Stundenkürzung: Lehrer und Schüler gingen auf die Straße

Lehrer, Schüler und deren Eltern protestierten am Mittwoch bundesweit gegen die geplante Schulstundenkürzung.

WIEN. "Was ist das für ein Land, in dem Schüler auf die Straße gehen müssen, um mehr lernen zu dürfen? Wir haben ein Recht auf Bildung." Die 17-jährige Katharina Strobl ist empört. Die Kürzung ihrer Schulstunden will sie nicht widerstandslos hinnehmen. Das Realgymnasium in der Wiener Kundmanngasse hielt am Mittwoch wie fast alle anderen AHS auch einen schulpartnerschaftlich organisierten Protesttag ab. Praktisch flächendeckend wurden an den AHS-Standorten Dienststellenversammlungen abgehalten. Der Unterricht war gestrichen, dafür diskutierten Lehrer, Eltern und Schüler miteinander. Dass sich Schüler vielleicht freuen könnten, zwei Stunden weniger die Schulbank zu drücken, sei ein Trugschluss, erklärt der Schulsprecher Werner Dolak von der Kundmanngasse: "Man muss da weiter denken."

Zu Gehrers Modell, das eine Kürzung von zwei Wochenstunden für jedes Schuljahr vorsieht, meint der Schülervertreter: "Ich glaube nicht, dass man so entlasten kann." Für Dolak stellt die von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer geplante Form der Stundenkürzung nämlich gar keine Entlastung dar. Denn der Stoff, der bei Prüfungen und Tests verlangt werde, sei noch immer derselbe. Der Druck auf die Kinder werde nicht verringert, sondern verschärft.

Einen Lösungsvorschlag hat der Schülervertreter auch parat. Eine Senkung der Schülerhöchstzahlen pro Klasse würde ein effizienteres Durcharbeiten des Lehrstoffes ermöglichen und eine Anstellung zusätzlicher Junglehrer ermöglichen. Kritischer Nachsatz: "Es ist uns eh klar, dass das nicht finanzierbar ist." Der Vorsitzende der AHS-Lehrergewerkschaft, Helmut Jantschitsch, freut sich über das Zusammenspiel der Schulpartner. "So geschlossen habe ich Eltern, Lehrer und Schüler nie erlebt."

Christina Ertl ist Mutter eines 14-jährigen Sohnes, der das Realgymnasium in der Kundmanngasse besucht. Sie kann einem Weniger an Schulstunden nichts abgewinnen. Man müsse hier auch an Eltern denken, die vielleicht nicht die Zeit hätten, sich rund und um die Uhr ihren Kindern zu widmen, gibt sie zu bedenken. "Zwei Stunden weniger Unterricht sind zwei Stunden mehr vor dem Computer", ist sie überzeugt. Denn den Kindern fehle schlicht die Selbstdisziplin, ihre Freizeit sinnvoll zu nutzen.

Die AHS in der Stubenbastei hat ihre dritten Klassen zum Unterschriftensammeln ausgesandt. "Nein. Wir machen das freiwillig", protestieren die Kinder umgehend. "Wir könnten nämlich noch im Bett liegen und schlafen, wenn wir nicht Unterschriften sammeln wollten", stellt die resolute 13-jährige Paula Polak klar, die bereits stolz auf eineinhalb gefüllte Unterschriftenlisten verweisen kann. Die stellvertretende Schulsprecherin ihrer Schule, Sophie Wagner, sorgt sich speziell um die Anliegen der Maturanten.

Durch die Kürzung der Wahlpflichtfächer sei eine vertiefende Matura in vielen Gegenständen schlicht nicht möglich. "Da muss man dann überbuchen, um so maturieren zu können, wie man es geplant hat. Da frage ich mich dann, wo eigentlich die Entlastung ist." Die jungen Schüler freuen sich sichtlich, mit ihren bunt gemalten Anti-Gehrer-Transparenten zum Minoritenplatz demonstrieren gehen zu können.

Die Demonstration vor dem Bildungsministerium mit rund 400 Teilnehmern, wie die Polizei schätzt, hat Volksfestcharakter. Kurt Winterstein singt ein Gehrer-Lied und das "Wir haben die Schnauze voll"-Lied. Wer ein Textblatt ergattert hat, stimmt ein. Eine Gruppe Schüler hat sich neben einem Sarg der Bildung, weil selbige wieder einmal zu Grabe getragen worden sei, auf Decken niedergelassen. Erdbeerkuchen in Tupperware wird herumgereicht. Auch Kreuze für einzelne Gegenstände wurden neben Grablichtern platziert.

"Gegen die Stundenkürzung" sitze man hier. "Und gegen den Krieg." Ob es etwas bringen wird? "Das nicht." Aber am 12. April ist schon die nächste Demo. Diesmal vor der US-Botschaft gegen den Irak-Krieg mit anschließendem "Die-In". Was das ist, ist sich eine brünette Kriegsgegnerin auch nicht sicher.

Den Lehrern, die mit Transparenten erschienen sind, ist es ernst. "Die Chancen der Junglehrer werden noch schlechter." Dass die Schüler, gerechnet auf acht Jahre bis zur Matura, durch die Schulstundenreduktion ein halbes Jahr an Schulzeit einbüßen, sei aber auch den Schülern nach der ersten Freude bewusst geworden. Deshalb seien sie auch hier. Barbara Wodak fühlt sich als Lateinlehrerin von den Kürzungen besonders betroffen. "Wenn gekürzt wird, warum man dann gezielt auf einzelne Gegenstände losgeht", versteht die junge Lehrerin nicht. Was vielfach auch nicht dazu gesagt werde, ist, dass mit der Kürzung von Latein auch die Kürzung einer lebenden Fremdsprache einhergehe - für jene Schüler, die kein Latein haben.

Bildungsministerin Gehrer zeigte sich vom Aufgebot vor ihren Pforten ungerührt. "Wir wollen ein Signal setzen, ein Signal, dass wir uns auf Wesentliches und Wichtiges konzentrieren - deshalb die geplante Stundenentlastung", erklärte die Ministerin bei einer Pressekonferenz. Sie habe auch nie verheimlicht, dass damit auch die Zielsetzung verbunden sei, die Entwicklung der Personalkosten nicht ungebremst davon laufen zu lassen. Eine Market-Umfrage, vom Ministerium in Auftrag gegeben, ergebe klar: "56 Prozent der Befragten bezeichnen die derzeitige Anzahl an Schulstunden als zu viel, unter den befragten Eltern waren es 64 Prozent", so Gehrer.

Die Schülerunion gibt der Ministerin Rückendeckung. Zum Protesttag meint etwa Obmann Marc Vecsey: "Dafür können wir kein Verständnis aufbringen. Wir sind der Ansicht, dass eine Zeitentlastung längst fällig war."


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