Die hohe Kunst der Gemeinheit

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Negative Campaigning ist seit jeher eine wirkungsvolle Methode in der Politik. Vor Wahlen nehmen die unfairen Tricks deutlich zu. Experten und Parteien stellen sich schon auf einen schmutzigen Nationalratswahlkampf ein.

Sebastian Kurz soll außer sich gewesen sein, was eigentlich nicht seinem Gemüt entspricht. Vor Kurzem wurde orf.at ein vermeintlich entlarvendes Foto zugespielt. Es sollte beweisen, dass der Integrationsstaatssekretär am frühen Abend des 12.Juni 2012 vor einer Raststation an der A1 zwei Behindertenparkplätze mit seinem Dienstwagen blockiert hatte.

Kurz beeilte sich, in der Öffentlichkeit seine Unschuld zu beteuern. Er sei noch nie hinter dem Steuer eines Dienstautos aus dem Innenministerium gesessen. Außerdem habe der Fahrer, ein Polizist, den Pkw nicht vor den Parkplätzen abgestellt – er sei daran vorbeigefahren. Die Identität des Paparazzo ist bis heute ungeklärt.

Nahezu zeitgleich musste sich die Salzburger (Ex-)Landeshauptfrau Gabi Burgstaller zum wiederholten Mal für ihre Genossenschaftswohnung in Hallein rechtfertigen. Nein, sie blockiere damit keine Sozialwohnung. Ja, die Miete sei angemessen. Auffälligerweise kam das Thema immer kurz vor einer Wahl auf. (Und seit vergangenem Sonntag hat es sich wohl endgültig erledigt.)

So übertrieben oder falsch die Anschuldigungen auch sein mögen: Es zahlt sich aus, einen Politiker in Misskredit zu bringen. Vor allem in Wahlkampfzeiten hat sich diese Methode bewährt. Kleine und größere Bosheiten, aber auch herbe persönliche Untergriffe können manchmal Wunder bewirken. Der Ruf des anderen ist zumindest ramponiert, irgendetwas bleibt immer stehen. Außerdem verschafft sich der Angreifer Luft, denn der Attackierte ist fürs Erste mit sich selbst beschäftigt.

Eine neue politische Erfindung sind diese bösartigen Tricks keineswegs. Negative Campaigning ist so alt wie die Politik selbst. Schon der römische Staatsmann Marcus Tullius Cicero bekam im Jahr 64 vor Christus von seinem Spindoctor, seinem Bruder Quintus, folgenden Tipp: „Und sorge dafür, wenn es sich auf irgendeine Weise erreichen lässt, dass übles Gerede über deine Gegenkandidaten aufkommt, entweder wegen einer Rechtsverletzung oder wegen einer Liebesaffäre oder wegen eines Wahlbetrugs – wähle den Vorwurf, der dem Charakter dieser Gegenkandidaten am ehesten zu entsprechen scheint.“

Im antiken Rom war das Streuen von Gerüchten noch relativ aufwendig. Perfektioniert wurde die organisierte Diffamierung erst Jahrhunderte später, als die geeigneten Massenkommunikationsmittel zur Verfügung standen. Als Meister dieser Zunft gelten die US-Amerikaner, die sich nicht davor scheuen, auch unter die Gürtellinie zu zielen.

Üble Gerüchte. Im republikanischen Vorwahlkampf des Jahres 1999 brachte ein gewisser George W. Bush den favorisierten John McCain (der 2008 die Präsidentschaftswahl gegen Barack Obama verlieren sollte) in Bedrängnis. Bushs Leute hatten ein Familienfoto der McCains verschickt und behauptet, der Familienvater hätte seine dunkelhäutige Tochter mit einer afrikanischen Prostituierten gezeugt. In Wahrheit hatten McCain und seine Frau das Mädchen in Bangladesch adoptiert.

In Österreich geht es vergleichsweise gesittet zu, obwohl auch hier die Grenze vom Negative zum Dirty Campaigning, also vom gerade noch zulässigen Untergriff zur Rufschädigung, mitunter überschritten wird. Eine besonders schlimme Anschuldigung hat im Jahr 2004 möglicherweise die Salzburger Landtagswahl mitentschieden.

