Vranitzky: "Bin für ein EU-Heer"

Vranitzky fuer EUHeer
Vranitzky fuer EUHeer(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Walter Luger)
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Der Altbundeskanzler kann sich ein gemeinsames Steuer- und Pensionssystem in Europa vorstellen. Wie er bei der Wehrpflicht-Befragung abstimmen wird, weiß er noch nicht. Ein "Presse"-Interview.

Die Presse: Sie sind als Kanzler in den U-Ausschuss gegangen. Anlass war damals der Noricum-Fall, es ging um Waffenlieferungen in den Iran. Jetzt, mehr als zwanzig Jahre später, werden wir den Kanzler nicht im Ausschuss sehen. Was ist der Unterschied?

Franz Vranitzky: Ganz einfach, ich hatte eine Ladung. Damals gab es keinen Fraktionskonflikt über die Ladung.


So stimmt das nicht. Die SPÖ hat sich damals heftig gegen Ihre Ladung gewehrt. Sie selbst haben gesagt, Ihr Erscheinen im Ausschuss sei unnütz.

Das ist lange her. Vermutlich habe ich dann gesagt: Bevor wir einen großen Theaterdonner machen, gehe ich halt hin, auch weil ich ja nicht der eigentlich Betroffene war. Ich will damit nicht sagen, Faymann hätte hingehen sollen. Denn man darf die U-Ausschüsse nicht glorifizieren. Da geht es nicht nur um die Wahrheitsfindung, sondern dort wird auch Munition gegen Personen und Parteien gesammelt.

Kann man das denn ändern?

Nein, weil man die Eigenschaften der Abgeordneten nicht ändern kann. Vor diesem Hintergrund versteht man, dass die SPÖ die Koalitionsvereinbarung, wonach man einander nicht überstimmen darf, nutzt.

Sind Sie auch gegen eine U-Ausschuss-Reform nach deutschem Vorbild? Dort kann eine Minderheit den U-Ausschuss einberufen oder Zeugen laden.

Sagen wir es so: Der Parlamentarismus lebt von Mehrheitsbeschlüssen.

Hatten es Politiker früher leichter – oder „gemütlicher“?

Jede Zeit hat ihre „Gemütlichkeit“. Es gab einiges abzustellen: Zu Beginn meiner Amtszeit wurde ich etwa mit dem Fall Rechberger konfrontiert, also damit, dass Politiker Mehrfachbezüge hatten, weil sie auch Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte waren. Als ich das änderte, war der Parteivorstand zunächst gar nicht einverstanden. Früher hatten Politiker eben teilweise andere Einstellungen.

Wie sehen Sie das Urteil im Birnbacher-Prozess?

Es ist ein Lebenszeichen das zeigt, die Justiz ist da und funktioniert. Es wurde in der Sache sehr lange ermittelt, und die Erwartungen waren hoch, dass es Ergebnisse gibt. Es gibt ja einige solche Fälle, die lange dauern, und bei denen deshalb in der Volksseele der Eindruck entsteht: Da wird etwas vertuscht.

Ist diese Praktik der illegalen Parteienfinanzierung Ihrer Meinung nach auf Kärnten beschränkt?

Das weiß ich nicht und vermuten will ich auf diesem Gebiet nichts.


Klar, nämlich positiv, haben Sie sich zur Wehrpflicht geäußert. Werden Sie bei der Volksbefragung gegen ein Berufsheer stimmen oder sich aus Solidarität zur Parteispitze enthalten?

Das muss ich mir noch überlegen. Wir wissen ja, wie das entstanden ist: Es begann mit der Wiener Gemeinderatswahl . . .

... Bürgermeister Häupl thematisierte etwas abrupt das Ende der Wehrpflicht.

Der Verteidigungsminister hat sich dann angeschlossen – entgegen früherer „Steinmeißelungen“. Bislang gibt es von ihm keine richtige Kampagne. Aber vielleicht kommen noch wunderbar überzeugende Argumente.

Haben Sie mit Darabos über seinen Meinungsumschwung gesprochen?

Nein. Ich kenne ihn gut und habe ihn immer als Nachwuchshoffnung gesehen. Er ist keiner, den ich anrufe, um mit ihm zu streiten.

Aber geärgert haben Sie sich .

„Sich ärgern“ ist eine der wenigen Privatsachen, die es noch gibt.

Sie sind für eine Reform des Heeres. Wie sollte die aussehen?

