System Pröll: Der Herbst eines Sonnenkönigs

System Proell Herbst eines
System Proell Herbst eines(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Seit 20 Jahren ist Erwin Pröll Landeshauptmann von Niederösterreich. Ein Blick in das System des mächtigsten Mannes der ÖVP. Wie lange Pröll Landeshauptmann bleiben wird, ist offen.

Zweihundert Leute sind im Raum – und Erwin Pröll fällt zu jedem Einzelnen etwas ein. Egal, ob bei einer Pressekonferenz im St. Pöltner Landhaus, der Eröffnung eines Kreisverkehrs im niederösterreichischen Nirgendwo, der Premiere eines Theaterstücks auf einer der zahllosen Bühnen des Landes: Es ist die unheimlichste und gleichzeitig beeindruckendste Gabe des Landeshauptmanns, auf jeden Anwesenden zugehen zu können, ihn an den Händen zu packen und ein paar Sätze Smalltalk mit genau so viel persönlichem Bezug zu versetzen, dass man überzeugt sein muss, Pröll interessiere sich für einen als Person. „Wie geht's denn so in Ihrer Heimatgemeinde W . . .?“ lauten solche Fragen, oder „Schon fertig mit dem Hausbau?“, je nachdem, worüber man bei der letzten Begegnung gesprochen hat – ganz gleich, ob das zwei Tage oder zwei Jahre her ist.

Es wäre ein lohnender Gegenstand für die Politikwissenschaft, zu erforschen wie sehr Erwin Prölls akkurates Personengedächtnis dazu beigetragen hat, dass er in der vergangenen Woche sein 20. Amtsjubiläum als Landeshauptmann von Niederösterreich feiern konnte. 20 Jahre, in denen das Land moderner und offener geworden ist – um den Preis massiv gestiegener Schulden und eines bisweilen skurril anmutenden Personenkults um Pröll.


Regierung „on the road“. Wobei „feiern“ zuviel gesagt ist. Denn während sich befreundete Medien in Huldigungen ergingen, setzte das Landhaus auf betonte Nüchternheit – und das (in St. Pölten stets ohne jede Ironie vorgetragene) Mantra „Arbeit, Arbeit, Arbeit für das Land“. Erst am Donnerstag, drei Tage nach dem tatsächlichen Jubiläum – am 22. Oktober 1992 hatte Pröll Siegfried Ludwig beerbt – verschickte Niederösterreichs VP schließlich doch noch ein verhaltenes Jubelmail.

Enthalten darin: eine Bilanz der 20-jährigen Landeshauptmannschaft: „Mehr als drei Millionen gefahrene Kilometer (70 Mal um die Welt), mehr als 1500 Wochenenden und Feiertage unterwegs, 30.000 Termine und mehr geschüttelte Hände als NÖ Einwohner hat“, resümiert die Parteizentrale.

Wer Pröll und seine Arbeitsweise kennt, weiß, dass diese Zahlen durchaus der Realität entsprechen können. Der Politiker regiert das Land weniger von dem schmucken St. Pöltner Regierungsviertel, als von der Straße aus: Wo immer Gemeindezentren, Bahnunterführungen oder Kulturfestivals zu eröffnen sind, ist Pröll nicht weit. Mit dem netten Nebeneffekt, dass Investitionen der öffentlichen Hand gleich mit einem Gesicht verbunden werden.

Dass Pröll einen Gutteil seiner Zeit im weiten Land, abseits Sitzungszimmern – und besonders abseits der Bundeshauptstadt, mit deren Bräuchen er nie warm geworden ist – verbringen kann, verdankt er vor allem einem eingeschworenen Team (siehe links), das ihm und Niederösterreichs ÖVP politischen Einfluss weit über die Landesgrenzen hinaus sichert: Wer Pröll als mächtigsten Mann der ÖVP sieht, wird zumindest nicht weit danebenliegen.

In der Bundespartei sind Prölls eher als Befehle zu interpretierende Wünsche – die zu ignorieren angesichts der Wichtigkeit der niederösterreichischen Wählerschaft de facto unmöglich ist – gefürchtet. Das betrifft etwa die Wahl des Parteiobmanns: Michael Spindelegger entstammt ebenso Prölls Reich wie sein Vorgänger, des Landeshauptmanns Neffe Josef Pröll. Aber auch in Sachthemen bekommt Wien immer wieder aus St. Pölten eine Marschrichtung vorgegeben: Etwa die Wehrpflicht-Volksbefragung, eine alleinige Erfindung Erwin Prölls – die er auch als Mobilisierungsturbo für die im März anstehende niederösterreichische Landtagswahl nutzen lassen wird.


Spannende Wahl. Der heute 65-Jährige wird dann antreten, um seine absolute Mehrheit von 54,4 Prozent zu verteidigen – was spannend werden könnte; weniger der bestehenden Opposition halber, die Pröll nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ gut im Griff hat, sondern eines möglichen Antretens der Stronach-Partei halber: Nicht nur, dass die Partei in Niederösterreich erstmals überhaupt (abhängig davon, ob und wann Kärnten neu wählt) kandidieren könnte – mit Karin Prokop, Tochter von Prölls ehemaliger Vertrauter Liese Prokop, stünde auch eine Spitzenkandidatin bereit, der die ÖVP nur schwer etwas anhaben könnte.

