Portischs Plädoyer für die EU: Griechen geht es wie uns einst

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Hugo Portisch listet in seinem neuen schmalen Buch "Was jetzt" die historischen Leistungen der Europäischen Union auf - auch für Österreich. Die Politik kritisiert Portisch: Er höre wenig von den EU-Mandataren.

Wien. „Wäre ich Herausgeber oder Chefredakteur einer Tageszeitung, würde ich in der Innenpolitik auf die Barrikaden steigen.“ Hugo Portisch ist aber nicht mehr in der Tageszeitung, daher widmet er sich in seinem neuen schmalen Buch „Was jetzt“ Europa. Oder besser: Er wendet sich gegen die Populisten, die gegen die EU Stimmung machen, und gegen die dazu passende mediale Berichterstattung.

Portisch mahnt in Österreich und vergleichbaren Ländern wie Deutschland – ein wenig verwundert – ein, sich an die großen Verdienste des gemeinsamen Projekts Europa bei der Überwindung der tiefen Gräben zweier Weltkriege zu vergegenwärtigen: In den Berichten über Milliardenhilfen für Griechenland käme dies mit keinem Wort mehr vor. Dafür schlüpft Portisch noch einmal in die Rolle des Geschichtslehrers der Nation und verweist auf eine vermeintliche historische Parallele: Österreich sei 1922 – wie Griechenland heute – vor der Pleite gestanden, erst eine Anleihe des Völkerbundes habe das Land gerettet. Allerdings sei Wien unter Kuratel gestellt worden: Ein Kommissär aus Holland hätte jede einzelne Ausgabe geprüft und jede Sparmaßnahme überwacht. Die damals ausgelösten sozialen Spannungen seien auch einer der Gründe für den Bürgerkrieg in Österreich zwölf Jahre später gewesen. Für Portisch ein kleiner Hinweis darauf, derzeit von Griechenland nicht zu viel zu verlangen. Einen zentralen Unterschied gibt es zwischen den beiden Fällen: Die Inflation hatte 1922 in Österreich bereits astronomische Ausmaße.

Portischs Plädoyer richtet sich auch an die Politik: Österreichs Volksvertreter hätten die Aufgabe, das Projekt EU zu erklären und dafür vernünftig zu werben. Aber er höre und sehe wenig von Österreichs EU-Abgeordneten, die in Brüssel sitzen, sagt der Journalist und Autor im Gespräch mit der „Presse“. Portisch übt aber auch Kritik an der EU-Kommission und der EU selbst: „Die EU-Gegner (...) können nur so negativ argumentieren, weil die EU selbst Fehler macht.“ Auch Informationsmaterial, das die Vorgänge und Entscheidungen in Brüssel erkläre, gebe es entweder nicht oder finde den Weg zu den Bürgern nicht, schreibt Portisch in dem Buch. Und: Gerade der Vertrag von Lissabon, den „Krone“, FPÖ und Kritiker hart angriffen, hätte kommuniziert werden müssen. Wäre das passiert, hätte man natürlich auch das Volk befragen können, erklärt Portisch.

Denn generell sieht der Macher der Generationen prägenden ORF-Dokumentationsreihen „ÖsterreichI“ und „Österreich II“ eine Notwendigkeit zu einer Wahlrechtsreform: Das bestehende Listenwahlrecht, durch das die Parteien bestimmen, wer wo kandidiert, sei langfristig „gefährlich“, sagt er der „Presse“. Viel besser wäre für Österreich ein echtes Personenwahlrecht, durch das Abgeordnete ihrem Wahlkreis verantwortlich seien – und nicht nur ihrer Partei.

Auf einen Blick

Hugo Portisch hat „Was jetzt“ als Plädoyer für Europa bei ecowin verfasst. Seine Kernthese: Man dürfe die enorme Friedensleistung der Union nie vergessen. [APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2011)

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