Ausweisung von EU-Straftätern erlaubt

(c) EPA (Nicolas Bouvy)
  • Drucken

Der Gerichtshof der EU in Luxemburg dürfte demnächst straffälligen Unionsbürgern das Recht auf freie Niederlassung in den anderen Mitgliedsländern deutlich einschränken.

Brüssel/Luxemburg. Wann darf ein EU-Staat Bürger eines anderen EU-Staates ausweisen? Im Sommer 2010 sorgte diese Frage für schwere Verstimmungen zwischen Frankreich, Rumänien und der Europäischen Kommission. Damals begann der französische Innenminister, tausende Roma rumänischer Staatsbürgerschaft in ihre Heimat abzuschieben; als Begründung gab Paris an, die Roma könnten keinen Nachweis darüber bringen, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Politisch war das heikel, rechtlich aber durch eine Richtlinie aus dem Jahr 2004 gedeckt.

Der Fall des Kinderschänders I.

Eine andere Frage ist ungeklärt: Dürfen Unionsbürger, die in einem anderen Unionsstaat straffällig wurden, von dort abgeschoben werden – selbst wenn sie schon seit Jahrzehnten dort leben? Nun liegt diese brisante Frage beim Gerichtshof der EU in Luxemburg (EuGH). Wie es aussieht, wird dieser es bald deutlich erleichtern, kriminelle EU-Bürger in ihre ursprüngliche EU-Heimat auszuweisen.

Der Anlassfall in der Rechtssache C-348/09 („P. I. gegen Oberbürgermeisterin der Stadt Remscheid“) ist ebenso traurig wie schnell erzählt: Mit 21 Jahren kam der gebürtige Sizilianer I. nach Deutschland. Dort erhielt der Schulabbrecher und Hilfsarbeiter seit dem Jahr 1987 regelmäßig Aufenthaltserlaubnis. Er ging eine Beziehung ein und begann 1990, die damals achtjährige Tochter seiner Lebensgefährtin sexuell zu missbrauchen; von 1992 an fast wöchentlich und unter der Androhung, sollte sie etwas verraten, würde er ihre Mutter oder ihren Bruder töten. Im Oktober 2006 wurde I. vom Landgericht Köln rechtskräftig verurteilt, er sitzt voraussichtlich bis 9. Juli 2013 im Gefängnis.

Kann die Stadt Remscheid so einen Mann abschieben? Ja, befand am Dienstag Yves Bot, einer der Generalanwälte am Luxemburger EU-Gericht. Wer nur deshalb jahrelang zum Aufenthalt in einem EU-Staat berechtigt ist, weil er mit einer schweren Straftat seine frühere Ausweisung verhindert hat, kann sich nicht auf Artikel 28 der besagten Richtlinie aus dem Jahr 2004 berufen, den I. ins Treffen führt: Unionsbürger, die mindestens zehn Jahre im Land sind, darf man nicht ausweisen, es sei denn, „zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit“ lägen vor.

Generalanwalt Bot hält fest, dass Kindesmissbrauch „abstoßend“ sei. Da I. aber kein Serientäter sei, stelle er keine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit Deutschlands dar. Sehr wohl aber störe I. die öffentliche Ordnung, indem er seinen Gefängniswärtern keine Reue zeige. Zudem wäre er vor Ablauf der Zehn-Jahres-Frist erwischt und ausgewiesen worden, hätte er das Kind nicht genötigt. Diese rechtliche Empfehlung Bots ist für den EuGH nicht bindend. Doch in einem ähnlichen Fall folgte er seinen Argumenten: Am 23. November 2010 befand der EuGH im Fall „Tsakouridis“, dass ein in Deutschland geborener Grieche wegen bandenmäßigen Drogenhandels aus Deutschland ausgewiesen werden darf.

Kein Freibrief zum Abschieben

Einen Freibrief zum Abschieben befürwortet Bot allerdings nicht – im Gegenteil: Der gemeinsame Raum der Freizügigkeit, den die Richtlinie konkretisiert, könne „nicht auf der Grundlage errichtet werden, dass jeder Delinquent, der eine harte Strafe bekommt, allein deshalb in sein Heimatland zurückgeschickt wird.“

Auf einen Blick

Wer als EU-Bürger zehn Jahre in einem anderen EU-Land zum Aufenthalt berechtigt ist, kann nur abgeschoben werden, wenn er die öffentliche Sicherheit gefährdet.

Ein verurteilter Kinderschänder pocht beim EuGH auf den Schutz dieser Bestimmung. Der Italiener lebte jahrzehntelang in Deutschland. Das Gericht wird ihm aber vermutlich nicht recht geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.