Botschafter: "Türken werden nach EU-Beitritt heimkehren"

Interview. Der türkische Botschafter in Österreich, Selim Yenel, zu den Versäumnissen in der Integrationspolitik auf türkischer sowie auf österreichischer Seite und zur wachsenden EU-Skepsis in seinem Land.

Die Presse: Die jüngste Eurobarometer-Umfrage zeigt, dass die meisten Österreicher eine neue Erweiterung der Europäischen Union ablehnen. Das betrifft wohl vor allem die Türkei. Selim Yenel: Die Österreicher haben noch nicht die Vorteile der letzten Erweiterung realisiert. Die Wirtschaftsdaten zeigen zwar, dass ihr Land am meisten von den Beitritten profitiert hat, aber das muss den Bürgern noch besser erklärt werden. Vielleicht müssten die Menschen auch einmal etwas Konkretes von diesen Vorteilen spüren, vielleicht auch in ihren Geldbörsen. Sicher hat die Erweiterungsskepsis in Österreich auch mit der Türkei zu tun. Viele Politiker in diesem Land setzen die Türkei in einen negativen Zusammenhang. Die Menschen fürchten sich vor einem Türkei-Beitritt. Dafür gibt es kulturelle und religiöse Gründe. Und vor allem fürchten sie, dass durch einen Beitritt tausende Türken nach Österreich kommen.

Aber hängen diese Ängste nicht auch mit der mangelnden Integration der bereits eingewanderten Türken zusammen?
Yenel: Ich denke schon. Es gibt hier keine Integrationspolitik. Leider gibt es auch auf türkischer Seite Probleme. Es gibt zwar Türken, die sich gut integriert haben, aber es gibt auch solche, die sich einer Integration verweigern. Die Österreicher fürchten, dass immer mehr solche Personen nach einem Beitritt in ihr Land kommen. Aber das wird nicht passieren. Wenn die Türkei einmal ein ähnliches Level wie die EU erreicht hat, gibt es keinen Grund mehr auszuwandern. Ganz im Gegenteil: Es wird eine Rückwanderung in die Türkei einsetzen. Ich habe in Österreich mit vielen Türken geredet, die gerne zurückkehren würden.

Welche Seite ist für die Versäumnisse hauptverantwortlich? Sind es die Österreicher oder die eingewanderten Türken? Yenel: Beide Seiten sind dafür verantwortlich. Beide Seiten haben Fehler gemacht. In Österreich haben wohl viele geglaubt, dass die Gastarbeiter nur kurzfristig bleiben und bald wieder gehen. Aber das ist nicht geschehen. Und weil man von einer falschen Voraussetzung ausgegangen ist, wurden diese Menschen nicht integriert. Man hat die Augen vor diesem Problem verschlossen.

Von türkischer Seite müssen wir den Menschen klar machen, dass Einwanderer, die etwa die österreichische Staatsbürgerschaft übernommen haben, auch als aktive Staatsbürger handeln müssen. Sie müssen die Sprache so gut wie nur möglich lernen, sie sollten sich politisch engagieren.

Die neuen Meinungsumfragen haben auch gezeigt, dass in der Türkei eine Mehrheit mittlerweile EU-skeptisch eingestellt ist. Wie kam es dazu?
Yenel: Der Grund ist einfach: Die Bevölkerung verfolgt die Entwicklung in der EU nun genauer. Und sie hört auch jene Stimmen, die gegen einen Beitritt ihres Landes sind. Das verstehen die Menschen nicht, weil die Türkei alle Kriterien erfüllt hat. Tatsächlich wird ja ein großer Unterschied zu den letzten zehn Beitritten gemacht. Damals wurde von Seiten der Regierungen der Europäischen Union klar gestellt, dass man diese Mitglieder will und dass man alles dafür unternehmen werde, diese Länder darauf gut vorzubereiten. Im Fall der Türkei wird hingegen signalisiert, dass man dieses Land eigentlich nicht will. Man will sich nur nicht über die eigenen Versprechungen in der Vergangenheit hinwegsetzen.

Wenn Sie nun behaupten, dass es kein Herzensanliegen der EU ist, die Türkei aufzunehmen und gleichzeitig auch die Türken das selbst nicht mehr wollen: Warum wird dann nicht nach Alternativen gesucht?
Yenel: Das kann natürlich passieren. Etwa dann, wenn es bis zum Ende dieses Jahres keine Einigung über die Zypern-Frage gibt. Unsere Regierung wird natürlich versuchen, den Weg in die EU fortzusetzen. Wir glauben daran, dass die Europäische Union eine Erfolgsstory ist. Und wir wollen ein Teil davon sein. Aber wenn es weiterhin so unlogische Konfrontationen gibt, werden wir sehen, was geschieht.

Derzeit wird über eine Öffnung der türkischen Häfen für zypriotische Schiffe gestritten. Ist es dieser Konflikt wert, die Beitrittsverhandlungen aufs Spiel zu setzen?
Yenel: So weit sollte es nicht kommen. Wir werden alles versuchen, das zu lösen. Die Zypern-Frage müsste eigentlich getrennt von den Beitrittsverhandlungen beraten werden. Leider versucht aber die zypriotische Regierung alles, um unsere Verhandlungen als Geisel für ihre Interessen zu nehmen. Wir wollen unsere Häfen nicht öffnen, solange der Norden Zyperns weiterhin isoliert wird. Wir wollen, dass die EU den Druck auf die griechische Seite erhöht, zurück auf den Verhandlungstisch zu kommen.

Selim Yenel ist seit Jänner türkischer Botschafter in Wien. Der studierte Politikwissenschaftler wurde 1956 in Istanbul geboren. Seit 1979 arbeitet er für das Türkische Außenministerium. Ab 1994 war Yenel Mitglied der Ständigen Vertretung der Türkei bei der EU, seit 1999 war er im Außenministerium in der Abteilung für EU-Angelegenheiten tätig.

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