Ich formuliere ein Fernziel: Man könnte das Verständnis für Gemeinsamkeit in der EU auch auf das militärische Gebiet ausdehnen.

Sie wollen ein EU-Heer?

Richtig. Aber ich rede hier von einer Jahrzehnte-Aufgabe.

Wäre das mit der Neutralität vereinbar?

Ich meine schon.

Wie weit geht die Gemeinsamkeit? Braucht es die „Vereinigten Staaten von Europa“?

Nicht im Sinne einer USA-Kopie, aber prinzipiell könnte ich mich sehr gut damit anfreunden. Im Interesse der weltweiten Wettbewerbsfähigkeit Europas muss man die Kräfte bündeln.

Was heißt das? Soll es einen europäischen Finanzminister geben?

Langsam. Zunächst sollte das Volk den Kommissionspräsidenten wählen dürfen. Der sollte dann Persönlichkeiten um sich scharen. Und dieses Gremium sollte Europa finanz-, fiskal- und wirtschaftspolitisch führen.

Wie würde die SPÖ reagieren, wenn dieses Gremium Einschnitte im österreichischen Pensionssystem anordnet?

Die Seniorenvertreter Blecha und Khol haben das nicht blank abgelehnt. Sie haben gesagt: Als Vorstufe müsste die Steuerpolitik in der EU einigermaßen einheitlich sein. Das halte auch ich für richtig.

Es soll also zuerst eine gemeinsame Steuerpolitik geben und in weiterer Folge ein einheitliches Pensionssystem.

In sehr weiter Folge, ja.

Ein Blick in die nähere Zukunft: Es gibt eine neue Partei, das Team Stronach. Es gibt das Gerücht, dass Sie Stronach beraten.

Sind wir jetzt beim kabarettistischen Teil des Gesprächs angelangt?

Sie waren immerhin 14 Jahre lang – bis Mai 2011 – im Aufsichtsrat bei Magna. Wie beurteilen Sie denn Stronachs politischen Auftritt?

Er hat sich immer für Politik interessiert. Aber es hat mich schon überrascht, dass er mit einer Parteigründung daherkommt.

Was, glauben Sie, sind seine Motive?

Er hat sicher ein Sendungsbewusstsein und glaubt offenbar, dass er das, was er bisher in Überschriften gesagt hat, auch umsetzen kann.

Stronach betont, er sei kein Politiker. Kann man als Nichtpolitiker Politiker sein?

Die Grünbewegung hat am Anfang auch gesagt: Wir sind eine Bewegung und keine Partei. Was sind sie jetzt? Eben. Entweder eine politische Bewegung wird zu einer Partei oder sie verschwindet.

Ist Frank Stronach ein möglicher Koalitionspartner für die SPÖ?

Das müssen Sie Bundeskanzler Faymann fragen.

Sie hätten Rot-Grün am liebsten, oder?

Ich habe gesagt: Das hätte Charme. Aber es ist unwahrscheinlich.

Also wieder eine Große Koalition?

Frei nach Winston Churchill: Es gibt kaum andere Möglichkeiten.

Zur Person

Geburtstag. Franz Vranitzky feiert heute, Donnerstag, seinen 75. Geburtstag. Er war von 1986 bis 1997 Bundeskanzler und von 1988 bis 1997 SPÖ-Chef. Seine Karriere begann der promovierte Handelswissenschaftler als Finanzminister. Davor war er Generaldirektor der Länderbank. In seine Kanzlerzeit fällt der EU-Beitritt Österreichs. Bekannt ist er für seine klare Abgrenzung von der FPÖ nach dem Aufstieg Jörg Haiders. Er war der erste Kanzler, der von einer Mitverantwortung Österreichs für die NS-Verbrechen sprach. Im Noricum-Fall wurde Vranitzky in den U-Ausschuss geladen, in der „Gratisflug-Affäre“ (eine deutsche Bank zahlte dem Kanzler Flüge) musste er in den Rechnungshof-Ausschuss. Vranitzky wurde mehrfach ausgezeichnet: unter anderem mit dem Karlspreis (höchste europäische Auszeichnung). Nach dem Ausstieg aus der Politik war er OSZE-Sonderbeauftragter für Albanien, danach kehrte er als Konsulent ins Bankwesen zurück. Von 1997 bis 2011 war Vranitzky Aufsichtsratsmitglied in Frank Stronachs Konzern Magna.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2012)

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