Wir Gsiberger sind nicht besser, aber g'höriger

Wir Gsiberger sind nicht besser, aber g'höriger

In einem Monat wählt das westlichste Bundesland einen neuen Landtag. Es gibt selbst in Ostösterreich die These, Vorarlberg sei das "bessere Österreich". In der "Presse am Sonntag" sehen wir Gsiberger das unterschiedlich.

Der Chefredakteur der „Presse" hochselbst also hat kürzlich die These publiziert, wonach Vorarlberg, mein puppenhäusiges Ländle im Westen, „das bessere Österreich" sei. Also wenn ein Tiroler, der seit Ewigkeiten in Wien lebt, das so sieht, dann könnte ja etwas dran sein. Und dann bin ich nicht hoffärtig, sollte ich unter Umständen auf ein ähnliches Ergebnis kommen wie er. Odr?

Ich muss vorausschicken, dass ich jetzt, mit Ende 40, mehr als die Hälfte meines Lebens sozusagen in Ostarlbergien gelebt habe: Da war ein Jahrzehnt zum Studieren und Arbeiten in Tirol, ein Jahr in Krems, drei Jahre in Wien, und seit 2003 lebe ich in Niederösterreich. Freundschafts- und frauenbedingt war ich oft und lange in Salzburg und der Steiermark, ich kannte manch Kärntnerin, bin oft im Burgenland - und übrigens zur Hälfte Oberösterreicher. Meine Frau ist aus NÖ, ihre Eltern sind Wiener. Also ich denke, dass ich Österreich und seine Stämme, lokalen Stimmungen, Mentalitäten, guten und schlechten Seiten überdurchschnittlich gut kenne.

Dass Vorarlberg schön ist, ist klar, aber das ist es anderswo in Österreich und der Welt auch, darin kann kein Vorbild, kein Grund zur Arroganz liegen. Für die topografische Gestalt und Ausstattung der Umwelt kann der Mensch nämlich sehr, sehr wenig, die Natur hat das alles geschaffen.

Also wo sind wir Gsis wirklich besser? Wir sind doch nur etwa 380.000 Leut (Ausländeranteil 14 Prozent, Rang zwei nach Wien), das sind weniger als Grazer und Innsbrucker zusammen, oder Wien-Favoriten, Donaustadt und Wieden auf einem Haufen - das allerdings so hübsch verteilt auf 2600 Quadratkilometern, dass sich für sehr viele von uns ein menschengerechtes, bukolisches Leben in eigenen Häusern mit Garten ausgeht statt Menschenhaltung in urbanen Lebebatterien. Und das in einer gut vernetzten und durchlüfteten Region im Bodenseeraum mit Anschluss an die Nachbarländer, das hellt Gemüt und Gesundheit auf. Immerhin ist die Lebenserwartung mit (2013) 81,9 Jahren die höchste in Österreich nach Tirol; Schlusslichter sind Wien, NÖ und das Burgenland, wo (ein bekannter medizinischer Faktor) die Adipositas-Rate statistisch und offensichtlich höher ist.

Sprachgewandte Käsekönige

Wolfgang Greber

Nun, wir sind, man glaubt es angesichts unserer bizarren Sprache kaum, sprachlich beschlagener als die meisten in Ostarlbergien. Wir verstehen nämlich alle Österreicher dort, nicht alle dort aber verstehen uns. Das also ist ein schnelles 1:0 und auch dem ORF geschuldet, der uns von Kind auf Ostsprachen lernen lässt.

Auch unser Käs, dieses Aushängeprodukt, ist der beste, keine Debatte! Wir machten mit (2013) rund 9760 Tonnen zwar nur etwa sieben Prozent des Ö-Käses. Aber das, was in manch anderen Bundesländern entsteht, meist durch Großerzeuger (ich nenn jetzt weder Namen noch Länder, sonst tunken die mich ins Käsfondue), ist oft gestockte Milch mit Kunststoff-Goût, kein Käs. Selbst die bei Agrarmarkt Austria (AMA) schreiben: „Mit Sicherheit hat Vorarlberg in Österreichs Käseproduktion einen Spitzenrang. Die Alpinwirtschaft bringt aufgrund ungedüngter Wiesen, einer besonderen Graswurz und klarer Höhenluft eine geschmacklich unerreichte Milch hervor."

