Munition für Faymann: Hat sich Deutschland „kaputtgespart“?

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Forscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung warnen vor einer riesigen Investitionslücke, der „Spiegel“ legt noch ordentlich drauf.

Berlin. Das trifft sich gut: Just wenn Österreichs Regierung eineinhalb Milliarden als Konjunkturpaket für die Bauwirtschaft lockermacht, lässt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit einer Studie über eine gewaltige „Investitionslücke“ aufhorchen – und der „Spiegel“ macht daraus eine reißerische Geschichte über sieben Seiten. Die Botschaft ist düster: Deutschland habe sich „kaputtgespart“, das Land sei „massiv verarmt“.

Im Jahr 1999 betrug das Nettovermögen des deutschen Staates noch 20 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Heute ist davon „durch systematische Vernachlässigung“ nur noch ein halbes Prozent des BIPs übrig. Die Bilder dazu: Straßen voller Schlaglöcher, einsturzgefährdete Brücken und bröckelnde Schulgebäude. Deshalb sei dringend ein „Investitionspaket“ von 75 Milliarden Euro jährlich nötig. „Das klingt“ – nicht nur für den „Spiegel“ – „nach einem Ende strikter deutscher Haushaltspolitik.“

Hoffentlich nehmen österreichische Politiker den aufrüttelnden Magazinartikel nicht allzu wörtlich. Denn dann ergäbe sich, beim Verhältnis eins zu zehn zwischen Österreich und Deutschland, hierzulande ein staatlicher Investitionsbedarf von 7,5 Mrd. – Wien ginge also noch viel zu bescheiden an die Sache heran. Ein Irrtum, denn tatsächlich beklagen die DIW-Forscher fehlende Investitionen in der gesamten Volkswirtschaft. Zum weitaus größeren Teil geht es dabei um die privaten Haushalte und Unternehmen. Die deutsche Investitionsquote in Summe ging in den letzten eineinhalb Jahrzehnten von 20 auf 17 Prozent des BIPs zurück, die des Staates von zwei auf eineinhalb Prozent.

Dass sich die öffentlichen Haushalte in dieser Zeit keineswegs ganz aufs Sparen verlegt haben, zeigt die irreführende Zahlenspielerei mit dem „Nettovermögen“. Der Zusatz „netto“ verrät, dass hier die Schulden abgezogen sind. Der Saldo schrumpfte nicht wegen „systematischer Vernachlässigung“ der Aktiva so dramatisch, sondern weil die Passiva in die Höhe schnellten und das geborgte Geld kaum in neue Investitionen floss. Die Politiker setzten es stattdessen für soziale Wohltaten, Bankenrettungen und Rettungsschirme ein.

Staat Österreich investiert sehr wenig

Sie könnten auch stärker in Straßen, erneuerbare Energien, Bildungseinrichtungen oder Breitbandinternet investieren. So etwas erhöht die Attraktivität des Standorts und stößt private Initiativen an. Die DIW-Forscher rechnen vor: Schließt sich die Investitionslücke von jährlich drei Prozent des BIPs, dann erhöht sich das Potenzialwachstum bis 2017 von 1,0 auf 1,6 Prozent – also um 60Prozent. Das meiste Geld müsste von Privaten kommen, aber auch die Politik könnte einiges beitragen. Wohl auch in Österreich, wo die staatliche Investitionsquote mit nur einem Prozent des BIPs so niedrig ist wie in kaum einem anderen OECD-Land. Für Deutschland geht das DIW davon aus, dass der staatliche Beitrag zum Schließen der Lücke ohne neue Schulden, unter Einhaltung der Schuldenbremse zu finanzieren wäre. Dahinter stehen Prognosen der Wirtschaftsentwicklung und der Steuereinnahmen. Sie sind bei allem Optimismus nicht unrealistisch, weil Deutschland ökonomisch gut dasteht. Das hängt freilich unter anderem eben damit zusammen, dass dieses Land zuletzt seine öffentlichen Haushalte in Ordnung gebracht und sich bei schuldenfinanzierten Investitionen zurückgehalten hat.

Transfers kürzen, keine Schulden tilgen?

Anders gesagt: Der deutsche Staat kann sich heute Investitionen leisten, die ihn in den Nullerjahren mit abschließender Finanz- und Wirtschaftskrise womöglich ebenso aus der Bahn geworfen hätten wie die Eurokrisenstaaten. Das Ziel, ab 2015 Schulden zu tilgen und damit weniger verwundbar zu werden, müsste die deutsche Regierung für ein „Investitionspaket“ aber aufgeben. Freilich ist auch ein dritter Weg möglich: Die staatlichen Ausgaben deutlich umzuschichten, von Geldgeschenken an die Bürger zu produktiven Investitionen. Diese Option aber will in Wahlkampfzeiten kein Politiker in den Mund nehmen – weder in Deutschland noch in Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2013)

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