Franz Fischler: Strache höhlt die Demokratie aus

(c) FABRY Clemens
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Der ehemalige EU-Agrarkommissar beklagt den stillosen antieuropäischen EU-Wahlkampf und den Niveauverlust der Innenpolitik. Er analysiert die Ursachen der Europa-Skepsis und warnt vor Heinz-Christian Strache.

Können Sie nachvollziehen, dass viele Bürger nach diesem Wahlkampf keine Lust haben, am Sonntag zur EU-Wahl zu gehen?

Franz Fischler: Das kann ich sehr gut nachvollziehen (lacht). Ich appelliere deshalb, von einem Lusterlebnis Abstand zu nehmen und aus anderen Gründen wählen zu gehen. Wer teilnimmt, legt ein grundsätzliches Bekenntnis zur europäischen Idee ab.

Warum soll ich zu einer Wahl gehen, wenn es um ein Parlament geht, in dem zweitklassige Politiker sitzen und das nach dem EU-Rat und der EU-Kommission nur eine drittklassige Quelle der Macht ist.

Das stimmt eben nicht mehr. Es hat bis zu einem gewissen Grad für die Vergangenheit gegolten. Aber dieses nächste Parlament wird voraussichtlich nach den Regeln des Lissabonner Vertrages tagen und mehr Rechte haben als bisher. Das Parlament ist in vielen Bereichen die entscheidende Instanz, von der es abhängt, ob Gesetze gemacht werden und wie sie aussehen.

Welche Gefühle beschleichen Sie, wenn Sie den EU-Wahlkampf Revue passieren lassen?

Ich gehöre zu jenen, die diesen Wahlkampf heftig kritisieren. Denn es entsteht hier das Gefühl, dass Europa für die Parteien in Österreich nicht wichtig ist. Für den Stil kann man sich beim Wähler nur entschuldigen. Ich möchte aber auch eine Warnung nachschieben: Das, was die Straches und andere aus dem selbst ernannten Österreich-Lager gemacht haben, kommt einer Aushöhlung der Demokratie gleich. Das ist gefährlich. Man sollte es nicht kleinreden.

Was an FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache halten Sie für gefährlich?

Ihm ist jedes Mittel recht. Was er macht, geht über Populismus hinaus. Das rührt an den Grundfesten des Staates. Wenn man für billige politische Zwecke religiöse Gefühle missbraucht, sind wir in eine Zeit zurückversetzt, die wir überwunden glaubten. Die Bürger mögen die Parolen als überzogen erkennen. Doch hier muss man den Anfängen wehren.

Die FPÖ hat Plakate affichiert, die antiislamische und antiisraelische Empfindungen wecken. Ist so etwas auch in anderen europäischen Ländern möglich?

Mittlerweile ist Österreich kein Einzelfall. Deshalb denkt auch niemand mehr daran, mit dem Finger auf Österreich zu zeigen. Solche Plakate kann ich mir genauso in Dänemark, Holland und anderen Ländern vorstellen.

Sie kannten Jörg Haider. Wie sehen Sie denn Strache im Vergleich zu ihm?

Haider war um Häuser intelligenter als der Herr Strache. Er hat gewisse Grenzen des Anstands eingehalten. Diesen Eindruck habe ich von Strache nicht.

Der Dritte FPÖ-Nationalratspräsident Graf hat den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, als Ziehvater des Linksterrorismus bezeichnet. Sollte Graf zurücktreten?

Absolut. Graf ist als Nationalratspräsident untragbar. Es war ein Fehler, ihn zu wählen. Jetzt gibt es keine Exit-Strategie, weil man nicht weiß, wie man den Herren loswerden kann.

Schließen Sie in Ihre Kritik am Europa-Wahlkampf auch die ÖVP ein?

Ja, auch in meiner eigenen Partei sind Europathemen zu kurz gekommen. Außer von Othmar Karas hat man da wenig Europäisches gehört. Schon gar nicht ein Konzept, was die ÖVP eigentlich in Europa möchte.

Wem geben Sie Ihre Vorzugsstimme?

Das entscheide ich in der Wahlzelle.

Wie erklären Sie, dass ein Land, das wie kaum ein anderes von seiner EU-Mitgliedschaft und der Erweiterung profitiert hat, dermaßen europafeindlich ist?

Da gibt es mehrere Gründe. Erstens hat Österreich die Rolle, die es in Europa einnehmen will, nie so richtig definiert. Zweitens haben wir auch innerösterreichisch nie die Konsequenzen aus dem Beitritt gezogen. Die Bundesstaatsreform zum Beispiel steht immer noch aus. Drittens ist in der österreichischen Politik, auch bei den meisten Medien, Europa kein Top-Thema. Viertens gehört Österreich zu jenen Ländern, in denen Europa gerne als Sündenbock benutzt wird. Und fünftens lösten im Jahr 2000 die unseligen EU-Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung den Niedergang in der Zustimmung aus. Seither hat sich die Europastimmung nie so richtig erholt.

