Stadler: "Graf soll bleiben, wo er ist - und zeigen, wer er ist"

Ewald Stadler zu Gast bei DiePresse.com
Ewald Stadler zu Gast bei DiePresse.comPhilipp Splechtna
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Warum Graf nicht zum Märtyrer werden darf, Grenzkontrollen wieder eingeführt werden sollen und warum die FPÖ schwächelt: Ewald Stadler, BZÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahlen im Interview mit DiePresse.com.

DiePresse.com: Eine österreichische Tageszeitung beschrieb sie im Jahr 2008 als "nicht aus dem Holz, aus dem Teamspieler geschnitzt sind", als "politischen Egomanen mit Hang zum Sektierertum". Sind das die richtigen Voraussetzungen, um EU-Parlamentarier zu werden?

Stadler: Abgesehen davon, dass das wahrscheinlich wirklich nicht die richtigen Voraussetzungen wären, ist das eine völlig falsche Beschreibung. Ich bin sehr wohl teamfähig, aber ich bin nicht jemand, der sich in zentralen Fragen der politischen Weltanschauung verbiegen und verdrehen lässt. Daher hat man mir damals unterstellt, ich sei nicht teamfähig, aber meine gesamte Biographie beweist das Gegenteil.


DiePresse.com: Sie sagen, die nächsten fünf Jahre werden für die EU entscheidend. Wieso? Was erwarten Sie sich von den kommenden fünf Jahren?

Stadler: Die EU muss in den nächsten Jahren entweder eine RIchtungskorrektur durchführen, oder sie wird sich selber in die Sackgasse steuern. Mit der Politik, wo eine Funktionärselite versucht, einen Staat von oben nach unten zu verordnen, scheitert sie überall, wo man die Bevölkerung demokratisch befragt. Es gibt in der gesamten Geschichte kein staatliches oder quasistaatliches Gebilde, das einfach nur durch Strukturen verordnet werden konnte, ohne dass die Bevölkerung oder die Völker mitgemacht haben. Das heisst, die EU muss jetzt entweder die Völker einbinden und dann die EU von unten, als supranationale Organisation mit unterschiedlicher Verdichtung der Zusammenarbeit konstruieren oder sie wird scheitern. Die derzeitige Politik ist jedenfalls zum Scheitern verurteilt.

DiePresse.com: Ohne Fraktionszugehörigkeit ist man im EU-Parlament relativ machtlos. Wollen Sie auch zu einer Fraktion, und wenn ja, zu welcher?

Stadler: Natürlich möchte ich in eine Fraktion eingebunden sein, weil das tatsächlich von der Geschäftsordnung her eine andere Basis der Arbeitsmöglichkeiten bildet. Aber ich möchte mir die Fraktionsbildung bewusst offen lassen. Erstens, weil ich immer ein Gegner der Ausgrenzungspolitik war, werde ich selbst keine Ausgrenzung betreiben. Und ich möchte mir zweitens jeden einzelnen Abgeordneten und jede einzelne politische Gruppierung, mit der ich zusammenarbeiten könnte, genauer anschauen. Klar ist aber, dass es einen gemeinsamen Nenner gibt, nämlich keine Radikalismen und eine kritische Haltung zum Lissabon-Vertrag.

DiePresse.com: Mölzer hat gestern erklärt, er stehe in Verhandlungen mit der "Union für ein Europa der Nationen", und dass sie auch in Verhandlungen mit der Fraktion stehen. Den Mitgliedsparteien dieser Fraktion, zB der Lega Nord oder dem Vlaams Belang, kann man einen gewissen Radikalismus nicht absprechen. Stimmt das, dass Sie auch mit denen verhandeln?

Stadler: Das wäre mir völlig neu. Ich wüsste nicht, woher der Herr Mölzer die Information hat, dass ich mit irgendjemandem in Verhandlung bin. Ich bin mit niemandem in konkreten Verhandlungen und habe immer gesagt, dass ich zunächst einmal wissen möchte, wer überhaupt hineinkommt. Wenn er schon Verhandlungen führt, ist das seine Sache, aber er soll es mir nicht unterstellen. Hübsch der Reihe nach: Zuerst wird gewählt, dann schaue ich mir die Abgeordneten und politischen Gruppierungen an, und dann werde ich und nicht Herr Mölzer entscheiden, mit wem ich zusammenarbeite.

DiePresse.com: Causa Graf: Abgesehen von ihrer gewachsenen Feindschaft mit der FPÖ - hat Graf mit seinen Aussagen recht?

