»Besser, der Schwarm irrt als Experten«

Besser Schwarm irrt Experten
Besser Schwarm irrt ExpertenKopaczynski (c) Fabry
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Die Vorstände der österreichischen Piratenpartei, Rodrigo Joquera und Patryk Kopaczynski, kündigen an, bei allen Wahlen 2013 antreten zu wollen – und erklären, warum Filesharer künftig doch wieder zahlen sollen.

Österreichs Piraten haben gerade eine Rücktrittswelle hinter sich, ausgelöst durch Mitglieder, die eine interne Abstimmung manipuliert haben, indem sie jeweils mehr als eine Stimme abgaben. Stellen sich Piraten so Demokratie vor?

Rodrigo Jorquera: Was passiert ist, war keine Manipulation, sondern das Aufdecken eines Fehlers. Die innerparteiliche Demokratie muss fehlerlos sein und einem technischen Standard genügen. Das war nicht der Fall – an dieser Abstimmung hätte jeder beliebig oft an teilnehmen können, sie war also von Anfang an fehlerhaft.

Wenn eine Abstimmung manipulierbar ist, darf man das also ausnutzen?

Patryk Kopaczynski: Es ist so, dass die Piratenpartei auch aus der Hackerszene gegründet wurde – und dass manche damit beschäftigt sind, solche Abstimmungstools zu prüfen. Diejenigen, die das gemacht haben, haben sich sofort dazu bekannt.

Nach gleich drei Rücktritten wirkt es, als wären die Piraten noch immer nur mit sich selbst und Personalfragen beschäftigt.

Kopaczynski: Einige sind dem Druck eben nicht gewachsen, den die Arbeit für die Piraten mit sich bringt.
Jorquera: Die meisten Leute kommen aus einem pyramidalen System, mit Hierarchien und Führungskräften. Dadurch, dass wir „schwarmintelligent“ sind, werden Leute aber schnell frustriert sein. Ein Organ der Piraten muss alles machen – und steht gleichzeitig auf dem Präsentierteller für Kritik: Das ist die Zukunft der Demokratie.

Ziele der Piraten sind „freie Kultur und freies Wissen“. Wer soll denn das bezahlen?

Jorquera: Frei heißt nicht gratis. Unser Ansatz des freien Wissens ist, dass es nicht gefiltert wird, dass es keine Zensur gibt. Wir sehen Entwicklungen wie Trademarks und Sprachregelungen – wie das geschützte „Griaß di“ kritisch.


Das ist ein Extremfall – aber prinzipiell ermöglichen Marken und Patente ja erst, dass Kreative von ihren Leistungen leben können. Wie stehen Sie etwa zu Filesharing – hinter Musik steht ja auch ein Künstler, der von etwas leben will.

Jorquera: Wir sind nicht für eine Schwächung, sondern für eine Stärkung des Urheberrechts - gegenüber dem Verwertungsrecht. Früher waren Verwerter notwendig, um die Musikstücke an die Nutzer zu bringen - das führte zu einem groben Missverhältnis, es gehen nur mehr ein paar Promille des Aufpreises an Künstler, das meiste an die Verwerter. Die Verwerter müssen wieder Dienstleister des Künstlers werden. Der Konsument soll selbst entscheiden, wo das Geld hinkommt.

Also soll der Konsument, der alles gratis aus dem Internet zieht, doch wieder zahlen?

Kopaczynski: Das muss dann jeder Künstler für sich entscheiden. Heute kann ein Künstler via Internet selbst direkten Kontakt mit Benutzern haben.

Einer der Schlüsselbegriffe der Piraten ist die „Schwarmintelligenz“ – kann man den Menschen wirklich zutrauen, in der Masse richtig zu entscheiden?

Jorquera: Das kommt darauf an, welches Menschenbild du hast. Wenn man davon ausgeht, dass Bürger kleine Kinder sind, die man bevormunden muss, damit sie die richtigen Entscheidungen treffen, ist man eher bei SPÖ und ÖVP. Ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen vernünftig sind – dazu muss man die Bildung pushen.


Muss man die Menschen durch Bildung zu vernünftigen Menschen formen, oder wie?

Jorquera: Nein, das sind sie eh schon, Bildung verstärkt das aber – und hält die Leute davon ab, FPÖ zu wählen.
Kopaczynski: Bei unserem „Liquid Feedback“, mit dem wir in der Partei Entscheidungen treffen, muss jeder für sich entscheiden, ob er sich bei einem Thema auskennt – sonst kann man die Stimme an eine andere Person, die sich besser auskennt, delegieren. Das ist ein dynamisches System, in dem man seine Stimme nicht fünf Jahre festlegt, sondern sie jederzeit zurückziehen kann. Man muss eben selbst ehrlich sein und entscheiden, ob man sich in einem Thema gut genug auskennt, um mitreden zu können.

Wie soll denn der „Schwarm“ hochkomplexe Probleme wie die Eurorettung entscheiden, bei der noch nicht einmal Experten die Folgen vollständig abschätzen können?

Jorquera: Selbst in der Riege der Experten gibt es geteilte Meinungen zu solchen Themen – also ist es egal, ob der Schwarm falsch entscheidet oder die Experten. Es wird sogar der Schwarm besser entscheiden, weil Experten ja auch ideologisch gefärbt sind.

Nächstes Jahr wird in Niederösterreich, Tirol, wahrscheinlich in Kärnten und im Bund neu gewählt. Bei welchen dieser Wahlen kandidieren Piraten?

Kopaczynski: Wir werden überall anzutreten versuchen – auch beim Europawahlkampf 2014.

Jorquera: Es wird im September noch eine Klausur mit den Landesparteien geben, bei denen wir die Themen für die Wahlkämpfe erarbeiten.

Was sind die Ziele für die Wahlen?

Kopaczynski: Antreten zu können – und dann genügend Stimmen zu sammeln um eine Plattform für die Bürger im Parlament bilden zu können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2012)

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