Weltbank: Europa muss mehr arbeiten

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Die Europäer arbeiten, um zu leben – und arbeiten dabei zu wenig, um ihren sozialen Wohlstand zu sichern, warnt die Weltbank. In Europa arbeitet man deutlich weniger als in den USA oder in Japan.

Wien. Frau B. ist ein Bild von einer Frau: Mit 55 Jahren sieht sie aus, als hätte sie gerade einmal die Mitte ihrer 40er erreicht. Sie ist jener Typ Großmutter, der mit den Enkeln noch im Garten Fangen spielt: sportlich, aktiv, gut gelaunt. An ihrem Arbeitsplatz in einer mittelgroßen Steuerberatungskanzlei war sie mit ihrer langjährigen Erfahrung die rechte Hand des Chefs. Nach 40 Jahren ging sie in Pension. Dank Hacklerregelung ohne Abschläge.

Herr W. ist erst 30 Jahre alt, kann aber schon über drei Jahre Arbeitslosigkeit vorweisen. Weil er zunächst keinen fixen Job bekam, begann der HAK-Absolvent zur Überbrückung erst einmal ein Studium, um es bald wieder abzubrechen. Dann lebte er vom AMS, bis er endlich Arbeit fand.

Die beiden gibt es tatsächlich. Und ähnliche Beispiele zuhauf. Und Fälle wie diese werden langsam, aber sicher zum Problem für Europa, warnt die Weltbank in einer aktuellen Studie. Das Modell des europäischen Arbeitsmarktes biete beispiellose Sicherheiten für Menschen, die Arbeit haben, großzügige Leistungen für jene, die keine haben, und mache es den Menschen ziemlich einfach, in Pension zu gehen. Dazu kommen umfassende Urlaubsansprüche und geringe Wochenarbeitszeiten. Unter dem Strich arbeitet man in Europa also deutlich weniger als in den USA oder in Japan. Mit dem Resultat, dass die Produktivität der Arbeit (erwirtschaftete Leistung pro Stunde) seit Mitte der 1990er in den führenden Volkswirtschaften Europas im Vergleich zu jener in den USA und Japan gesunken ist.

„Work-Life-Balance“ als Marke

Die Autoren zeigen das am Beispiel Frankreich: Im Jahr 2000 wurde die Wochenarbeitszeit von 39 auf 35 Stunden gesenkt. Das Argument dahinter: Wenn es nur eine gewisse Zahl an verfügbaren Arbeitsstunden gebe, sei es besser, sie auf mehrere Arbeitskräfte aufzuteilen. So könnten Arbeitsplätze geschaffen, die Arbeitslosigkeit reduziert werden. Studien bescheinigten den französischen Arbeitern zudem eine überdurchschnittliche Produktivität. Warum also, so der Tenor, sie nicht dafür belohnen – mit vollem Lohnausgleich für weniger Arbeit?

Doch die Rechnung ging nicht auf. Die Arbeitslosigkeit sank nicht merklich – dafür der Output: Zwischen 1990 und 2000 stieg dieser im Produktionssektor sowohl in Frankreich als auch in den USA noch um je vier Prozent im Jahr. Zwischen 2000 und 2007 kletterte der jährliche Anstieg in den USA auf sechs Prozent – und fiel in Frankreich auf 3,3 Prozent.

Nun mag Frankreich ein Extremfall sein – doch es ist nicht das einzige EU-Land, das bald unter seiner Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik leiden könnte. Das – durchaus lobenswerte – Markenzeichen Europas sei, so die Weltbank, die „Work-Life-Balance“ – der Ausgleich zwischen Lebens- und Arbeitszeit. Während die Amerikaner lebten, um zu arbeiten, sei es in Europa umgekehrt: „Die Amerikaner kaufen mit ihrem Wohlstand mehr Güter und Dienstleistungen, die Europäer mehr Freizeit.“

Modell anpassen, nicht aufgeben

Nun sei die Skepsis berechtigt, ob die in den USA üblichen zwei Wochen Jahresurlaub nicht über Stress letztlich auch zu weniger Output führten. Aber man müsse auch fragen, ob Europa nach seinem Goldenen Zeitalter zwischen 1950 und 1973 nicht ins entgegengesetzte, aber genauso fragwürdige Extrem abgedriftet sei. Umso mehr, als Europa ein demografisches Problem habe: Während die europäische Erwerbsbevölkerung bis 2050 um über ein Fünftel schrumpfe, wachse sie in den USA um ein Viertel.

Das europäische Modell der „Lifestyle-Supermacht“ – eine auf starken Firmen basierende Wirtschaft in Kombination mit der höchsten Lebensqualität – sei dennoch einzigartig. Es müsse daher angepasst, nicht aufgegeben werden, argumentiert die Weltbank. Die Europäer hätten die Wahl: entweder produktiver arbeiten, um ihr soziales Modell zu erhalten – oder einen wesentlichen Teil davon aufgeben.

Grafik: Die Presse

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2012)

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