Lebensmittel: Japan-Importe dürfen mehr strahlen

Symbolbild
Symbolbild(c) REUTERS (ALY SONG)
  • Drucken

Eine neue Verordnung der Europäischen Union lässt bis zu 20-fach höhere Radioaktivität bei Produkten aus Japan zu. Österreich hat aber gemeinsam mit Vertreter aus Frankreich und Großbritannien dagegen gestimmt.

Wien. Das sei „zynisch“ und ein „unnötiges Risiko“, kritisiert der Landwirtschaftssprecher der Grünen, Wolfgang Pirklhuber. Am 25. März hatte eine EU-Ratsarbeitsgruppe aller Mitgliedstaaten zwar strengere Kontrollen für Lebensmittelimporte aus Japan verordnet, aber auch höhere Grenzwerte für die Radioaktivität dieser Produkte zugelassen. Im Ministerium von Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) wird dies auf Anfrage der „Presse“ bestätigt. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass Österreichs Vertreter gemeinsam mit seinen Kollegen aus Frankreich und Großbritannien dagegen gestimmt habe.

Ministerium will neue Grenzwerte

Aktuelle Gefahr besteht durch die höheren Grenzwerte nicht. Lediglich 0,05Prozent der europäischen Lebensmittelimporte kommen aus Japan. Und derzeit werden wegen der Situation im Land so gut wie keine Produkte exportiert. Pirklhuber sieht dennoch keinen Anlass dafür, das Risiko für die Konsumenten unnötig zu erhöhen. Nur ein Einfuhrstopp aus allen strahlenbelasteten Gebieten wäre seiner Ansicht nach eine geeignete Maßnahme. Das Gesundheitsministerium will sich nun darauf berufen, dass die EU-Kommission die Grenzwerte regelmäßig überprüfen und wenn möglich senken wird. „Wir werden das sicher einfordern“, so ein Sprecher von Gesundheitsminister Stöger.

Der rechtliche Hintergrund der Grenzwerte für Japan-Importe ist kompliziert. Die EU-Kommission hat am Mittwoch denn auch dementiert, dass Grenzwerte neu festgelegt wurden. Denn die „Durchführungsverordnung“ vom 25.März legte keine neuen Werte fest, sondern verweist lediglich auf eine Verordnung aus dem Jahr 1987. Damals wurden nach der Tschernobyl-Katastrophe die Grenzwerte für Lebensmittel im Falle einer nuklearen Katastrophe angehoben. Statt den in der EU vorgeschriebenem Grenzwert von 370Becquerel pro Kilogramm (bei Cäsium) für Milch und Milchprodukte dürfen in diesem Fall 1000Becquerel erreicht werden. Für bestimmte Produkte wie Fischöl oder Gewürze kann sogar das Zwanzigfache dieses Grenzwerts zugelassen werden. Hier darf der Wert auf 12.500Becquerel pro Kilogramm steigen.

Japan selbst hat niedrigere Werte

Heikel ist, dass Japan für Lebensmittel seiner eigenen Konsumenten niedrigere Grenzwerte festgelegt hat. Während für die meisten Nahrungsmittel in Japan ein Höchstwert von 500 Becquerel (bei Cäsium) pro Kilogramm gilt, sind es in der EU nun 1250Becquerel. Laut einem Sprecher der EU-Kommission habe Japan bis zur Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima keine entsprechenden Grenzwerte gehabt. Die japanischen Werte seien als Notfallmaßnahme gefasst worden. Darum seien sie strenger als die europäischen.

Die Alternative zu höheren Grenzwerten wäre ein Importverbot der EU für japanische Lebensmittel gewesen. Dagegen hatte Japans Regierung zuletzt bei der WTO Stellung bezogen. Wie die Nachrichtenagentur Kyodo berichtete, warnte Japan die Handelspartner vor einer Überreaktion. Es dürfe keine Importbeschränkungen ohne wissenschaftliche Beweise geben.

Die gesundheitlichen Folgen erhöhter Strahlenbelastung von Lebensmitteln sind in der Tat nur teilweise erforscht. Fest steht beispielsweise, dass Milch mit erhöhtem Anteil von Jod-131 nach dem AKW-Unfall in Tschernobyl zu einer Schädigung von Schilddrüsen bei Kindern geführt hat. Jod-131 hat allerdings eine sehr kurze Halbwertszeit. Andere strahlende Stoffe bleiben viel länger im Körper. Auch durch sie wurde nach Tschernobyl ein erhöhtes Krebsrisiko festgestellt. Entscheidend für die Auswirkungen auf den Organismus sind nicht nur Strahlungsart und -intensität, sondern insbesondere deren biologische Wirkung im Körper. Je nach Strahlungsart können sie eine Schädigung von Zellen und Erbgut bewirken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.