Klar spitze ist mein Ländle bei Wirtschaft und Wohlstand: Die Arbeitslosenrate ist immer relativ gering, aktuell 5,5 Prozent (Ö-Schnitt 7,4, besser waren nur OÖ und Salzburg). Das Primäreinkommen pro Kopf ist eines der höchsten, zuletzt (2011/12) laut Statistik Austria 25.300 Euro (Ö: 23.800). Das Bruttoregionalprodukt pro Erwerbstätigem betrug 2011 (aktuellste Zahl) im Ö-Schnitt 69.500 Euro, in Vorarlberg 75.400. Nur Wien war mit 79.800 Euro besser, aber: Da haben überproportional viele bundesweit tätige Firmen ihren Sitz, und auch, wenn sie dort in der Hauptstadt nichts erzeugen (etwa die OMV), gelten sie steuerlich und nach anderen ökonomischen Kriterien als „wienerisch".

Unser Wohlstand fußt unter anderem in der starken Industrie: Der Beschäftigtenanteil von 31 Prozent darin ist der höchste Österreichs (Schnitt: 23; Wien: 13). Vorarlberg ist der vielzitierte „Exportmeister" Österreichs: 2013 gingen etwa 58 Prozent des Outputs ins Ausland, wir liefern uns da mit OÖ ein Kopf-an-Kopf-Rennen, bei einem Ö-Schnitt von 40 Prozent (Wien: 22). Unser Anteil an Österreichs Gesamtausfuhren betrug knapp sieben Prozent, beim Exportwert pro Einwohner liegt Vorarlberg mit 22.400 Euro gar auf Rang 1 (Ö-Schnitt 14.800).

Westwendung dank Maria Theresia

Tatsächlich war mein Ländle, das die seit 1278 in Wien regierenden Habsburger ab 1363 stückweise erwarben, um eine Brücke zu ihren Stammlanden in der Schweiz zu schaffen, lange bettelarm. (Ja, die Habsburger waren ein Adelsgeschlecht aus dem Gebiete der heutigen Schweiz, mit früheren Wurzeln im Elsass. Klar, der Name „Schweizer" taucht zwar erst lange nach 1278 auf, abgeleitet vom Kanton Schwyz und seinen unbezwingbaren Kriegerbauern, nämlich in Ansätzen 1386 und dann so richtig ab 1415, als ihn der römisch-deutsche König Sigismund in einem Schreiben verwendete, aber wie dem auch sei: Nimmt man's nicht allzu genau, kann man sagen, dass die klugen Österreicher sich jahrhundertelang sozusagen von Schweizern regieren ließen, harhar!)

Die Mittagsspitze bei Damüls, Zentralvorarlberg
Die Mittagsspitze bei Damüls, Zentralvorarlberg wg

Aber zurück zu Vorarlberg. Weil die im Rheintal früh entstandenen Textilmanufakturen unter Kaiserin Maria Theresia nicht in den Osten Österreichs exportieren durften (die Herrscherin schützte nämlich so die Textilerzeuger ihres geliebten Schlesiens), mussten wir uns den Westen erschließen, wohin es ja sowieso geografisch offen ist. Das merkt man auch an typischen Gsi-Namen wie Rhomberg, Bösch, Häusle, Malin, Wachter, Zumtobel, Gächter oder Greber, die in Frankreich, der Schweiz und Südwestdeutschland ebenfalls verbreitet sind.

