Kommentar: Dieser 13. März 1938

(c) Die Presse (Fabry Clemens)
  • Drucken

Die Schriftstellerin und Regisseurin Marlene Steeruwitz über den Jubel der Österreicher und ihre Selbstentfremdung.

Dieser 13. März 1938. Wir haben nur die Bilder der Macht, uns ein Bild zu machen. Wir kennen nur den Jubel und die Zustimmung. Wir haben nur die seelenvoll lächelnd leuchtenden Gesichter der Beglückten zur Erinnerung an diesen Tag. Von den Unglücklichen wird uns kein Bild gelassen. Erst als Material tauchen sie in den bildlichen Aufzeichnungen und den Statistiken wieder auf. Immer bleibt es beim Blick der Macht. Es kann aber nur gesehen werden, was gezeigt wird. Und so müssen wir die Erinnerung an diesen Tag selber weiterdenken. Die anderen. Von ihnen bleibt nur die Erzählung, wenn überhaupt etwas geblieben ist.

Die Zensur der Macht des 13. März 1938. Sie reicht bis heute. Mit diesem von der Macht der Nationalsozialisten hergestellten Raum der Geschichtsschreibung ist ein Innen geschaffen, dessen Anziehungskraft bis heute in unsere Politik reicht. Die Bilder der glücklichen Menschen des 13. März 1938 werden immer noch zur Zeugenschaft herangerufen, wenn etwa dieser Satz fällt, daß ja schließlich nicht alles schlecht gewesen war. Dann danach. Und daß man schließlich leben habe müssen.

Gleichzeitig werden die, mit diesen vor Glück glühenden Gesichtern eingeleiteten 7 Jahre in sich unerreichbar abgekapselt. Denn das „Dann Danach". Das wird unter der Rubrik „deutsch" geführt. Dann danach damals war man deutsch. Alles, was in dieser Zeit geschah, wird unter „deutsch" abgeheftet. Selbst der Nationalsozialismus wird mit dem Deutsch Sein in eins gesetzt. Die Deutschen und die Nazis werden so verschmolzen, daß das Österreichische davon unberührt bleiben kann. Dieselben Personen verwandeln sich in sich in nur noch gleiche, obwohl sie damals selber andere waren als Deutsche, die vorher schon Österreicher gewesen waren.

In einem Akt der Entfernung von sich als in dieser Zeit deutsch wurde das Österreichische das Leidlichere. Das Nützlichere. Das Einfachere. Die Verantwortung wurde in diesem Akt der Selbstentfremdung nicht mitherübergenommen. Je nach Generationenzugehörigkeit schwebt dieses Selbstabgetrennte phantomhaft noch in den Schicksalen. Die Waldheim Affaire hat von dieser Selbstverstümmelung gehandelt. Während die Welt die Geschichte gemeint hat, blieben die nun Österreichischen bei der selbstgerechten Klage über den Vorgang der geschichtlich nützlichen Selbstamputation.

Es wäre das alles nun diesen glückglühenden Gesichtern anzulasten. Aber so ist die Wirkung von Propaganda. Wir sehen die Ekstase mit Erstaunen, weil wir genau aus diesen Bildern lernen mußten, daß sie nicht gelten. Daß die Bilder von so einem Glück Lüge sind. Darin sind diese Bilder dann stete Beraubung in unseren Leben. Was diese Gesichter an Erfüllung spiegeln, ist uns genommen. Das ist in der Ökonomie der Geschichte nicht viel. Es ist aber eine der Erbschaften, die über ein Nicht Vorhandenes das Damalige erhalten und unsere Leben mit einem „trotzdem" belasten. Wir können nur trotz alledem, was hier mit dem 13. März 1938 begann, glücklich sein, weil den Opfern dessen, was da begonnen wurde, jede Möglichkeit genommen wurde. Das Bild des glücklichen Gesichts ist für uns die Abbildung allen Schreckens und nur der Vorgang, sich dessen bewußt zu werden, befreit zumindest aus der Melancholie der Verantwortungslosigkeit.

Es ist so lange her. Aber das Glück dieser Stunden. Es wird in diesen strahlend glänzenden Gesichtern immer zu sehen sein und immer diese Folgen gehabt haben. Dieser Triumph. Haben wir. Hat dieses Land. Hat diese Gesellschaft wirklich alles unternommen, diesen Triumph einzusprechen.

Wohl nicht. Es waren ja immer andere, die da gewesen waren. Weil sie da Deutsche waren und bei der Verwandlung in Österreicher diese Zeit los werden mußten und sich dann ganz andere für sie an diese abgeschnittene Zeit erinnern mußten.

Das Unheimlichste allerdings ist die Selbstverständlichkeit, mit der uns dieser Vorgang verschwiegen wurde. Wir wurden zu Unwissenden gemacht. Die Zensur in die Bilder des Glücks reicht damit in unsere Leben hinein. Jeder und jede darf selber draufkommen, was das nun alles bedeutet hat.

Dann muß aber jeder und jede das auch aushalten können. Wir zahlen jeden Tag dafür, daß wir so verachtet wurden von unseren Eltern, Großeltern und der Politik. Jeden Tag, wenn die Politiker sich in diesen kleinlichen Beschuldigungen ergehen und diese winzigen Finten anwenden, Schuld von sich abzuwehren. Jeden Tag, wenn alle sich erschöpft von diesen Spielereien abwenden und nichts mehr hören können. Jeden Tag zahlen wir für die Selbstverachtung des Österreichischen, das das Deutsche verleugnen konnte und sich zu nichts bekennen mußte. Verantwortungslosigkeit hat eben Folgen. Die Bilder des 13. März 1938 zeigen den strahlenden Anfang davon in der ersten Umwandlung ins Deutsch Nationalsozialistische.

Zur Person:

Marlene Streeruwitz wurde am 28. Juni 1950 in Baden bei Wien geboren. und lebt in Wien und Berlin.

Die Schriftstellerin und Regisseurin wurde für ihre Werke mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem 1997 für ihr Erstlingswerk mit dem Mara Cassens-Preis und 2002 mit dem Walter-Hasenclever-Literaturpreis.


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.