Dass die schwarze Absolute in Niederösterreich kein Naturgesetz ist, hat Pröll schon lernen müssen: Als er 1993 erstmals an der Parteispitze in den Wahlkampf zog, stürzte die ÖVP auf 44,3 Prozent ab. Es sollte bis 2003 dauern, bis Pröll wieder ohne Koalitionspartner regieren konnte.

Heute fällt selbst der Opposition schwer, auf Anhieb Dinge zu nennen, die unter Pröll grundfalsch gelaufen wären: In den vergangenen Jahrzehnten hat das Land sowohl Ostöffnung als auch EU-Beitritt gut zu nutzen gewusst und wirtschaftlich aufgeholt: Inzwischen steht Niederösterreich beim Durchschnittseinkommen seiner Einwohner an der Spitze. In keinem anderen Land wurde so viel in Infrastruktur – Straßen, aber auch hochrangige Schienenverbindungen – investiert wie in Niederösterreich unter Pröll.

Gute Verbindungen hat Niederösterreich in den vergangenen Jahrzehnten auch international geknüpft: Die niederösterreichische Expositur in Brüssel zählt zu den Musterbeispielen, wie man in der EU Lobbying für eine Region macht, um Förderungen für Landesprojekte zu lukrieren und Ideen der Staaten zu torpedieren, die die Macht der Länder einschränken könnten. Auch Pröll selbst pflegt zu gute Kontakte ins Ausland: Gestern, Samstag, wurde er etwa von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Berlin empfangen – um ihr einen Forderungskatalog für die Subventionierung von Ländern zu übergeben.

Dank üppiger Förderungen und direkter Investitionen des Landes können sich auch Zahl und Qualität der kulturellen Institutionen im Land um Wien sehen lassen: Mit Landesausstellungen, zeitgenössischen Festivals, hochkarätigen Sommerspielen – Krems, Grafenegg oder Reichenau sind nur einige Schlagworte – ist Niederösterreich längst aus dem Schatten der Bundeshauptstadt getreten. Auch in die Forschung wurde unter Pröll kräftig investiert: In Krems, Tulln, Klosterneuburg (Ista) und Wiener Neustadt finanziert bzw. subventioniert Niederösterreich inzwischen teils international anerkannte Lehr- und Forschungsstätten.

Schulden und Personenkult. Nun hat der Aufschwung, den Niederösterreich unter Erwin Prölls Regierungszeit unbestritten genommen hat, aber auch seine Schattenseiten. Als Pröll 1992 sein Amt angetreten hat, verzeichnete das Land 14,3 Milliarden Schilling Schulden – rund eine Milliarde Euro. Unter Pröll hat sich der Schuldenstand auf 3,45 Milliarden Euro mehr als verdreifacht – bei der pro-Kopf-Verschuldung teilt sich Niederösterreich mit Kärnten den letzten Platz. Für das Land ist das so alarmierend, dass Prölls Finanzreferent Wolfgang Sobotka (ÖVP) im vergangenen Jahr dazu übergegangen ist, Finanzreserven aufzulösen, um den Schuldenberg abzutragen.

Die andere Sache ist eine atmosphärische: Dass die Landes-ÖVP Pröll längst mit Niederösterreich gleichsetzt, stößt so manchem Kritiker bitter auf. Etwa Niederösterreichs SPÖ, deren Funktionären, seit sie Prölls Budgetentwürfen ihre Zustimmung verweigerten, vorgehalten wird, „Lügner“, „Streithanseln“, „Landesfeinde“ zu sein.

Nicht viel besser ergeht es Medienvertretern, die sich nicht in den Kreis der Freunde Prölls einordnen: Autoren kritischer Kommentare begegnet Pröll nicht selten mit offener Feindseligkeit. Ein ähnliches Schicksal ereilte zuletzt den Rechnungshof: Dessen Prüfern, die Schuldenstand und Spitalbauten des Landes gerügt hatten, attestierte Pröll im Sommer mangelnde fachliche Kompetenz.

Wie lange Pröll Landeshauptmann bleiben wird, ist offen – eine Antwort darauf verweigert der 65-Jährige konsequent. „Abgehakt“ sei jedenfalls die Frage nach einer Kandidatur als Bundespräsident, so Pröll: Er kandidiere für die Landtagswahl und werde „keine halben Sachen machen“. Scheint, als ob sich jemand darauf eingestellt hätte, weitere zigmal die Welt zu umrunden.

Steckbrief

1946
Am 24. Dezember 1946 wird Erwin Pröll in einer Wein- bauernfamilie in Radlbrunn geboren. Er studiert Agrarökonomie an der Boku und beginnt vor seiner Promotion 1972 im Bauernbund zu arbeiten.

1980
holt Landeshauptmann Andreas Maurer den 33-jährigen Pröll als Agrarlandesrat in die Landesregierung.

1992
Am 22. Oktober 1992 folgt Pröll Siegfried Ludwig als niederösterreichischer Landeshauptmann nach. Bei seiner ersten Landtagswahl 1993 stürzt die ÖVP auf 44,3 Prozent ab, erst 2003 erobert er die Absolute zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2012)

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