Stadler: Nein. Das ist auch ein inhaltlicher Vorwurf, der ihm nicht zu ersparen ist. Man kann nun zum Herrn Muzicant stehen, wie man will. Aber ihn in einen Zusammenhang mit dem Linksterrorismus zu bringen, hat auch kein inhaltliches Substrat. Gerade die Nummer vier unserer protokollarischen Staatshierarchie sollte sich vor dem Hintergrund der geschichtlichen Verantwortung dreimal überlegen, ob seine Vorwürfe sachlichen Gehalt haben oder nicht. Das BZÖ als Partei rechts der Mitte macht allen Wählern der FPÖ, die es sich nicht verdient haben, ins rechtsextreme Eck gestellt, das Angebot gemeinsam mit uns ohne Extremismus und Provokation klare Positionen zu vertreten, beispielsweise bei einer strengen Ausländerpolitik oder gegen den EU-Beitritt der Türkei, für die Einführung von Grenzkontrollen und gegen den EU-Vertrag.

DiePresse.com: Um die FPÖ nicht in die Märtyrerposition zu zwingen, wollen Sie, dass Graf Dritter Nationalratspräsident bleibt.

Stadler: Das habe ich nicht gesagt. Ich will ihn nur nicht abservieren. Denn das ist genau das, wo man jetzt das Spielchen der FPÖ spielen würde. Er soll ruhig weiter provozieren, und dann wird der Wähler das Urteil darüber sprechen. Ihm zuliebe eine Anlassgesetzgebung zu machen, damit er dann als Märtyrer durch Österreich reisen kann und damit bei den Wählern den falschen Eindruck erweckt, dass er zu Unrecht abgewählt wurde und dass seinetwegen die Verfassung geändert wurde, den Gefallen werde ich ihm sicher nicht tun. Er soll bleiben wo er ist, und soll zeigen, wer er ist, und was er ist. Und dann hat der Wähler das Wort. Ich halte das auch pädagogisch für besser, als der FPÖ dauernd zu gestatten, in die Märtyrerrolle schlüpfen zu können.

DiePresse.com: Sie gelten als sehr gläubig. Was sagen sie dazu, dass nun Heinz-Christian Strache christliche Symbole zu Wahlkampfzwecken einsetzt?

Stadler: Tiefer geht's gar nicht mehr. Ich habe mich wirklich persönlich darüber geärgert, weil das Kreuz für einen Katholiken heilig ist. So etwas macht man nicht. Es gibt Grenzen des politischen Anstandes, die man nicht überschreiten darf, und das gehört dazu. Zweitens hängt für mich an meinem Kreuz als Katholik immer noch der Korpus des Erlösers selbst. Am Kreuz des Herrn Strache hängt offensichtlich eher ein Haken, wenn nicht sogar vier. Das ist der Unterschied. Ich habe dann - mit noch größerem Entsetzen - gehört, dass er dann auf einmal gesagt hat, er hätte das Kreuz gar nicht als "theologisches" Symbol - was sowieso ein Blödsinn ist - betrachtet, sondern als kulturelle Klammer. Das ist die nächste Verhöhnung: Christus ist nicht an einer kulturellen Klammer gestorben, sondern am Holz - was die Menschheit erlöst hat von der Urschuld und der Sünde. Genau das begreift der Herr Strache nicht und missbraucht daher heilige Symbole unserer Religion - das ist schäbig.

DiePresse.com: In ihrem Wahlprogramm fordern Sie: "Wir entscheiden selbst, wer zu uns kommen darf und nicht Brüssel!". Wer darf denn kommen?

Stadler: Zunächst einmal jeder, der nach Österreich eingeladen ist und den Österreich wirklich braucht, und zweitens jeder, der bei uns wirklich substantiell Hilfe sucht. Nicht kommen kann, wer unser Hilfsangebot nur dazu missbraucht, sich eine Zuwanderung zu organisieren - der muss damit rechnen, dass er das Land auch wieder verlassen muss.

DiePresse.com: Sie treten für ein energieunabhängiges Europa ein. Bitte um Details - in welcher Form kann dies in ihren Augen funktionieren?

Stadler: Energieunabhängig wird überhaupt kein einzelnes Land mehr sein. Wir müssen dafür sorgen, dass eine Energiebevorratung stattfindet, insbesondere was Gas anlangt. Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass möglichst viele Energieträger im Rahmen einer Diversifikation vorhanden sind - ich denke an den Ausbau von Wasserkraft, Windenergie und auch an Energiesparmaßnahmen. Wir haben auch Mitgliedsländer, die große eigene Energieproduktionen haben. Das sind alles Möglichkeiten, wo eine auf europäischer Ebene organisierte Energiepolitik auf den ENergiebedarf abstimmen muss. Da spielt die Versorgungsgarantie - etwa aus Russland - eine zentrale Rolle. Daher muss auch die EU auch darauf ausgerichtet sein, in Russland nicht einen Gegner, sondern einen Partner zu sehen und das Land nicht im unmittelbaren EInflussbereich in unnötiger Weise herauszufordern. Auch das ist Energiepolitik.

DiePresse.com: Also keine Energiewende im Sinne vom Ausstieg aus Gas und Öl.

