Ein Platz in einem Wiener Pflegeheim kostet den Steuerzahler laut Studie viermal so viel wie auf dem Land. Mobile Pflege ist in der Steiermark am teuersten. Dort gibt es für Hilfsorganisationen einen Gebietsschutz.
Wien. 4117 Euro kostet den Steuerzahler ein Pflegeheimplatz in Wien pro Monat. Für dieselbe Leistung bezahlt die öffentliche Hand in Salzburg 923 Euro, in Tirol 1076 Euro und im bundesweiten Schnitt 1926 Euro. Das ist nur eines der äußerst aufschlussreichen Ergebnisse, die der Bericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG) liefert. Das Expertenpapier diente angeblich als Grundlage für die gestern präsentierte Strukturreform Pflege. Tatsächlich rangen sich Bund, Länder und Gemeinden zu einer nebulosen Ankündigung durch, die Pflege „harmonisieren“ zu wollen.
Dabei offenbart der Bericht einen bürokratischen Wildwuchs auf dem Gebiet der Pflegeheime und Hauskrankenpflege, wie er schlimmer nicht sein könnte. Misswirtschaft, aufgeblasene Verwaltung und politische Einflussnahme sind an der Tagesordnung und führen zu Intransparenz und überbordenden Kosten. Auf der Strecke bleiben oft jene Menschen, die der Pflege bedürfen. Die Selbstbehalte steigen, oft fressen die Kosten der Pflege das gesamte Vermögen auf. „Wir brauchen über die Erbschaftssteuer nicht zu diskutieren, sie liegt bei 100 Prozent“, stellt Peter Hacker, Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien, im Gespräch mit der „Presse“ fest.
Einer der Gründe dafür ist, dass von den vier Milliarden Euro, die der Staat jährlich für die Betreuung alter Menschen ausgibt, zu wenig bei diesen ankommt. Viel zu viel bleibt offenbar in der Bürokratie hängen. Statt schlankere und vergleichbare Strukturen zu schaffen, wollen Länder und Bund „raus aus der Sozialhilfelogik“, wie es Hacker formuliert. SPÖ und Gewerkschaften wollen nämlich, dass die Pflege künftig über eine Vermögenssteuer finanziert wird. Die Kritik an der Misswirtschaft der Länder – nicht zuletzt an jener in Wien – lässt Hacker nicht gelten. Er bezeichnet den BAG-Bericht als „Schmarrn“, weil hier „Äpfel mit Birnen verglichen werden“. Dass Pflegeheime in Wien viermal so teuer sind wie in Salzburg, stimme nicht. Wien habe eben im Gegensatz zu den anderen alle Kosten auf den Tisch gelegt. Hinter den Kulissen beschuldigen sich Hilfsorganisationen, Länder und Bund gegenseitig, falsche Zahlen zu kolportieren.
Kosten für Pflege verdoppeln sich
Noch werden 58 Prozent der Alten ausschließlich von den Angehörigen betreut. Doch die Familienstrukturen ändern sich rasant. Und wenn ab 2020 die starken Nachkriegsjahrgänge der Pflege bedürfen, werden weniger Nachkommen da sein, um sie zu betreuen. Stichwort Pillenknick. Bis 2030 werden sich die Kosten für die Pflege auf acht Milliarden verdoppeln, berechnet das Institut für Höhere Studien. Heute beziehen 437.000 Menschen in Österreich Pflegegeld. 16 Prozent davon werden in Pflegeheimen versorgt. Pflege ist Ländersache. In regelmäßigen Abständen fordern sie mehr Geld vom Bund.
Und natürlich leistet sich jedes Bundesland sein eigenes System. Wie wär's mit vergleichbaren Systemen? „Wir werden unsere sozialpolitischen Richtlinien sicher nicht über Bord werfen“, sagt Peter Hacker, der in Wien den Pflegebereich managt. Sozialpolitik funktioniere nicht per Benchmarking, betont er. Dass in Wiener Pflegeheimen die Personalkosten im Schnitt um bis zu 15 Prozent höher sind als in anderen Bundesländern, rechtfertigt Hacker. Wien betreibe eben keine Hire-and-fire-Politik im Pflegebereich.
Im Pflegebereich offenbart sich ein Sittenbild österreichischer Sozialpolitik. Je nach Couleur werden Hilfsorganisationen in den Ländern bevorzugt behandelt. In Oberösterreich und in der Steiermark genießen die Organisationen bei der mobilen Pflege sogar einen Gebietsschutz. Fazit: Wo der Wettbewerb fehlt, ist die Hauskrankenpflege am teuersten (siehe Grafik).
Auf einen Blick
Die steigenden Pflegekosten will Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) künftig durch neue Steuern finanzieren. Hilfsorganisationen und Gewerkschaften plädieren für die Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer.
Die Ausgaben entstehen unter anderem aber auch dadurch, dass sich Österreich neun verschiedene Pflegesysteme leistet. Dies ergab ein Bericht, den die Hilfsorganisationen verfasst haben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2012)