Aufstand gegen die Sparpolitik

(c) REUTERS (HAMAD I MOHAMMED)
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Europas Sanierung wird durch politische Krisen konterkariert. Eine Regierung nach der anderen zerbricht, der Euro-Fiskalpakt wackelt. Die US-Regierung warnt die EU immer öfter davor, sich zu Tode zu sparen.

Wien. „Die Krise hat jetzt einen zusätzlichen Brandsatz“, sagt der Direktor des Brüssel-Büros der Bertelsmann Stiftung, Thomas Fischer, im Gespräch mit der „Presse“. Zweieinhalb Jahre nach Ausbruch der Schuldenkrise zerbricht eine europäische Regierung nach der anderen. Die Umsetzung von Sparmaßnahmen wird durch instabile politische Verhältnisse wie derzeit in den Niederlanden, in Frankreich, in Griechenland oder Slowenien konterkariert.

Der Fiskalpakt, mit dem sich die Euroländer eine Konsolidierung ihrer Staatshaushalte verordnet haben, wackelt. Neben Sozialdemokraten wie etwa in Frankreich oder Slowenien, neben Rechtspopulisten wie in Griechenland, den Niederlanden oder Österreich machen auch Arbeitnehmervertretungen gegen die verpflichtende Schuldenbremse und eine strengere Haushaltsüberwachung durch die EU mobil. In Frankreich fordert der Favorit für das Präsidentenamt, François Hollande, eine Neuverhandlung des Pakts, in Irland machen die Gewerkschaften mit einer Nein-Kampagne für das Fiskalpakt-Referendum am 31. Mai mobil. Und selbst in Deutschland will die SPD die Zustimmung im Bundestag mit Forderungen nach zusätzlichen Wachstumsinitiativen verknüpfen. In den Niederlanden hat der Rechtspopulist Geert Wilders wegen der Sparpläne die Unterstützung der Minderheitsregierung von Mark Rutte aufgekündigt.

„Die einseitig auf Kürzen ohne das Investieren, Besteuern und Ausgleichen von wirtschaftlichen Ungleichgewichten ausgelegte Eurokrisenpolitik steht vor einem Scherbenhaufen“, fasst der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold die Situation zusammen. Sieben Euroregierungen sind bereits über die Krise gestürzt, Frankreich könnte der achte Fall werden.

„Sparen verschärft die Krise“

Die von Deutschland vorangetriebene Sparpolitik wurde auch im französischen Wahlkampf als krisenverschärfend angeprangert. Und tatsächlich wird sich dieses Jahr allen optimistischen Prognosen zum Trotz die Rezession in den Krisenländern fortsetzen – in Griechenland beispielsweise mit einem Minus von fünf Prozent des BIPs.

„Es ist aber nicht nur die Sparpolitik, die eine politische Krise ausgelöst hat“, relativiert Bertelsmann-Experte Fischer. Es seien auch das Thema Zuwanderung und die Enttäuschungen über falsch geweckte Hoffnungen und Fehler in der Vergangenheit. Fischer warnt deshalb auch davor, nun mit angeblichen Wachstumsprogrammen erneut solche Hoffnungen zu wecken. „Keiner hat dafür bisher glaubhafte Konzepte vorgelegt.“ Die Finanzierung der Programme sei nicht vorhanden. Die EU hat in ihrem Haushalt nur minimale Mittel übrig, die meisten Mitgliedstaaten können sich Deficit Spending nicht mehr leisten. Stellen sich solche Ankündigungen als Illusion heraus, so Fischer, könnte dies zu einer weiteren Radikalisierung der Politik führen. Links- und rechtsextreme Parteien würden weiteren Zulauf erleben.

Die Situation ist mittlerweile völlig verfahren. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, einer der prominentesten Verfechter der Austeritätspolitik, warnt davor, den Forderungen nach einer Lockerung des Sparkurses nachzugeben. Für solche „Abenteuer“ gebe es selbst in Ländern wie Deutschland „keinen Raum“. Freilich leidet selbst die deutsche Wirtschaft längst unter dem Spardruck in Europa. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sind die Aufträge für die deutsche Industrie aus den EU-Ländern merklich zurückgegangen.

Die US-Regierung warnt die EU immer öfter davor, sich zu Tode zu sparen. Doch ihre Wünsche nach neuen Wachstumsimpulsen auf Pump basierten laut Fischer auf falschen Vorstellungen des europäischen Systems. Während die USA „too big to fail“ seien und weitere Schulden aufnehmen könnten, gelte das für Europas Einzelstaaten mit Ausnahme Deutschlands nicht.

Gestürzte Regierungen

Irlands wirtschaftsliberale Regierung unter Brian Cowen stürzte 2011 über die Banken- und Immobilienkrise im Land.

Portugals sozialistische Regierung unter José Sokrates wurde angesichts der schweren Wirtschaftskrise 2011 abgewählt.

Italiens Langzeitpremier Silvio Berlusconi stürzte nicht nur über Sexskandale, sondern auch über den zunehmenden Druck der Finanzmärkte auf das hoch verschuldete Land.

Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou musste 2011 seinen Sessel räumen. Zuvor hatte er eine Volksabstimmung über die Sparpolitik angekündigt, die nie abgehalten wurde.

Spaniens Sozialisten unter José Luis Zapatero verloren 2011 die Wahlen, nachdem sich die Wirtschaftskrise im Land verschärft hatte.

Slowakeis christlich-liberale Premierministerin Iveta Radičová wurde die Umsetzung des Euro-Rettungsschirms zum Verhängnis.

Sloweniens Regierung stürzte 2012, weil sie die wachsenden Schulden nicht eindämmen konnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2012)

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