Einige Monate davor waren Plakate und Flugzettel aufgetaucht, auf denen Landeshauptmann Franz Schausberger beschuldigt wurde, seine Frau zu misshandeln. Beweise gab es keine. Doch die empörten Dementis und eine öffentliche Erklärung seiner Ehefrau nützten nichts. Das Gerücht hielt sich bis zum Wahltag, der für Schausberger bekanntlich keinen guten Ausgang nahm: Die ÖVP fiel auf Platz zwei zurück, Gabi Burgstaller wurde Landeshauptfrau. Der Urheber der Kampagne wurde nie ausgeforscht.

In die Kategorie „dirty“ fällt nach Meinung des Politikberaters Thomas Hofer auch ein BZÖ-Videospot aus dem vergangenen Kärntner Landtagswahlkampf, in dem Landeshauptmann Gerhard Dörfler (FPK) und sein Herausforderer Peter Kaiser (SPÖ) in einer Reihe mit Diktatoren wie Hosni Mubarak, Ben Ali, Slobodan Milošević und Nicolae Ceauceşcu gezeigt wurden.

Immer fällt die Unterscheidung allerdings nicht so leicht, die Grenze ist oft fließend. Ist es eine gewagte Zuspitzung oder schon ein persönlicher Untergriff, wenn Michael Häupl beim Mai-Aufmarsch der SPÖ-Finanzministerin Maria Fekter eine „Schutzheilige der Steuerhinterzieher“ nennt?

Der Politologe Fritz Plasser definiert Negative Campaigning als „Übersteigerung einer Behauptung“, während die schmutzige Form „etwas frei Erfundenes“ sei, meist aus dem persönlichen Lebensbereich eines Politikers. Thomas Hofer stimmt zu, meint aber, dass ein Gerücht, das zwecks Diffamierung in die Welt gesetzt wird, zumindest im Bereich des Vorstellbaren sein muss: „Franz Schausberger verkörperte den konfrontativen Politikertypus. Deshalb haben ihm das manche vielleicht tatsächlich zugetraut. Mit dem defensiven Alexander Van der Bellen hätte das nicht funktioniert.“

Peinlicher Fauxpas. Über die ethische Verwerflichkeit von Schmutzkampagnen sind sich alle Politiker einig. Kein Parteistratege wird zugeben, dass er sich dieser Methode bedient – das Unmoralische machen schließlich immer nur die anderen. Allerdings wurden manche schon auf frischer Tat ertappt. Über Umwege war im Sommer 2005 eine Anleitung zur Verunglimpfung publik geworden, verfasst vom damaligen Pressesprecher der steirischen ÖVP.

Detailliert wurde jungen Parteisympathisanten darin erklärt, wie sie den Gegner schlechtmachen können. Empfohlen wurden „sachlich unqualifizierte, aber für die Stimmung wichtige“ Postings im Internet. Außerdem wurde der Nachwuchs ermutigt, den Spitzenkandidaten der SPÖ, Franz Voves, in Leserbriefen „als Faulpelz und Verhinderer darzustellen“. Landeshauptfrau Waltraud Klasnic war dieser Fauxpas ziemlich peinlich – umso mehr, als sie sich im darauf folgenden Herbst dem „Faulpelz“ geschlagen geben musste.

Bei etwas geschickterer Handhabe ist das Anpatzen jedoch ein Erfolg versprechender Modus Operandi in der Politik. „Negative Campaigning dient immer auch der Abgrenzung vom anderen. Wenn man das Handwerk versteht, führt es zu einer Mobilisierung der eigenen Wählerklientel und zu einer Demobilisierung im Lager des Attackierten“, erklärt Politikberater Hofer. Es kommt also nicht von ungefähr, dass Barack Obamas Wahlwerbung im Vorjahr zu zwei Dritteln aus negativen Botschaften bestand, meist über seinen Kontrahenten Mitt Romney.

Am besten wirkt die Methode dann, wenn sie das Angstzentrum der Wähler aktiviert und am Stammtisch vorgezeichnete Vorurteile bestätigt. Vor der Nationalratswahl 2002 malte die regierende ÖVP das rot-grüne Schreckgespenst an die Wand, indem sie behauptete, die Grünen wollten Haschtrafiken eröffnen und Österreich mehr oder minder zwangsvegetarisieren. Wolfgang Schüssel wurde am Wahlabend mit 42Prozent im Kanzleramt bestätigt.

