Die EU-Kommission, internationale Konzerne, die eigenen Medien und ausländische Politiker kritisieren Ungarn. Die Empörung über die Regierung und die Rolle des Landes in Europa nimmt von Tag zu Tag zu.
Budapest/Pbo/Cd. Einen schlechteren Start in eine EU-Ratspräsidentschaft kann man sich kaum vorstellen, als ihn die Ungarn in diesen Tagen hingelegt haben. Die rechtsnationale Regierung von Viktor Orbán bekam nicht nur die Kritik von ausländischen Politikern und Konzernen serviert. Am Montag legte auch noch die EU-Kommission nach (siehe unten). Ein selbst gemachtes Dilemma, in das sich die Ungarn schon im Laufe des Wahlkampfes manövriert hatten. Orbán, der eine Zweidrittelmehrheit errungen hat, hat radikale Reformen angekündigt, die im eigenen Land zum Teil beliebt sind, die in Europa aber mit Schrecken aufgenommen wurden.
Ein besonders heißes Eisen nahm die Regierung Orbán auf, indem sie sich entschied, die Multis in Ungarn zu schröpfen. Man nennt das „Krisensteuer“; sie zielt auf ausländische Handelsketten, Energie- und Telekomkonzerne und Banken. „Es ist doch gut, wenn ein Land seine Probleme selbst löst und nicht jeden zweiten Tag um Hilfe nach Brüssel pilgert“, sagte Fidesz-Abgeordneter Gergely Gulyás unlängst vor einer österreichischen Journalistendelegation in Budapest. Die Sondersteuer sei ohnehin bis 2014 begrenzt. Und schließlich, so Zoltan Csefalvary, der ungarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, sei das allemal besser, als wenn die Ungarn ihre Defizitziele nicht erreichten – auch für internationale Konzerne.
Zeche zahlen die Konsumenten
Was zumindest dreizehn Konzerne nicht so sehen. Dass sie die EU-Kommission um Sanktionen gebeten haben, hat auch in Ungarn heftige Reaktionen ausgelöst. Der namhafte Ökonom András Inotai sprach von einem „Frontalangriff“ der Regierung Orbán auf ausländische Unternehmen. Er gab zu bedenken, dass die „Krisensteuer“ EU-Normen und Wettbewerbsregeln scharf zuwiderlaufe. Ungarische Firmen sind von der Sondersteuer so gut wie ausgenommen.
Im Endeffekt wird die „Krisensteuer“ laut Inotai aber auch den Ungarn nur schaden: durch eine Rücknahme von Investitionen, durch Massenentlassungen, durch Druck auf die ungarischen Zulieferer und durch höhere Preise, die Konsumenten zu zahlen hätten.
Auch der ehemalige ungarische EU-Kommissar und nunmehrige sozialistische Oppositionspolitiker László Kovács glaubt, dass die Ungarn die Zeche zahlen müssen. Sollte die „Krisensteuer“ nachweislich gegen die EU-Wettbewerbsregeln verstoßen, schließt der Politiker zudem ein Verfahren gegen Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof nicht aus. Was realistischerweise aber erst nach Ungarns EU-Ratspräsidentschaft aktuell werden kann.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 4. Jänner 2011)