Red Bull kommt aus dem Ländle

Diese Westorientierung trug nach 1918, als die Wirtschaft und vieles andere in Ostösterreich kollabierten, reiche Früchte. Und während nach 1945 dort der Eiserne Vorhang und die nicht minder dichte Grenze zu Jugoslawien vieles dämmten, konnten wir ungestört „schaffa" und exportieren. Heute haben wir bedeutende Unternehmen etwa im Sektor Maschinenbau, Elektronik, Textilien und Lebensmittel: etwa den Seilbahnweltmarktführer Doppelmayr, den Beschlägekonzern Blum, den Leuchtmittelhersteller Zumtobel und - wenig bekannt - Alpla, das ist der wichtigste Erzeuger von Kunststoffverpackungen, speziell Plastikflaschen, weltweit; dessen Produkte sieht jeder Mensch vermutlich mindestens einmal am Tag, Supermärkte sind jedenfalls voll davon, nur erkennt man Alpla-Produkte als solche eben nicht: Da steht dann nämlich etwa Coca-Cola, Vöslauer, Rauch, NÖM, Persil, Heinz, Palmolive, Head&Shoulders oder WC-Ente drauf. Und Österreichs Top-Produkt, Red Bull, vorgeblich ein Salzburger Geschöpf, wird von der Rankweiler Firma Rauch abgefüllt.

Übrigens: Das erste Telefon der k.u.k.-Monarchie stand nicht in Wien, Prag oder Triest, sondern justament in Dornbirn. Es verband zwei Standorte der Textilfirma F. M. Hämmerle und wurde von Kaiser Franz Josef im August 1888 bei seinem einzigen Besuch in diesem seinem Erbland eingeweiht.

Arbeiten statt theoretisieren

Sicher entstammt dieser Wohlstand auch Fleiß - einer Eigenschaft, die uns so wie unseren alemannischen Geschwistern etwa im Elsass und in Baden-Württemberg nachgesagt wird. Aber sind wir wirklich fleißiger als die in Ostarlbergien? Schwer zu sagen. Sicher heißt's bei uns „Schaffa, schaffa, Hüsle baua", und welch anderes Volk in Ö bekennt sich derart offensiv zu Arbeit statt zu Frühpension? Nur: Die Ostarlberger in meinem beruflichen wie privaten Umfeld sind zumeist auch alles andere als faul, ja mithin bemitleidenswert hyperaktiv. Zudem ist es so: Überproportional viele von uns pendeln in die Schweiz und nach Liechtenstein zu, vor allem für ostarlbergische Verhältnisse, extrem gut bezahlter Arbeit. Fiele das weg, wär's vorerst aus mit schaffa, und die Arbeitslosenrate im Ländle würde explodieren.

Blick auf die Gemeinde Au/Bregenzerwald, gen Osten
Blick auf die Gemeinde Au/Bregenzerwald, gen Ostenwg

Dass uns Lehre und Handwerk aber wichtiger und wertvoller sind als anderswo, ist auch bekannt und sollte sicher vorbildlich sein. Das schlägt sich etwa in einer vergleichsweise geringen Jugendarbeitslosigkeit und höherer wirtschaftlicher Gesamtleistung nieder. Und während anderswo an den Unis ökonomisch blutarme, teils ideologisch und politisch aufgeblasene Rechthaberstudien vor allem im geisteswissenschaftlichen Bereich blühen (ich will keine Namen nennen, das wäre unfair), lernt man in Vorarlberg, wie man eine Maschine, einen Leuchtkörper, einen Kran für die Schifffahrt (!), Straßen, Mauern, Rauchabzüge, Käs, Plastikflaschen, Lingerie und so weiter g'hörig baut bzw. g'hörig wartet und so zum Wohlstand beiträgt. Und wer gescheiter werden will, geht eben nach Innsbruck, Salzburg, Graz, Leoben oder Wien, lernt Sachen wie Medizin, Jus, Ingenieurswesen, Biologie, Chemie, Montanistik, Musik, Geschichte oder Sprachen und bringt das wertvolle Wissen zurück, sofern er nicht bleibt.

