ÖVP-Vorarlberg: Die „Leiden“ der letzten Volkspartei

Kurt Fischer
Kurt Fischer(c) APA/DIETMAR STIPLOVSEK (DIETMAR STIPLOVSEK)
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Die ÖVP ist in Vorarlberg gesellschaftspolitisch so breit aufgestellt wie kaum in einem anderen Bundesland. Dennoch herrscht Nervosität: Bei den Wahlen heuer im September könnte sie die absolute Mehrheit verlieren.

Bregenz/Wien. Kurt Fischer kann das Thema wahnsinnig aufregen. Er benutzt oft das Wort „leiden“, spricht von Brutalität und einem unheimlichen Druck. Dann sagt er: „Ich will diese unsägliche frühe Trennung wegbekommen.“ Kurt Fischer, Bürgermeister der Vorarlberger Marktgemeinde Lustenau, spricht von Mittelschule, Gymnasium – und einer gemeinsamen Schule, die er gern in seiner Gemeinde installiert hätte: zum einen, um die Kinder mit Migrationshintergrund nicht zu benachteiligen, und zum anderen, um den Wettbewerb zwischen den Schulen abzuschaffen.

Kurt Fischer ist von der Volkspartei. Die Abwehrhaltung der Bundes-ÖVP zur gemeinsamen Schule findet Fischer „manchmal ganz zynisch“. Dann sagt er wieder: „Da leiden wir wahnsinnig.“ Kurt Fischer ist nicht der einzige Vertreter der in Vorarlberg allgegenwärtigen konservativen Partei, der sich bisweilen wie ein kämpferischer Sozialdemokrat anhört. Genau genommen ist Fischer das Produkt einer Wandlung, der sich in den vergangenen Jahrzehnten, vor allem aber in den letzten Jahren innerhalb der Vorarlberger Volkspartei vollzogen hat: das Aufweichen eines strikten parteilichen Dogmas. Nicht zuletzt dadurch ist die Volkspartei im Ländle das geworden, was der Name impliziert: eine Volkspartei, die seit 1945 regiert und deren Wähler in so ziemlich allen Bevölkerungsschichten anzutreffen sind.

Kein proletarisches Milieu

Historisch gesehen ist das durchaus verwunderlich. In der Ersten Republik war Vorarlberg die Gegend mit der höchsten Industriedichte, noch heute sind die Fabriken das Arbeits- und Wirtschaftsherz des Landes. Trotz der für sie günstigen Vorbedingungen konnten die Sozialdemokraten hier nie Fuß fassen. Die Fabriksarbeiter waren vornehmlich Zuwanderer, die nur rudimentär empfänglich für die Selbstorganisation waren.

Zudem fehlte es den Sozialisten an eloquenten Wortführern, sagt der Sozialwissenschaftler Kurt Greussing. Und: Es gab in Vorarlberg kein durchwegs proletarisches Wohnmilieu: „Die Industrialisierung hat den dörflichen Charakter nie verändert.“ Auch, um sich von den sozialistisch eingestellten, auswärtigen Arbeitern - die vorrangig aus italienigschen Gebieten kamen -, abzugrenzen, haben sich die Einheimischen unter der Ägide der Christlichsozialen und der katholischen Kirche organisiert. Der frühe Einfluss der christlichen Gewerkschaften, die im Interesse der Arbeitnehmer durchaus lautstark aufgetreten sind, ist bis heute stark geblieben. Der Vorarlberger Präsident der Arbeiterkammer ist von der ÖVP-Arbeitnehmerorganisation ÖAAB, und er sei einer, der „eins zu eins die sozialdemokratischen Forderungen übernimmt“, sagt Vorarlbergs SPÖ-Chef Michael Ritsch – auch wenn er nicht alles parteiintern durchbringen könne.

Frühe Integrationspolitik

Arbeiter, Angestellte, Bauern, Wirtschaftstreibende, Handwerker – sie alle sind durch die vielen Vorfeldorganisationen eng an die Partei gebunden, ihre Mitglieder sind sehr gut vernetzt. In der Gemeinde Bürs sitzt der einzige sozialdemokratische Bürgermeister, alle anderen sind entweder von der Volkspartei oder ÖVP-nahe. Selbst Kulturtreibende sind voll des Lobes, sei doch die Kulturförderung des Landes nie von parteipolitischem Kalkül abhängig gewesen. Die Integrationsleitlinien, die vergleichsweise früh initiiert wurden, werden ebenfalls von der ÖVP getragen, wie auch die umfangreichen Bürgerbeteiligungsprogramme.

Die ÖVP fährt im Ländle einen Kurs, der sich am besten mit „diktieren, aber miteinbeziehen“ beschreiben lässt. Das gilt auch für die politische Ebene: das Einräumen des Mitspracherechts hat eine mögliche oppositionelle Rebellion oft im Keim erstickt. Erst 2009 kündigte die ÖVP die freiwillige Koalition mit der FPÖ auf, nachdem sich deren Obmann, Dieter Egger, antisemitisch geäußert hatte.

Dass die Partei bei den Wahlen im September die absolute Mehrheit verlieren könnte, sorgt nicht nur in der Basis für Nervosität. Die Neos mit ihrem Chef, Lokalmatador Matthias Strolz, sind eine unmittelbare Gefahr. Hingegen hat sich die Vorarlberger Volkspartei stets als fluid erwiesen: Als die Grünen gegründet wurden, begann die ÖVP, deren Inhalte zu übernehmen. Hinzu kommt, dass die Neos der Vorarlberger ÖVP näher als der Bundespartei sind – wirtschafts- und gesellschaftspolitisch.

„Innerhalb der Partei gibt es keine Scheuklappen und keinen Maulkorb“, sagt die ÖVP-Landtagsabgeordnete Theresia Fröwis. Als sie vor Jahren in einer Rede mitteilte, dass ihr Sohn homosexuell sei, habe sie intern „ganz wenige negative Rückmeldungen“ erhalten. Mit dem von der Bundespartei kolportierten Familienbild sei sie nicht immer glücklich gewesen, in Vorarlberg zumindest habe man „sehr große Schritte gemacht“.

Kraftakt für Wallner

Die Volkspartei ist auch deswegen im Land fest verankert, weil sie sich vom (sozialdemokratischen) Wien stets wortreich auf Distanz gehalten – und den Mythos des Alemannentums zelebriert hat. Überhaupt, so scheint es, bereitet Wien dem westlichsten Bundesland permanent Kopfzerbrechen. Anfang 2014 hat das Landeshauptmann Markus Wallner wieder bewiesen: Auch er sprach sich für eine gemeinsame Schule aus – und wurde dafür von Bundesparteichef Michael Spindelegger unsanft in die Schranken gewiesen. Für Wallner selbst wird die Wahl ein Kraftakt werden: Es ist sein erster Wahlkampf um den Landeshauptmannsitz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2014)

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