Polens EU-Vorsitz: Starker Anfang, schwaches Ende

(c) AP (Virginia Mayo)
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Die polnische Regierung hat Europa wieder ein bisschen Selbstvertrauen eingeflößt. Inhaltlich war die Ratspräsidentschaft aber eine Enttäuschung. Der Spielraum der Vorsitzländer wird freilich immer kleiner.

Brüssel. Die sechs Monate des polnischen EU-Ratsvorsitzes endeten kurz vor Weihnachten mit einem grellen Misston. Im düsteren Brüsseler Ratsgebäude konnten sich Europas Umweltminister nicht auf messbare Ziele für den Schutz natürlicher Ressourcen einigen. Die Vorschläge der EU-Kommission, Europas Bauern und Forstwirten im Gegenzug für milliardenschwere Subventionen konkrete Vorgaben beim Erhalt und der Wiederherstellung der Artenvielfalt zu machen, strichen die Minister überhaupt ganz.Stinksauer verließ Umweltkommissar Janez Potočnik das Treffen. „Die Kommission kann die Löschung aller konkreten Ziele nur bedauern“, ließ er schriftlich mitteilen. Der abschließenden Pressekonferenz blieb er fern.

Ein ernüchterndes Ende der „Prezydencja Rady Unii Europejskiej“, die ein halbes Jahr zuvor im Straßburger Plenarsaal des Europaparlaments mit einem fulminanten Auftakt begonnen hat. In einer mitreißenden Rede hatte Ministerpräsident Donald Tusk einen Appell an die Europäer gerichtet, Stolz und Zuversicht aus ihrer Identität zu schöpfen. „Wir glauben nicht so recht daran, dass Europa der beste Ort der Welt ist“, sagte Tusk, „aber alle außerhalb Europas glauben das. Es ist besser, hier in Europa.“

Bekenntnis zur deutschen Vorreiterrolle

Die Zuversicht der Polen, das tatkräftige Anpacken dieses in seiner langen Geschichte so hart geschundenen Volkes hatte die Europäer kurzzeitig elektrisiert – vor allem jene im Westen. Anerkennend stellte man fest, dass die polnische Volkswirtschaft als einzige in Europa weiter wächst. Dazu kam eine Regierung, aus denen Männer wie Außenminister Radosław Sikorski oder Finanzminister Jan Vincent-Rostowski hervorstachen. Sikorskis Berliner Rede vom 28. November, in der er bekannte, ein untätiges Deutschland mache ihm mehr Angst als eines, das Europa führen wolle, ist in die Annalen der deutsch-polnischen Beziehungen eingegangen.

Doch die Mühen der politischen Ebene holten Polens Sterne bald vom Himmel. Auch abseits der Umweltpolitik musste es bittere Misserfolge hinnehmen. Das gemeinsame EU-Patent etwa, dessen fixfertiger Beschluss eine der Prioritäten für die am 31. Dezember endende Vorsitzperiode war, hängt weiter in der Luft. Denn Deutschland, Frankreich und Großbritannien zanken sich darum, wo der neue Patentgerichtshof sitzen soll. Die Regulierung von derivativen Finanzprodukten und die Neufassung der Sicherung von Spareinlagen bei Banken scheiterte ebenfalls, diesmal allerdings am Bestemm der Briten unter Mithilfe Deutschlands. Das einheitliche EU-Kaufrecht, ein Prestigeprojekt von Kommissionsvizepräsidentin Viviane Reding und vorrangiges Unterfangen der Polen, wird von einer überwältigenden Mehrheit der Regierungen sowie von Verbraucher- und Unternehmerverbänden abgelehnt.

Schon im Juli lief ein vertieftes gemeinsames Vorgehen in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik auf Grund, als die Briten den Plan der EU-Verteidigungsminister zur Schaffung eines gemeinsamen militärischen Hauptquartiers für EU-Operationen per Veto versenkten. Kein Glück war den Polen auch in der Verbesserung der Beziehungen zu seinen ebenso historisch wie aktuell wichtigen Nachbarn Weißrussland und Ukraine beschert.

Nicht an all diesen Misserfolgen trug freilich Polens Regierung die Hauptschuld. Die britische Totalblockade in allen Fragen der Finanzmarktregulierung hätte wohl niemand durchbrechen können. Die Beziehungen der EU zu Kiew und Minsk sind seit Langem verfahren, vor allem darum, weil es der Führungsmacht Frankreich an jeglichem Interesse und Gespür für Osteuropa fehlt. Und dass das Nicht-Euroland Polen in allen Fragen der Euro-Rettung bei den wichtigsten Verhandlungen des Halbjahres draußen blieb, war eine unglückliche Fügung.

Der polnische Vorsitz ist darüber hinaus auch ein Opfer des Lissabon-Vertrags geworden. Die Außenministerräte führt seit Inkrafttreten des neuen Vertrags Catherine Ashton, die Hohe Vertreterin der EU. Die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs werden von Herman Van Rompuy geleitet, dem ständigen Ratspräsidenten. Viel politischer Spielraum für eigene Schwerpunkte einer Präsidentschaft bleibt da nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2011)

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