Sparen ist nie ein Fehler

Wir haben sicher ein gutes Händchen fürs Wirtschaften. So denken wir, dass es sich auf einem geldgefüllten Kissen besser schlafen lässt als auf einem Schuldkissen, und so ist auch die Sparquote bei uns höher und die private Verschuldung im Schnitt geringer als in Ostarlbergien. Allerdings wuchs zuletzt die Zahl der Privatkonkurse stark. Auch die Landesverschuldung ist die kleinste Österreichs: 2012 waren es 171 Millionen Euro (und das hat die in der Landesregierung gewurmt!). In Tirol war es fast doppelt so viel, von NÖ und Wien wollen wir nicht reden (6,8 bzw. 5 Milliarden Euro). Pro Kopf waren Vorarlberger somit mit 457 Euro öffentlich verschuldet, Niederösterreicher hingegen mit 4200 und die Kärntner Kirchenmäuse mit 4738 Euro (Danke, Jörg!).

Wenn uns Soziologen und Volkskundler auch noch andere positiv besetzte Eigenschaften wie Nüchternheit, Bescheidenheit und Skepsis gegenüber Autoritäten zuschreiben, so ist das sicher nichts Unrühmliches. Wichtig zum Grundverständnis unserer Mentalität aber ist der oben bereits mehrfach erwähnte Begriff „g'hörig". Das heißt „wie es sich gehört" und ist ein komplexes, auch emotional beladenes Bedeutungsbündel. Es steht für so viel wie „anständig" (aber ohne den Blut-und-Boden-Unterton à la FPÖ), vernünftig, gut, richtig, schön, stark, viel, wertvoll, von guter Qualität, nahrhaft, fleißig, fair, gerecht.

Kernbegriff unserer Mentalität: „g'hörig"

Jemand, der seine Arbeit gut macht, der Schrauben statt Nägeln nimmt, schafft g'hörig. Wer fleißig lernt, lernt g'hörig, geborgtes Geld rasch zurückzahlen ist g'hörig. Ein g'höriges Essen ist bodenständige Hausmannskost, nahrhaft und reichlich, ein Chi-Chi-Gericht à la mit Garnelen gefüllte Datteln auf linksdrehendem Hummus ist nicht g'hörig. Eine g'hörige Frau kann kochen, zupacken, ist nett und zumindest halbwegs hübsch, aber nicht zu hübsch, und ja kein Luxusweibchen! Ein g'höriger Mann ist kein Vegetarier, kann Skifahren, Reifen selber wechseln und Lampen montieren, bei Basisphysik, Geschichte, Geografie und Politik kann er auch mitreden. Wer aber nur mit Büchern kann und sonst nix Handfestes, der ist nicht g'hörig.

Kinder am Bodensee
Kinder am Bodenseewg



Ab fünf Bier ist's ein g'höriger Rausch, und wer hoch verschuldet oder in Scheidung ist, hat an g'hörigen Scheiß beianand. Wer hinter dem Rücken anderer blöd redet, intrigiert oder sich anderen andient, ist auch nicht g'hörig. Halbseidene Typen sind nicht g'hörig. Walter Meischberger ist nicht g'hörig. Jörg Haider hat nur so getan.

Viele Vorarlberger Frauen legen sich spätestens Ende ihrer 20er eine g'hörige Frisur zu. Das ist dieser Phänotypus schwarz bzw. rötlich gefärbte, eckige und praktische Kurzhaarfrisur. Vorarlbergerinnen sind damit meist leicht erkennbar.