Stadler: Ganz im Gegenteil: Solarenergie, Wind- und Wasserkraft hat sogar noch ein riesiges Ausbaupotential, die Eigenproduktion der Energie kann damit vergrößert werden. Aber deshalb werden wir kurzfristig vom Gas nicht völlig unabhängig sein. Daher müssen wir mit einer Gasbevorratungpolitik dafür sorgen, dass wir in einer Winterzeit nicht erpressbar sind. Da muss man eine Balance finden. Man kann nicht das eine tun und das andere unterlassen, sondern man muss mehreres gleichzeitig tun, um größte Versorgungssicherheit gewährleisten zu können. Das kann tatsächlich die EU besser als der Einzelstaat.

DiePresse.com: Sie sagen, Grüne und FPÖ teilen sich ein Wählerpotential. In ihrer Umwelt- und Anti-Atompolitik sind sie den Grünen selbst nahe. Warum nehmen Sie sich - zumindest durch diese Aussagen - aus diesem Wählerpotential aus?

Stadler: Den ersten Teil der Frage muss ich präzisieren: Ich glaube, dass die FPÖ Teil des sozialistischen Wählerpotentials ist. Ich habe immer sehr plakativ gesagt, die Grünen sind eine internationale sozialistische Partei, die Blauen sind mittlerweile eine nationale sozialistische Partei und dazwischen ist die SPÖ als banale sozialistische Partei. Das ist so in etwa das sozialistische Wählerpotential, aber die Bewegungen finden weniger zwischen Grün und Blau, sondern jeweils mit Rot statt. Selbstverständlich haben wir vom BZÖ auch Aussagen, wo wir grüne Wähler ansprechen können. Unsere energie- und auch landwirtschaftspolitischen Aussagen sind auch für bürgerliche Grünwähler durchaus akzeptabel. Wir haben auch mit Grün-Gruppierungen durchaus enge Kooperationen.

DiePresse.com: Sie wollen die Wiedereinführung von Grenzkontrollen, vor allem an der Ostgrenze Östereichs. Wollen sie an der EU-Außengrenze nach Osten einen "Eisernen Vorhang" aufziehen?

Stadler: Nein, das ist eine überzogene Darstellung. Grenzkontrollen einzuführen hat mit einem Eisernen Vorhang nichts zu tun. Ich bin unmittelbarst an einer Grenze aufgewachsen - zwischen Vorarlberg und der Schweiz. Das war eine kontrollierte Grenze, und wir sind jedes Mal, selbst als wir mit dem Fahrrad unterwegs waren, kontrolliert worden - und deshalb war es trotzdem kein Eiserner Vorhang. Es macht durchaus Sinn, zur Kriminalitätsbekämpfung Grenzkontrollen einzuführen. Der Kriminalitätstourismus soll zumindest erschwert werden.

DiePresse.com: In unserem Wordrap bezeichnen Sie "Die Passion Christi" als "Film für Europa". Wieso? Der Film ist als äußerst brutal und antisemitisch bezeichnet worden.

Stadler: Das mag sein, dass jene, die den Film nicht verstehen, es so sehen. Der Film bringt das größte Geschehen der Menschheitsgeschichte, das Erlösungswerk Gottes, sehr bildhaft und meiner Ansicht nach sehr realistisch auf die Leinwand.

DiePresse.com: Aber was hat das mit Europa zu tun?

Stadler: Mit Europa hat es insoweit zu tun, als Europa im metaphorischen Sinne auf drei Hügeln gebaut ist: Auf dem Hügel der Akropolis für den europäischen Humanismus, auf dem Hügel des Kapitols für die europäische Staatstheorie und auf dem Hügel von Golgatha - oder Monte Cassino, wenn man topographisch darauf hinweisen will, dass Golgatha nicht in Europa liegt -, was die religiöse Tradition des Christentums anlangt. Daher habe ich diesen Film auch empfohlen. Er bringt sowohl das Römische Reich, nämlich methaphorisch das Kapitol, wie auch die menschliche Seite, metaphorisch die Akropolis und dann die Erlösungsseite durch Golgatha sehr sehr anschaulich auf die Leinwand.

DiePresse.com: Mit welchem Ergebnis rechnen sie realistisch am 7. Juni?

Stadler: Ich bin mir sicher, dass wir den Einzug schaffen werden. Ich glaube, dass vielleicht sogar eine Überraschung drin ist. Ich bin mir nicht sicher, ob die Sozialdemokraten tatsächlich so abschneiden werden wie das vorausgesagt wird. Die ÖVP zerfleischt sich derzeit in einem internen Grabenkampf. Ich weiß nicht, was das für Auswirkungen haben wird, aber der Vorsprung der ÖVP gegenüber der SPÖ dürfte nicht so groß sein, wie das die Meinungsforscher derzeit vermuten. Außerdem glaube ich, dass es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen FPÖ und HPM kommen könnte, auch wenn Blau gerade eher schwächelt.

DiePresse.com: Blau schwächelt? Prognosen besagen 16 Prozent!

Stadler: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Debatten, die jetzt von blauer Seite durch gezielte Provokation in einem organisierten politischen Wahnsinn in der Öffentlichkeit stattfinden, spurlos an den Wählern vorbeigeht.

(nk)

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