Von Herrgottsschlapfen zu Maßschuhen

Alt sind sie geworden. Und daher offenbar regierungsfähig. Die Grünen Van der Bellens gleichen nur noch ansatzweise der Ökopartei aus den Pionierzeiten.

WIEN. Wolfgang Schüssel als Biene Maya verkleidet, Alexander Van der Bellen als Fauler Willi: Trotz Fasching wird Österreich derlei muntere Kostümierung sicher nicht erleben. 1984 war da noch mehr Spaß im Spiel. Im Kampf gegen die Errichtung einer Donau-Staustufe in der Stopfenreuther Au gab es im Presseclub "Concordia" einen denkwürdigen Auftritt: ÖVP-Denker Jörg Mauthe als Schwarzstorch, Peter Turrini als Rotbauch-Unke, Günther Nenning als Rothirsch und Othmar Karas als Kormoran verkleidet.

Die Weihnachtstage 1984 in Stopfenreuth, besser bekannt als Hainburger Au, gelten heute als Zündfunke für die österreichische Grün-Partei. Öko-Kämpfer aus fast allen Gesellschaftsschichten hatten sich zur Besetzung des Geländes zusammengefunden, das zugunsten eines Donaukraftwerks gerodet werden sollte. Der Widerspruch als Leitmotiv der Öko-Partei hat somit eine lange Tradition. Denn daß die Vorläufer der Grünen, die Ahnherren rund um den Geologen Alexander Tollmann, 1978 gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf im Tullnerfeld auftraten - das hatte noch eine gewisse Logik. Daß aber just gegen die sauberste Form der Energiegewinnung - aus Wasserkraft - geradezu ein Volksaufstand losbrach, das verfolgte Österreich mit atemloser Spannung. Nicht nur die Bauarbeitergewerkschaft beobachtete den Aufstand zumeist bürgerlicher Jugendlicher mit rasendem Zorn - auch die Regierung Sinowatz/Steger zeigte sich der Situation nicht gewachsen. Nach blutigen Schlägereien zwischen Demonstranten und Gendarmerie blies die rot-blaue Koalitionsregierung alles ab.

Die TV-Journalistin Freda Meissner, verheiratet mit dem früheren Chef der "Arbeiter-Zeitung", Paul Blau, mischte schon bei Zwentendorf mit. Erst recht in Hainburg. Sie hatte die SPÖ verlassen, blieb aber nicht lang einsam. Denn den Parteipublizisten Günther Nenning hatte man inzwischen auch ausgeschlossen. Die beiden Journalisten standen an der Wiege einer Grünbewegung, von der damals noch keiner sagen konnte, in welche Richtung die Reise gehen würde.

Aus vielen kleinen Bächlein, aus unüberschaubar vielen Bürgerinitiativen, formierte sich die Bewegung, die sich zunächst "Grüne Alternative" nannte. Da kannte man noch keine "Rechten" und "Linken", da wirkten enttäuschte Bürgerliche mit abgefallenen Marxisten, heimatlos gewordene "68er" mit irrlichternden Freiheitlichen und Friedensbewegte mit vagen Vorstellungen Schulter an Schulter.

Doch während sich die Öffentlichkeit noch über die asketischen Umgangsformen grüner Mitgliederversammlungen amüsierte, war hinter den Galionsfiguren bereits eine Phalanx politisch bestens ausgebildeter linker Machtstrategen angetreten. Wann, wenn nicht jetzt, sollten die inzwischen promovierten Studenten aus dem Sturmjahr 1968 den "Marsch durch die Institutionen" wagen?

Schafwolle, möglichst naturbelassen, war "in". Stricken und Säuglinge Stillen während laufender Mitgliederversammlung war schon eine gute Voraussetzung, um als Basisfunktionärin Ansehen zu erringen. Während der Vorarlberger Öko-Bauer Kaspanaze Simma in Hergotts-Sandalen mit handgerolltem Bergkäse die Delegierten verwöhnte, dachten die marxistisch geschulten politischen Köpfe in dieser buntscheckigen Schar an ganz anderes: An eine ordentliche linke Partei, die ins Parlament einziehen sollte und dort Hecht im Karpfenteich spielen könnte. Denn vom kometenhaften Aufstieg Jörg Haiders am rechten Rand des Spektrums war damals noch keine Rede.

