Brüssel vernebelt Antiterrorkosten

(c) EPA (ALI ABBAS)
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Innere Sicherheit: Die Kommission sieht sich außerstande, die finanziellen und rechtlichen Folgen der Terrorbekämpfung zu erheben. Dafür will sie nun europaweit Radikale aufspüren.

Brüssel. Die Europäische Kommission sieht sich nicht imstande, die gesamten Kosten aller Antiterrormaßnahmen zu erheben, die seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in der EU beschlossen worden sind. Auch eine systematische Erfassung der Einschränkungen der bürgerlichen Freiheitsrechte durch Vorratsdatenspeicherung, verstärkte Sicherheitskontrollen an Flughäfen und ähnliche Maßnahmen ist der Brüsseler Behörde nicht möglich. „Es ist für die Kommission sehr schwer, sich hier einen vollen Überblick zu verschaffen. Das würde 60 bis 70 vollbeschäftigte wissenschaftliche Mitarbeiter erfordern“, sagte die zuständige Innenkommissarin Cecilia Malmström am Freitag vor Journalisten.

Im Europaparlament ist man über diese Aussage sehr verärgert. „Das unterstreicht nur, was das Problem ist: Dass man nämlich all diese Maßnahmen ergreift, ohne vorher über ihre Auswirkungen nachzudenken“, sagte die niederländische Liberale Sophie in't Veld zur „Presse“.

„Das ist eine Demokratie. Punkt.“

Die Europaabgeordneten werden am kommenden Dienstag genau diese Forderung nach Transparenz über die Kosten, Folgen, Misserfolge und Lehren der europäischen Politiken gegen den Terrorismus formal an die Kommission herantragen. In einer Entschließung, die von in 't Veld verfasst wurde, fordern sie die Kommission auf, eine „umfassende Bewertung der bereits angenommenen Strategien und Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung vorzunehmen“ und bis März 2012 einen Bericht vorzulegen. „Es geht hier nicht um eine wissenschaftliche Studie, sondern darum, Information verfügbar zu machen, die existiert“, sagte in 't Veld. „Das hier ist eine Demokratie. Punkt. Die Bürger haben ein Recht darauf, das zu wissen.“

Dass 9/11 auch die Europäer dazu bewogen hat, ihre Ausgaben zur Abwendung terroristischer Anschläge stark zu erhöhen, ist unbestritten. Wie berichtet, hat eine Studie im Auftrag des Europaparlaments gezeigt, dass sich allein die Ausgaben aus dem EU-Budget für Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung in den Jahren 2001 bis 2009 versiebzehnfacht haben. 93,5 Millionen Euro flossen im Jahr 2009 aus dem EU-Haushalt unter anderem in den Ausbau von Datenbanken wie das Schengen-Informationssystem SIS oder das Visa-Informationssystem VIS.

Und diese Ausgaben werden weiter steigen. Am Freitag stellte Malmström ihr neuestes Projekt vor, das sich „Aufklärungsnetzwerk gegen Radikalisierung“ nennt und dazu dienen soll, gewaltbereite Extremisten aufzuspüren und vom Verüben von Straftaten abzubringen. Schullehrer, Religionsvertreter und Sozialarbeiter nehmen daran teil, aber auch Polizeibehörden und Vertreter der europäischen Innenministerien.

20 Mio. Euro aus dem EU-Budget

„Es gibt eine wachsende Tendenz, dass Terroranschläge von einzelnen Personen verübt werden“, sagte Malmström bei der Vorstellungen dieses Projekts. „Wir wollen schon in einem frühen Stadium Menschen identifizieren, die gewalttätige Handlungen verüben.“ Malmström nannte ausdrücklich den jüngsten Massenmord in Norwegen, den der Rechtsradikale Anders Behring Breivik verübt hatte, als Beispiel. „Wir richten aber kein Frühwarnsystem über einzelne Personen ein“, fügte sie hinzu.

20 Millionen Euro stellt die Kommission aus dem EU-Budget im Lauf von vier Jahren für dieses Netz zur Verfügung, und sie richtet in Brüssel ein ständiges Sekretariat ein. Das Netz soll den Erfahrungsaustausch erleichtern und „die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten durch die Bereitstellung geeigneter Instrumente zur Terrorismusvorbeugung in ihrer Arbeit unterstützen“, wie die Kommission mitteilt.

Die EU-Abgeordnete in 't Veld sieht dieses Projekt zur frühzeitigen Erkennung möglicher Gewalttäter kritisch: „Wir müssen zwischen radikalen Gedanken und terroristischen Handlungen unterscheiden. Die beiden sind nämlich nicht identisch.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2011)

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