In der EU werden jährlich 100 Milliarden Leichtsäcke benutzt. Um diesem Müllproblem Herr zu werden, sollen die Sackerln künftig etwas kosten oder kompostierbar werden.
Straßburg. Wer beim Einkauf im Supermarkt auf den eigenen Korb oder die Tasche vergessen hatte, konnte bis dato auf ein bewährtes Provisorium zurückgreifen: Einwegsackerln zur freien Entnahme aus der Obst- und Gemüseabteilung. Geht es nach dem Willen des Europaparlaments, wird es diesen Notbehelf schon demnächst nicht mehr geben – zumindest nicht mehr unentgeltlich.
Am gestrigen Mittwoch stimmten die in Straßburg versammelten Europaabgeordneten nämlich dafür, dem Gratissackerl den Garaus zu machen. 539 Parlamentarier votierten für eine Gesetzesvorlage der EU-Kommission, die auf eine Dezimierung der Sackerlpopulation in Europa abzielt, lediglich 51 stimmten gegen den Vorschlag.
Was aufs erste Hinsehen für einen Auswuchs des Brüsseler Regulierungswahns gehalten werden könnte, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als sinnvolle Maßnahme. Europa leidet nämlich unter einer regelrechten Plastikflut: Schätzungen zufolge werden in der EU pro Jahr 100 Milliarden Plastiksackerl, also knapp 200 Stück pro Person, genutzt – 89 Prozent davon lediglich ein einziges Mal, bevor sie im Müll landen.
Österreich ist in dieser Hinsicht mit 51 Sackerln pro Person und Jahr eher unter die Ausnahmefälle zu reihen: Während hierzulande das festere, an der Kassa erhältliche Mehrwegsackerl bevorzugt wird, werden in vielen EU-Mitgliedsländern die täglichen Einkäufe automatisch in dünne Kunststoffsäcke verpackt. Angesichts der Tatsache, dass ihr Verbrauch bis 2020 um zehn Prozent steigen soll und derzeit nicht einmal sieben Prozent der europaweit entsorgten Sackerln wiederverwertet werden, ist der Handlungsbedarf sichtlich gegeben.
Das gestern beschlossene Maßnahmenpaket verpflichtet die EU-Mitglieder dazu, den Verbrauch der dünnen Sackerln (das sind jene, die weniger als 0,05 Millimeter dick sind) bis 2017 um die Hälfte und bis 2019 um 80 Prozent zu verringern – damit gehen die Parlamentarier weiter als der Vorschlag der Kommission, der keine fixen Zielvorgaben vorgesehen hatte. Das bedeutet, dass säumigen Mitgliedsländern im Extremfall sogar Strafen drohen könnten.
Kein generelles Verbot
Erreicht werden soll dieses Ziel einerseits über Steuern und Abgaben, andererseits durch Marktbeschränkungen – die Umsetzung bleibt den nationalen Regierungen überlassen, wobei es in gewissen Bereichen, etwa bei frischem Fleisch und Milchprodukten, Ausnahmeregelungen geben soll. Ein generelles Sackerlverbot wird es nicht geben – die Kunststoffsäcke für Obst und Gemüse sollen bis spätestens 2019 aus Papier oder biologisch abbaubaren Stoffen hergestellt werden. Vorbild ist dabei Italien, das 2011 herkömmliche Sackerln verbannt und den verpflichtenden Gebrauch von kompostierbaren Materialien festgeschrieben hatte – und wegen dieses Verbots ein EU-Vertragsverletzungsverfahren am Hals hat. Mit dem gestrigen Beschluss sollen derartige Alleingänge gestattet werden – sofern die EU-Regierungen mitziehen, denn die neuen Regeln müssen noch vom Rat der EU abgesegnet werden.
Unter den österreichischen Abgeordneten war die Zustimmung breit: „Länder wie Irland haben gezeigt, dass derartige Ziele leicht zu erreichen sind“, sagte Ulrike Lunacek von den Grünen, die an dem Entwurf federführend beteiligt waren. Auch die SPÖ-Abgeordnete Karin Kadenbach begrüßte das Votum – „ein Schritt in Richtung Reduktion der Plastikmüllberge“. Unterschiedliche Bewertungen gab es innerhalb der Europäischen Volkspartei: Während Christa Klaß (CDU) vor einer „Bevormundung des Verbrauchers“ warnte, lobte Richard Seeber (ÖVP) den „wichtigen Schritt für unsere Umwelt“. Kritik kam auch von der Wirtschaftskammer. Stephan Schwarzer, Leiter der Abteilung Umweltpolitik, sieht keinen Handlungsbedarf, da in Österreich die meisten Konsumenten bereits auf Dauertragetaschen umgestiegen seien.
AUF EINEN BLICK
Plastiksackerl. Das Europaparlament fordert von den Mitgliedstaaten, den Verbrauch von Plastiksackerln bis 2017 mindestens um die Hälfte zu verringern, und um 80 Prozent bis 2019. Jedes Land kann den Weg selbst wählen – entweder über Steuern und Abgaben oder über Marktbeschränkungen bis hin zu Verboten. Ausnahmen wird es weiterhin für die Verpackung von bestimmten Lebensmitteln wie rohem Fleisch, Fisch oder Milchprodukten geben. Betroffen sind Sackerln mit einer Dicke von weniger als 0,05 Millimetern.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2014)