Der 180 Millionen Euro teure Reisezirkus

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Die meisten EU-Mandatare würden lieber nur in Brüssel arbeiten. Die Regierungen von Frankreich und Luxemburg verhindern das aus purem Eigennutz. Logische Gründe für den Reisezirkus kann niemand vorbringen.

Brüssel. Edward McMillan-Scott ist ein mutiger Mann, und das liegt vielleicht auch daran, dass er mit T.E. Lawrence verwandt ist, dem legendären „Lawrence of Arabia“. Denn die Gegner, die sich der liberale Vizepräsident des Europäischen Parlaments ausgesucht hat, sind mächtig: McMillan-Scott fordert, dass das Parlament künftig nur mehr einen Sitz hat, und zwar in Brüssel, statt zweier weiterer in Straßburg und Luxemburg. Und damit liegt er auf direktem Konfrontationskurs mit den Regierungen Frankreichs und Luxemburgs.

180 Millionen Euro kostet es Europas Steuerzahler pro Jahr, dass die derzeit 736 Abgeordneten samt Assistenten sowie hunderten Verwaltungsbeamten und Tonnen von Akten zwölfmal pro Jahr nach Straßburg pendeln. Das müssen sie, so steht es im EU-Vertrag. Und im EU-Vertrag steht auch, dass Luxemburg Sitz des Generalsekretariats ist. Dort, zwischen den trostlosen Glashochhäusern des Finanzviertels, baut das Parlament derzeit um rund 800 Millionen Euro aus. Das alte Konrad-Adenauer-Gebäude platzt angesichts der jüngsten EU-Erweiterungen aus allen Nähten.

Logische Gründe für den Reisezirkus im Dreieck Brüssel/Straßburg/Luxemburg kann niemand vorbringen. Im Gegenteil: Die Abgeordneten schätzen zwar die kulinarischen und sonstigen Annehmlichkeiten des Elsass, doch ihre Plenartagungen wollen sie dort halten, wo ihre Ausschussarbeit stattfindet: in Brüssel. 373 Mandatare sind dezidiert für eine Schließung des Standortes Straßburg, 285 dagegen. Wie reagierte Frankreich? Es klagte am 18.Mai vor dem Gerichtshof der EU gegen einen Beschluss des Parlaments, jeweils zwei Plenarsitzungen im Oktober 2012 und 2013 zusammenzuziehen und sich somit einmal pro Jahr den Reisezirkus zu ersparen. Auf welche Basis Paris klagt, ist unklar. Sie wurde nämlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit eingebracht und ist noch immer nicht im offiziellen Journal des Gerichts erfasst. „Wir fordern Frankreich auf, das zu veröffentlichen“, sagte McMillan-Scott am Dienstag.

Junckers eigennütziger Deal

Frankreich hat ein Veto in der Sitzfrage. Doch es wird oft übersehen, dass Luxemburg ein ähnlich eigensinniges Spiel betreibt. Jeder zweite Parlamentsmitarbeiter, mit Ausnahme der Assistenten, muss in Luxemburg arbeiten, mindestens 2060 Posten müssen das sein. Das hat Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker 1996 mit Klaus Hänsch, dem damaligen Parlamentspräsidenten, ausgedealt.

Immer weniger Menschen verstünden diese Arrangements, sagt der deutsche Abgeordnete Jan-Philipp Albrecht, der übrigens auch einen französischen Pass hat: „Mit wem auch immer ich rede, ich bekomme stets dieselbe Antwort: ,Ist das nicht sehr teuer?‘“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2011)

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