Gusenbauers Kanzlerstück.Ein anderes Musterbeispiel ist der Nationalratswahlkampf der SPÖ im Jahr 2006. Nach dem Bawag-Skandal waren die Erfolgsaussichten für den ohnehin nicht gerade populären Spitzenkandidaten Alfred Gusenbauer denkbar schlecht. Norbert Darabos, damals wie heute Wahlkampfmanager, holte sich deshalb Verstärkung aus den USA. Der Kampagnenspezialist Stanley Greenberg, der unter anderem für Bill Clinton (und auch schon für Michael Häupl) gearbeitet hatte, wurde als Berater engagiert.

Greenberg und sein Team legten der SPÖ folgende Strategie ans Herz: Kanzler Schüssel sollte bei jeder Gelegenheit als unsozial und kaltherzig dargestellt werden. Entsprechend lasen sich dann die Slogans: „Sozialfighter (Gusenbauer) statt Eurofighter (Schüssel) – hier fliegt ihre Pensionserhöhung.“ Der Kanzler wurde regelmäßig der Lüge bezichtigt und gegen Wahlkampfende beschuldigt, für seine Schwiegermutter eine illegale Pflegerin beschäftigt zu haben. Die Kampagne machte sich bezahlt: Die SPÖ wurde überraschend stärkste Partei.

Experten sind sich einig, dass der Nationalratswahlkampf in diesem Jahr ähnlich negativ aufgeladen sein wird – nicht nur wegen Darabos, der durch die Greenberg-Schule gegangen ist. Auch sein ÖVP-Gegenüber Hannes Rauch beherrscht die Kunst der Negativkampagne, wie seine Fibel gegen Rot-Grün beweist. „Wir werden uns natürlich von den anderen abzugrenzen versuchen“, sagt Rauch. Persönlich untergriffig werde die ÖVP aber nicht werden.

„Manchmal reicht die Wahrheit.“ Ganz ohne Negative Campaigning kommt mittlerweile keine Partei mehr aus. Manche, wie die Grünen, unterlegen ihre Sticheleien jedoch mit Humor. In Salzburg plakatierten sie angesichts der Finanzaffäre des Landes einen Marienkäfer, der auf dem Rücken liegt. Darunter steht: „Rot-Schwarz: Nichts geht mehr“. Schmutzige Tricks hätte man angesichts der Korruptionsskandale der anderen Parteien gar nicht nötig, meint Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner: „Es reicht, die Wahrheit zu sagen.“

Auch FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl, der bei Jörg Haider in die Politschule gegangen ist und deshalb weiß, wie man andere effektiv anpatzt, leugnet nicht, dass seine Partei den Finger gern „dort hineinbohrt, wo es dem anderen wehtut“. Um die Schwachstellen des Kontrahenten aufzuzeigen, müsse man aber nicht persönlich werden.

Besonders das Internet verleitet heute zu Boshaftigkeiten aller Art. Negativkampagnen haben auch deshalb an Bedeutung gewonnen, weil die Zielgruppen viel leichter zu erreichen sind. Im Dickicht der sozialen Netzwerke verliert sich die Spur der üblen Nachrede außerdem schneller. Für den Diffamierten ist eine Richtigstellung dann beinahe unmöglich. In Zeiten, in denen sich die Wahlwerbung auf Plakatwände beschränkte, war das noch einfacher.


Misstrauen gegenüber der Politik steigt. Die Frage ist jedoch, ab welcher Dosis Negative Campaigning zu einer Unverträglichkeit beim Wähler führt. „Wenn man es übertreibt, verstärkt sich das Misstrauen gegenüber der Politik insgesamt. Das führt zu einer sinkenden Wahlbeteiligung“, sagt der Politologe Fritz Plasser.

Je angriffiger der Wahlkampf, desto schwieriger wird hinterher auch das Regieren. Nach dem aufreibenden Wahlkampf im Jahr 2006 schloss Gusenbauer einen Koalitionspakt mit Schüssels zerknirschten Erben. Die Partnerschaft, von gegenseitigem Misstrauen und alten Kränkungen überschattet, hielt bekanntlich nur zwei Jahre lang.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2013)

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