Türkei-Beitritt „sprengt“ EU-Budget

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Als EU-Mitglied hätte die Türkei Anspruch auf 125 Milliarden Euro Strukturförderungen: mehr als ein Drittel des verfügbaren Geldbetrags. Die Europäische Kommission, wollte diese Zahlen nicht kommentieren.

Brüssel. Was würde es kosten, wenn die Türkei und Kroatien bereits jetzt Mitglieder der Europäischen Union wären? Diese Frage hat der deutsche Europaabgeordnete Markus Pieper (CDU) dem Beratungsunternehmen Gefra in Münster gestellt, das auf die Bewertung der Regional- und Strukturpolitik der Union spezialisiert ist. Die Antwort hat es in sich: Die Türkei hätte in der laufenden Finanzperiode der Jahre 2007 bis 2013 Anspruch auf EU-Subventionen im Ausmaß von 124,9 Milliarden Euro aus den sogenannten Strukturfonds. Kroatien dürfte 7,6 Milliarden Euro in Brüssel einfordern.

Allein ein türkischer EU-Beitritt, der derzeit in den Sternen steht, würde somit mehr als ein Drittel der im genannten Zeitraum verfügbaren Strukturfonds von 346 Milliarden Euro ausmachen. „Angesichts dieser Zahl wird sehr schnell klar, dass das die Aufnahmekapazität der EU sprengen würde“, sagte Pieper am Dienstag. Nicht einkalkuliert sind allerdings potenzielle Beitragszahlungen der neuen Mitglieder.

Die Europäische Kommission, die seit 2005 mit der Türkei verhandelt, wollte diese Zahlen nicht kommentieren. „Es ist verfrüht, über die Höhe der Förderungen zu spekulieren, welche die Türkei als Mitgliedstaat erhalten würde. Diskussionen über diese Frage sind der Schlussphase der Beitrittsverhandlungen vorbehalten“, teilte die Sprecherin von Erweiterungskommissar Štefan Füle der „Presse“ mit. Seit dem Jahr 2007 hat die Türkei laut Kommissions-Statistik rund drei Milliarden Euro für die Hilfe zum Beitritt erhalten. Heuer sind es 781,9 Millionen Euro, im Jahr 2012 werden es fast 900 Millionen Euro sein.

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Fördersystem ist ausgereizt

Diese Studie bringt eine Tatsache auf den Punkt, die weder Füle noch seine Kollegen für Regional- und Sozialpolitik, der Österreicher Johannes Hahn und der Ungar László Andor, verleugnen können: Das System von EU-Subventionen für neue Straßen, Abwasserkanäle, Arbeitsmarktprogramme und ähnliche Maßnahmen zur Verbesserung der regionalen Struktur ist für eine weitere Erweiterung der Union nicht tauglich. Die Studienautoren sind nämlich unter der Annahme zu ihrem Ergebnis gekommen, dass die Türken und Kroaten bei der Berechnung der ihnen zukommenden Förderungen so behandelt werden wie die zehn neuen EU-Staaten der Erweiterungswellen der Jahre 2004 und 2007.

Das ist politisch betrachtet logisch. Denn weder die Türkei noch Kroatien werden auf das verzichten wollen, was man ähnlich armen Ländern wie Bulgarien oder Rumänien zuerkannt hat. Doch angesichts der Nachwehen der Rezession und einer steigenden Skepsis gegenüber der Union sind die nationalen Regierungen nicht willens, das EU-Budget zu vergrößern. Eine Ausweitung der Strukturmittel um mehr als ein Drittel, nur um die Türken so zu behandeln wie die Griechen: undenkbar.

Hahns Geschenk an Frankreich

Pieper hat den Bericht des Europaparlaments über die Zukunft der EU-Kohäsionspolitik nach dem Jahr 2013 entworfen, und er kann mit einigen diesbezüglichen Ideen von Kommissar Hahn nichts anfangen. Zum Beispiel bezweifelt er, dass eigene Programme für Flussläufe (zum Beispiel Hahns Donauraum-Strategie) „einen zusätzlichen Nutzen bringen“. Auch der Idee, eine neue Förderkategorie von Regionen einzuführen, deren Wirtschaftsleistung zwischen 75 und 90 Prozent des EU-Mittels beträgt, kann Pieper nichts abgewinnen: „Allein dadurch werden in Frankreich elf Regionen förderbar, die es bisher nicht waren.“ Stimmt nicht, sagt Hahns Sprecher zur „Presse“. Frankreich bekäme kraft dieses Vorschlags acht neue förderwürdige Regionen, nicht elf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2011)

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