Was folgte, war marxistische Taktik vom Feinsten. Günther Nenning wurde gleich zu Beginn elegant ausgebremst, denn er hätte den Jungtürken die Show mit Sicherheit gestohlen. Er bekam von der "Basis" nicht einmal ein Mandat, als es darum ging, eine Kandidatenliste für die Wahlen 1986 zu erstellen. "Die Basis", das war die Plattform für die Erringung der Macht. Da waren die sogenannten Bürgerlichen von Anfang an auf verlorenem Posten. Freda Meissner-Blau beließ man vorerst an der Spitze, denn sie brachte Frauenstimmen. So stellte man sie als Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl auf - und gewann dadurch zusätzliche Schubkraft.

Eine schwierigere Nuß war in Form der "Vereinigten Grünen" zu knacken, die immerhin eine beachtliche bürgerliche Klientel eingebracht hatten. Das Pech des Vorsitzenden Josef Buchner aus Steyregg war, einen abgesprungenen Freiheitlichen als Generalsekretär zu halten: Wolfgang Pelikan, zuletzt FPÖ-Landesobmann des Burgenlandes.

Buchner zog zwar als Vertreter der Bürgerlichen 1986 in den ersten Parlamentsklub ein, doch die Querelen entnervten ihn. Schon 1987 schied er aus dem Klub aus und blieb "Wilder" bis zur Abwahl 1990.

Auch Freda Meissner-Blaus Tage waren gezählt. 1988 benötigte man sie nicht mehr zur Acquisition von Wählerstimmen, sie ging schließlich von selbst. Ihr Nachfolger im Klubvorsitz, der Staatsanwalt Walter Geyer, hielt sich nur ein paar Tage, dann folgten Andreas Wabl, schließlich der Salzburger Johannes Voggenhuber.

Der heutige Europa-Abgeordnete ist ein Paradebeispiel für die langsame, aber stetige Wandlung der Grün-Partei. Als unpolitischer Bürgerlistler gegen die Verschandelung der Salzburger Altstadt begann er. Warum auch sollte sich ein Semmelausfahrer und Nachtportier viel mit Ideologie beschäftigen? Mit 22 Jahren heiratet er - inzwischen Versicherungsvertreter - die Tochter des rechtsstehenden FP-Abgeordneten Otto Scrinzi. 1977 schließt er sich Herbert Fux und dessen Bürgerliste an, fünf Jahre später ist er Österreichs erster grüner Stadtrat. Danach holt er als Bundesgeschäftsführer die lahmende Partei aus ihrem Trockendock. Und heute vertritt er politischen Pragmatismus, daß den "Fundis" in der Partei die Grausbirn' aufsteigen.

Schlüsselspieler Pilz

Daß aus der einst himmelstürmenden und idealistischen Öko-Bewegung längst eine Partei geworden ist, daran hatte auch der Soziologe Peter Pilz, ein gebürtiger Steirer, maßgeblichen Anteil. In Wiener Studentenzeiten war er wegen Linksabweichlertums aus der SPÖ hinausgeworfen worden. Doch in dem neuen grünen Biotop schwamm er wie ein Fisch im Wasser (um wenigstens en passant Mao Tsetung zu variieren): Er schuf sich einerseits als "Aufdecker der Nation" in den zwei gigantischen Korruptionsskandalen "Lucona" und "Noricum" ein scharfes Profil, er wurde auch der erste "Bundessprecher". Bis dahin glaubte die junge Partei, auf derlei Personenkult verzichten zu können. Von dem zunächst vereinbarten "Rotationsprinzip" der Mandatare war gar keine Rede mehr. So kann sich etwa Peter Pilz schon zu den dienstältesten Abgeordneten der Republik zählen.

Als Andreas Wabl im Parlament eine Hakenkreuzflagge schwenkte, um gegen den Bundespräsidenten Waldheim zu demonstrieren, paßte das durchaus ins Bild einer unangepaßten, Konventionen verachtenden Fraktion. Als die grüne Klubkollegin Heindl ihren Säugling in den Abgeordnetenbänken stillte, ebenfalls. Die Erregung darüber mag heute anachronistisch erscheinen. Aber damals gingen die Wogen hoch. Den Vogel schoß freilich die "Kronen-Zeitung" ab, die das arme wehrlose Kleinkind herzlich bedauerte: Was, so zeterte "Staberl", würde wohl aus diesem armen Wurm, "wenn er schon im zarten Alter all den Unsinn mitanhören müsse, der im Parlament verzapft wird?"


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