Swoboda warnt vor einer antieuropäischen linken Wende

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Der sozialdemokratische Fraktionschef im Europaparlament wünscht sich eine griechische Regierung mit Beteiligung von Alexis Tsipras.

Die Presse: Seit dem Sieg von François Hollande in Frankreich ist ein Richtungsstreit in Europa zwischen klassischer Sparpolitik und keynesianischer Stimulationspolitik entstanden. Will sich die europäische Sozialdemokratie, für die Sie Fraktionschef im Europaparlament sind, vom Sparkurs verabschieden?

Hannes Swoboda: Nein. Die Sozialdemokratie nimmt zur Kenntnis und hat das verinnerlicht, dass Sparen im Sinne einer langfristigen Budgetpolitik absolut notwendig ist. Weil es ja darum geht, dass man nur Schulden machen kann, die man dann wieder vernünftig abbaut. Da führt kein Weg vorbei. Wir kämpfen nur für die zweite Säule, für die Wachstumssäule.

Und wie soll die finanziert werden?

Zum Ersten geht es um die Aufstockung der Mittel der Europäischen Investitionsbank. Zweitens geht es um die Projektbonds, also kapitalmarktfinanzierte Projekte. Drittens vertrete ich so wie Mario Monti die goldene Regel, in dem Sinne, dass bestimmte wachstumsfördernde und sinnvolle Investitionen im öffentlichen Sektor aus der Defizitberechnung herausgenommen werden sollten. Es gibt viele Gemeinden, die gern in Projekte investieren würden, die Arbeitsplätze schaffen, dies aber nicht können, weil sie sofort die Schuldengrenze übersteigen. Es geht aber auch um eine Finanzierung von Wachstum über die Finanztransaktionssteuer und über die Rückführung von Steuerflucht. Wenn ich all diese Möglichkeiten zusammennehme, gibt es ausreichend Geld für Wachstum.

Sie haben in Wien mit Gregor Gysi über die linke Wende diskutiert. Gibt es diese Wende tatsächlich?

Es gibt eine linke Wende, das ist mit Frankreich und einigen anderen Wahlsiegen gekommen. Aber diese Wende ist fragil. Wir sind erst am Beginn einer Wende. Schon aus demokratiepolitischen Gründen ist das positiv, weil jetzt wieder eine Balance aus konservativen und linken Kräften entsteht. Was für mich wichtig ist, dass links nicht nur wirtschafts- und sozialpolitisch zu verstehen ist, sondern auch im Einbeziehen von Ideen, die von jenen kommen, die bisher mit der Politik nicht verbunden waren. Ich denke da zum Beispiel an die Debatte über Acta (Internetfreiheit und Urheberrechte, Anm.). Da sehe ich auch eine Chance für die europäische Linke, weil die nationalen Parteien mittlerweile sehr verkrustet sind. Die europäische Linke muss mehr sein als die nationalen Linken zusammen.

Kann es sein, dass diese linke Wende eher radikale Parteien stärkt? Das sind ja Parteien, die gar nicht so europäisch eingestellt sind.

Das ist die Gefahr. Wir sehen das momentan in Griechenland, in den Niederlanden. Ich versuche mit meinen Kontakten Gruppen, die links, aber nicht antieuropäisch sind, in die europäische Zusammenarbeit einzubinden. Wir müssen auf europäischer Ebene breiter aufgestellt sein. Linke, die sich gegen Europa wenden, haben aber in meiner Fraktion nichts verloren. Wir wollen den Weg zu einem progressiven, alternativen Europa ermöglichen. Mir geht es dabei um eine Linke, die von Linkskatholiken bis zu Linkssozialisten reicht.

Sie waren selbst in Griechenland. Was wird geschehen, wenn in Athen eine Regierung unter der linksradikalen Syriza an die Macht kommt, die nicht zum vereinbarten Reformprogramm steht?

Zu dem Programm nicht zu stehen, halte ich auch für richtig. Es ist ein schlechtes Programm. Es ist simpel, von Leuten gemacht, die keine Ahnung von Wirtschaft, geschweige denn der Gesellschaft und ihrem Selbstbewusstsein haben. Ich finde es einen Skandal, dass EU-Kommissionspräsident Barroso kein einziges Mal in Griechenland war. Er und Ratspräsident Van Rompuy, sie hätten nach Athen fliegen müssen und politisch verhandeln. Wenn eine neue Regierung all die Maßnahmen ablehnt, die von EU und IWF empfohlen wurden, dann ist das natürlich inakzeptabel. Wenn es aber darum geht, bestimmte Maßnahmen zu entschärfen und bei anderen Maßnahmen sogar mehr Reformeifer an den Tag zu legen, dann halte ich das für sinnvoll.

Sollte Griechenland nach den Wahlen am Sonntag keine stabile Regierung zustande bekommen, wird der Druck in den EU-Partnerstaaten allerdings steigen, die Hilfe einzustellen.

Wir dürfen nicht einfach zuschauen, wie die Dinge schiefgehen, so wie in der Vergangenheit. Man muss mit Alexis Tsipras und seiner Partei, der Syriza, reden. Diese Partei gehört in die Regierung. Aber man muss ihr klar sagen, dass es nicht darum gehen kann, rein parteipolitisch zu agieren. Sie müssen für das Land etwas machen. Wenn intensiv mit diesen Menschen gesprochen wird, ist die Chance da, dass das Land eine Regierung bekommt, die Verantwortung übernimmt. Die letzte Wahl war eine Wahl gegen die politische Klasse. Die muss sich tatsächlich ändern. Daher wäre es wichtig, eine Partei in der Regierung zu haben, die auf dieser Änderung beharrt.

Angela Merkel wünscht sich mehr Europa, eine Fiskalunion. François Hollande wünscht sich Wachstumsimpulse, gemeinsame Eurobonds. Stehen wir vor einer substanziellen Erweiterung der Kompetenzen der EU?

Ich bin mir da noch nicht sicher. Seit 2009 wurde immer wieder gezögert, europäische Lösungen für die Krise zu entwickeln. Das wird sich nicht plötzlich ändern. Es ist auch eine Frage, was mehr Europa heißt. Für viele bedeutet das mehr Zusammenarbeit der Regierungen unter Führung von Berlin. Aber das ist nicht das, was ich unter Europa verstehe. Deshalb müssten alle – das Europaparlament, die EU-Kommission, aber auch die kleinen Länder – darauf drängen, dass mehr innerhalb der gemeinsamen Institutionen entschieden wird.

Zur Person

Hannes Swoboda ist seit 17. Jänner Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im Europaparlament. Er war Spitzenkandidat der SPÖ bei den vergangenen Europawahlen. Der ehemalige Wiener Lokalpolitiker ist seit 1996 EU-Abgeordneter.

Obwohl im EU-Parlament kein Klubzwang herrscht, gibt der Fraktionschef in den meisten Abstimmungen die Linie vor. Sie wird zuvor in der Fraktion unter seiner Leitung ausgehandelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2012)

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