Ob die Anklage erfolgreich ist, hängt aber von der Definition des Wortes "Amtsgeschäft" ab.
Wien. Die Anklage gegen den früheren Innenminister und Ex-ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, Ernst Strasser, liegt vor: Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat die Anklageschrift in der Lobbyistenaffäre an das Wiener Landesgericht für Strafsachen übermittelt. Der Vorwurf lautet auf Bestechlichkeit. Strasser droht nun eine Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren.
Der Hintergrund: Im Jahr 2010 soll er als EU-Parlamentarier zwei vermeintlichen Lobbyisten – in Wahrheit britische Enthüllungsjournalisten der „Sunday Times“ – Einfluss auf die Gesetzgebung in der EU gegen 100.000 Euro Beraterhonorar im Jahr versprochen haben. Danach soll Strasser im Sinne seiner vermeintlichen Auftraggeber einen Änderungswunsch zu einem Gesetzesentwurf bei seinem ÖVP-Kollegen Othmar Karas deponiert haben. Karas stieg darauf aber nicht ein.
Intervenieren noch straffrei?
Doch so moralisch verwerflich Strassers Verhalten auch gewesen sein mag: Juristisch betrachtet ist seine Verurteilung nicht so sicher. Denn Strasser kann nur verurteilt werden, wenn er sich für die „pflichtwidrige Vornahme oder Unterlassung eines Amtsgeschäfts“ bestechen ließ (§ 304 des Strafgesetzbuchs). Strittig ist aber, ob Strasser tatsächlich ein „Amtsgeschäft“ getätigt hat oder tätigen wollte. „Wenn er nur versprochen hat zu intervenieren, ist das wohl noch kein Amtsgeschäft“, analysiert Andreas Venier, Professor für Strafrecht an der Universität Innsbruck. Ein Amtsgeschäft dürfte erst vorliegen, wenn Strasser selbst oder gemeinsam mit anderen einen (parlamentarischen) Antrag stellen wollte, meint Venier im Gespräch mit der „Presse“. Jedoch: Dafür fehlt bisher der Beweis.
Die Ankläger verteidigen ihre Ansicht. „Amtsgeschäft eines Europaabgeordneten ist alles, was im Zusammenhang mit der Gesetzwerdung geschieht“, sagt Erich Mayer, Sprecher der Korruptionsstaatsanwaltschaft. Indem Strasser den vermeintlichen Lobbyisten versprochen habe, die Gesetzwerdung zu beeinflussen, sei der Tatbestand bereits erfüllt. Was nach diesem Versprechen geschah – also ob nun bloß interveniert wurde, ob Gesetzesanträge gestellt wurden oder gar nichts passiert ist –, sei nicht mehr relevant. Diese Rechtsmeinung habe man sich auch vom Justizministerium bestätigen lassen, betont die Staatsanwaltschaft.
Auch Strassers Anwalt Thomas Kralik knüpft bei seiner Verteidigung am „Amtsgeschäft“ an, das er deutlich anzweifelt. Kralik betont außerdem, dass er und Strasser „die Vorwürfe nach wie vor bestreiten“. Der Ex-EU-Parlamentarier hat bereits mehrfach erklärt, er habe sich nur zum Schein auf die Treffen mit den vermeintlichen Lobbyisten eingelassen, um ihre wahren Pläne oder Hintermänner aufzudecken. Sie seien ihm gleich verdächtig vorgekommen.
Auch EU-Behörde ermittelt
Auf Hochtouren laufen inzwischen die Ermittlungen der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF: Sie untersucht den Fall Strassers bereits seit März 2011. Details wurden bisher nicht veröffentlicht, man stehe aber vor dem Abschluss, heißt es. Bei den EU-Parlamentariern Zoran Thaler (Slowenien) und Adrian Severin (Rumänien), die wie Strasser Kontakt mit den britischen Journalisten hatten, schloss OLAF bereits die Untersuchungen ab. OLAF empfahl in beiden Fällen, dass die nationalen Justizbehörden weiterermitteln.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2012)