Integrationsbericht: Jeder Fünfte hat Migrationshintergrund

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Symbolbild(c) Michaela Bruckberger
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"Völlig heimisch" fühlt sich nur die Hälfte der Neo-Österreicher in dem Land. Experte Heinz Fassmann fordert eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Card und ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr.

Wien. Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund leben in Österreich – wie fühlen sie sich hier, und wie kann man das Zusammenleben verbessern? Diesen Fragen geht der Expertenrat für Integration bereits seit drei Jahren – seit Einrichtung des Staatssekretariats für Integration 2011 – nach, und versucht, sie jährlich im Integrationsbericht zu beantworten.

Der erste Punkt ist rasch geklärt: Über 1,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund lebten im Vorjahr in Österreich – das sind knapp 19 Prozent der Gesamtbevölkerung. 14 Prozent sind im Ausland geboren, fünf Prozent in Österreich. Die größte Gruppe der Zuwanderer kommt dabei aus anderen EU-Ländern, gefolgt von Staaten des ehemaligen Jugoslawien (ohne Slowenien) und der Türkei (siehe Grafik).

Die anderen beiden Fragen lassen sich schon schwerer beantworten, vor allem jene nach den Verbesserungsvorschlägen. Laut Heinz Fassmann, Leiter des Expertenrats, hat Österreich die Integrationspolitik jahrelang „verschlafen“. Demnach gebe es „viel Aufholbedarf“. Das gibt auch ÖVP-Staatssekretär Sebastian Kurz zu: „Wir stehen erst am Anfang.“

Einkommensgrenze zu hoch

Einige Forderungen, oder zumindest Vorschläge, an die Politik, finden sich im Integrationsbericht dann doch – vor allem in den Bereichen Arbeit und Bildung. „Es gibt einige Unfreundlichkeiten bei der Rot-Weiß-Rot-Card“, meint Fassmann. Man müsse die Vergaberichtlinien dieses Dokuments, das Migranten eine Arbeitsbewilligung in Österreich zusichert, unbedingt reformieren. Fassmann ist etwa gegen die gegenwärtige Einkommensuntergrenze von 1900 Euro. Viele Akademikereinstiegsgehälter würden nämlich nur 1800 Euro betragen.

Außerdem – und hier ist er sich mit Kurz einig – sollten nicht nur Master-, sondern auch Bachelorabsolventen in den Genuss der Karte kommen. Schließlich will Fassmann auch, dass den Jungakademikern wie in Deutschland ein Jahr (statt wie derzeit sechs Monate) Zeit zum Finden eines Jobs gegeben wird.

Erhöht werden soll auch die Erwerbsbeteiligung von Personen mit Migrationshintergrund, vor allem von Frauen. Dafür braucht es allerdings mehr Kinderbetreuungseinrichtungen. Kurz gab hier den Experten recht – er wolle sich bemühen, diesen Vorschlag auch umzusetzen. Ob er sich dessen bewusst sei, dass dieser sich nicht hundertprozentig mit der ÖVP-Linie decken würde? Ja, aber die ÖVP sei eben eine „Partei der Vielfalt“.

So plädierte er nach dem Vorschlag der Experten auch für ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr – das auch im SPÖ-Wahlprogramm zu finden ist. Geht es nach Kurz, soll dieses allerdings nur für jene Kinder obligatorisch sein, die ihre Sprachkenntnisse aufbessern müssen.

Die Experten schlagen im Bericht außerdem vor, die Schulpflicht durch eine „Bildungspflicht“ zu ersetzen. Demnach sollte man die Schule erst verlassen können, wenn man über bestimmte Grundkenntnisse verfüge. Diese Idee wurde politisch bereits diskutiert (siehe Bericht rechts), vor der Wahl wird sich allerdings wohl keine Mehrheit mehr dafür finden.

Die Stimmung zwischen Zuwanderern und Einheimischen hat sich laut Fassmann jedenfalls verbessert. Doch der Ausgangspunkt war auch mehr als schlecht: Im Jahr 2010 meinten etwa noch rund 69 Prozent der Befragten, dass „die Integration von Migranten eher schlecht oder sehr schlecht funktioniert“. 2013 gaben dies immerhin nur noch 55 Prozent an. 45 Prozent fanden nun wiederum, dass die Integration „eher gut oder sehr gut funktioniert“.

Identifikation bei Jungen höher

Auch die Identifikation der Zugewanderten mit Österreich steigt laut Fassmann an: 52 Prozent der befragten Zuwanderer gaben an, sich in Österreich „völlig heimisch“ zu fühlen. Im Jahr 2011 waren es noch 42 Prozent.

Vor allem bei jungen Migranten merkt man einen Trend zur Besserung: Während 2011 nur 67 Prozent mit der österreichischen Gesellschaft einverstanden waren, waren es 2013 bereits 91 Prozent.

Fassmann mahnte hier zur Geduld. Integration sei ein länger dauernder Prozess, der Jahrzehnte brauche. Kurz möchte jedenfalls allen Migranten ein „Wir-Gefühl“ geben. Es brauche einen „weltoffenen Patriotismus“, den aber die Österreicher vorleben müssten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2013)

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Über Zuwanderung sei in den vergangenen Jahren weniger gehässig diskutiert worden, meint Experte Kenan Güngör. Er fordert eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Card und die Möglichkeit einer Doppelstaatsbürgerschaft.

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