Hat es auch mit einer gewissen Charakterschwäche österreichischer Politiker zu tun, die EU als Sündenbock vorzuschieben?

Es hat sich als ungeheuer praktisch erwiesen, eigenes Versagen und eigene Untätigkeit auf die EU zu schieben.


Sie sagten, Österreich sollte seine Rolle in Europa definieren. Hätten Sie Vorschläge?

Österreich hat eine besondere mentale Verfassung. Ein Teil träumt immer noch von einer Art Großmacht Österreich. Das drückt sich in der Fantasie aus, dass jetzt die Stunde Österreichs gekommen sei, weil die Länder der ehemaligen Monarchie Mitglieder in der EU sind. Andererseits haben wir die Tendenz, uns kleinzumachen und daran zu zweifeln, dass Österreich etwas erreichen kann in Europa. Doch da ist Luxemburg das beste Gegenbeispiel. Österreich gehört zu den reichsten Staaten in Europa, wir beteiligen uns überproportional an der Forschung und haben mehr Erfahrung im Umgang mit den neuen Mitgliedstaaten als andere. Österreich hätte die besten Voraussetzungen, ein Top-Land innerhalb der EU zu sein.

Sie waren lange Zeit EU-Kommissar, gelten als Mister Europe. Machen Sie sich manchmal Vorwürfe, dass Sie Europa nicht ausreichend erklärt oder populär gemacht haben?

Ich habe das Mögliche getan. Aber im Alleingang schafft das niemand. Da braucht es ein Konzert. Es ist ein großes Missverständnis zu glauben, alles sei nur eine Frage der Information. Es ist eine Frage des Dialogs. Man muss Foren schaffen, wo der Bürger sich zu Wort melden kann und dann auch Antworten bekommt.

Aber versucht man nicht genau das schon seit unzähligen Jahren?

Nein. Erst jetzt hat sich Außenminister Spindelegger darauf besonnen, wieder hinauszugehen und den Leuten zuzuhören. Das muss viel systematischer betrieben werden, unter Mitwirkung aller Regierungsmitglieder, der Abgeordneten, auch der Länder. Auch die Landeshauptleute sollten endlich aufhören nur zu fragen, was sie von Europa kriegen und welches Projekt finanziert wird, obwohl sie dann in Österreich ein solches Projekt oft nicht einmal kennzeichnen. Auch sie sollten sich hinstellen und erklären, was Europa für seine Bürger tut.

Unternehmen haben sehr stark von der EU-Erweiterung profitiert. Sind Unternehmer im öffentlichen Europadiskurs zu zurückhaltend?

Es ist eine generelle Tendenz in Österreich, dass der, der Vorteile aus einer Sache zieht, sich vornehm zurückhält und schweigt. Laut wird nur, wer ein Problem hat.

Sie haben die Europaskepsis beklagt. Wo sehen Sie denn die Defizite der EU?

Die gesamte Kommunikationspolitik, die die EU betreibt, ist alles andere als gut. Will sich Europa in der Welt nicht äußern, muss man fast fragen. Ein zweites großes Defizit ist, dass die Kompetenzen der EU in sozialen Fragen zu schlecht ausgestattet sind. Hier müsste es eine stärkere europäische Normensetzung geben. Ich teile die Meinung von Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, dass man ein europaweites Mindesteinkommen bräuchte. Drittens muss mehr Klarheit herrschen, was europäische Aufgaben sind und was national bewältigt werden kann. Europa hat viel zu sehr die Finger drinnen, wo es sie besser weglassen sollte, und viel zu wenig die Finger in Dingen drinnen, die nur Europa lösen kann – Stichwort: Finanzarchitektur und Klimawandel. Solche Projekte brauchen Zeit. Was in Europa nicht funktioniert, ist diese Kurzzeit-Politstrategie nach dem Prinzip: Was bis zum nächsten Wahlkampf kein Ergebnis bringt, lasse ich lieber gleich von vornherein. Dann kann Europa genau jene Aufgaben, für die es eigentlich da ist, gar nicht angehen. Alle großen Projekte, wie die Schaffung des Binnenmarktes und des Euro, haben ungefähr 15 Jahre gebraucht.

Wird die Politik zu kurzatmig?

Die Politik ist schon längst kurzatmiger geworden, weniger zielorientiert und mehr stimmungsorientiert.

Wie bewerten Sie das derzeitige politische Personal in Österreich?

In Sachen Europa ist die ganze Innenpolitik auf einem sehr niedrigen Stand.

Hat der antieuropäische Populismus mittlerweile auch die Großparteien erfasst?

Die Parolen gegen die EU wirken offenbar infektiös. Den Assistenzeinsatz des Bundesheeres an der Grenze unmittelbar vor der Wahl zur Kriminalitätsbekämpfung zu verlängern, ist purer Populismus. Das ist ein Placebo und bringt keine Lösung des Problems.


Werden hier die Österreicher für dümmer verkauft, als sie sind?

Ich gehe davon aus, dass die Österreicher nicht dumm sind. Dumm ist vielmehr die Politik, die hier gemacht wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2009)

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