenpolitik hineinspielen.

Vor der Nationalratswahl 2008 hatte der damalige Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) gemeinsam mit Faymann in einem offenen Brief in der „Kronen Zeitung“ versprochen, künftig jede Änderung der EU-Verträge einer Volksabstimmung zu unterwerfen. Rechtlich geboten wäre das nicht, sofern keine Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung berührt werden. Der Lissabon-Vertrag zum Beispiel wurde in Österreich allein von den Abgeordneten des National- und des Bundesrats angenommen. Es ist nicht ersichtlich, welche österreichischen Verfassungsgrundsätze durch die Schaffung eines Insolvenzrechts für Euroländer und Gründung eines permanenten Währungsfonds berührt würden.

Das bringt den Bundeskanzler in eine Zwickmühle. Nachdem er sich dem deutsch-französischen Willen zu dieser punktuellen Vertragsänderung kaum wird in den Weg stellen können, bleibt ihm nur die Wahl, in Anerkennung des Bekenntnisses in der „Kronen Zeitung“ eine Volksabstimmung zu fordern und sich damit auf europäischer Ebene unbeliebt zu machen oder auf das Referendum zu verzichten und gegenüber der österreichischen Öffentlichkeit, die der EU mehrheitlich skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, in Erklärungsnotstand zu geraten.

Ökonomen fordern Eurofonds

Der am 9. Mai nach einem fieberhaften Krisentreffen der Finanzminister gespannte Rettungsschirm, die European Financial Stability Facility (EFSF), ist ein Fonds, der gegen die hohe Bonität der Euroländer Kredit an den Finanzmärkten aufnehmen könnte, um einem zahlungsunfähigen Euroland zu helfen. Diese Unterstützung wäre mit strengen Auflagen zur Budgetsanierung verbunden, aber was mit den Altschulden des betroffenen Landes, seinen Anleihen in den Büchern der Gläubigerbanken geschehen soll, ist bisher ungeklärt.

So ein Insolvenzverfahren, das regelt, wie viel die Gläubiger vom Wert ihrer Forderungen als uneinbringlich abschreiben müssten, wäre Teil der Reform, die Berlin und Paris durch die Vertragsänderung erzielen wollen. Dabei sind sie sich der Unterstützung führender Ökonomen gewiss, die darauf hinweisen, dass es sinnlos ist, einem angeschlagenen Staat wie Griechenland aus der Patsche zu helfen, solange nicht klar ist, was mit seinen Altschulden geschieht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Beleidigte Leberwürste

Der Widerstand von Faymann und Pröll gegen die Vertragsänderung schadet Österreich.
oesterreich gegen Stimmrechtsentzug Skepsis
Europa

Österreich gegen Stimmrechtsentzug, Skepsis bei jeder Vertragsänderung

Die Ideen der deutschen Kanzlerin sind nicht im Sinne von Faymann und Pröll. Ein Stimmrechtsentzug, wie ihn Merkel für Defizitsünder vorschlägt, ist nicht denkbar und wäre auch eindeutig eine Vertragsänderung.
Kommentare

Harmoniekanzlerin war gestern

Katastrophale Umfragewerte zwangen Angela Merkel, sich neu zu erfinden.
Europa

EU-Gipfel: Berlin beharrt, die Banken sollen bluten

Deutschlands Kanzlerin Merkel fordert die Änderung der EU-Verträge. Nur so sei gesichert, dass bei künftigen Krisen zuerst die Privatinvestoren zahlen und nicht die Steuerzahler.
Frances President Nicolas Sarkozy welcomes German Chancellor Angela Merkel in Deauvilles President Nicolas Sarkozy welcomes German Chancellor Angela Merkel in Deauville
International

EU-Stabilitätspakt: Kritik an deutsch-französischer Keule

Deutschland und Frankreich wollen Staaten, die gegen Defizit- und Schuldengrenzen verstoßen, das Stimmrecht in der EU entziehen. Das stößt auf Kritik: "Der eurpäische Geist funktioniert nicht mit einem Zweitaktmotor".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.