Wir halten besonders viel von „Fairness", das ist g'hörig und da sind wir den Engländern ähnlich, vor allem, weil in unserem Denken auch so etwas wie das angelsächsische Rechtsprinzip der „Equity", der „Billigkeit", eine Rolle spielt, eine naturrechtliche Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit, die über dem geschrieben Gesetz steht und in der Ethiklehre des Aristoteles wurzelt. Jedenfalls ist „g'hörig" auch irgendwie ein Ausfluss daraus, denn wer andere unfair behandelt, falsch, intrigant, „hintenrum" oder listig ist oder sich auf windige Weise bereichert, ist nicht g'hörig.

Bestechen sollen andere

Darum gelten wir Vorarlberger auch als weniger korrupt. Die berühmte Sache mit dem „Kuvert" etwa (darin ist dann ein allseits beliebtes Ding, mit dem die Menschheit Tauschgeschäfte weitgehend abgelöst hat) gibt es bei uns nicht, das fängt, wie manch Vorarlberger Unternehmer befindet und mir jedenfalls berichtet, ab Salzburg ostwärts an. Ja, da war zuletzt diese Testamentfälscheraffäre am Bezirksgericht Dornbirn, also die hat g'hörig an unserem Image gekratzt. Aber die Tatsache, dass der Wirbel zu Recht so enorm war, zeigt, dass solche Affären bei uns etwas Seltenes sind. In Ostarlbergien hingegen gehört das angeblich ja fast zur gewöhnlichen Geschäftstätigkeit, sagt man zumindest in Vorarlberg.

Wir mögen auch Unterwürfigkeit und Einschleimen nicht, das Gemauschle, das Hintenrum-Gepackel ist nicht so unseres - wenngleich es nicht ganz falsch ist, mit einer bestimmten politischen Partei verbandelt zu sein. Wir stechen selten mit dem Messer von hinten zu, wie es andernorts zu beobachten ist. Aber wenn wir einmal auf Rammgeschwindigkeit stellen, können wir so wuchtig wie listig sein. Und zwar auf eine bauernschlaue Art, die sich gern als „vernünftig" tarnt, jedenfalls aber - nach Möglichkeit - auch noch juristisch korrekt ist, oder zumindest innerhalb einer erlaubten rechtlichen Grauzone, was dann insgesamt viele Ostarlberger mitunter kalt erwischt.

Wir stellen den Inhalt über die Form

Wir sind sprachlich recht direkt, und wenn wir glauben, etwas sagen zu müssen, sagen wir es - und zwar unverschwurbelt, was Indirekt-Kommunizierer mithin irritieret, aber wir stellen den Inhalt über die Form, nicht die Form über den Inhalt. Sprüche wie „Das kann man so nicht sagen" hassen wir, auch das affektierte Getue von wegen „Ton" oder „Tonalität". Und politisch korrekt sind wir auch eher nicht, der Käsgott behüte! - in der Hinsicht sind indes die meisten Ostarlberger auch nicht anders.

Herbststimmung über dem Bregenzerwald
Herbststimmung über dem Bregenzerwaldwg



Wir sind großteils keine Poseure, wie gesagt, die Form ist weniger wichtig als der Inhalt. Darum geht es auch, finde ich, irgendwie entspannter zu zwischen Arlberg und Bodensee. Da ist nicht diese urbane Wichtigtuerei und kein verkrampfter Versuch, sich von „der Provinz" abheben zu müssen - Provinz ist erstens fast überall, zweitens wird der Mensch mit zunehmender Besiedlungsdichte nicht automatisch edler oder klüger, und drittens sind auch Städte, etwa Graz und Wien, im Grunde nichts anderes als an ein paar Kulturkernen kondensierte Provinz.

Das Leben ist jedenfalls gut hier, wir sind aber auch genügsam. Wir Vorarlberger müssen übrigens auch im eigenen Land keine Plakate aufstellen so wie die in Wien, auf denen die Stadtverwaltung für das Leben in der Stadt wirbt und wie toll hier nicht alles sei. Also wenn man Werbung für die Stadt in der eigenen Stadt machen muss, mit flehenden Slogans wie „Wien ist lebenswert", dann stimmt doch etwas nicht! Normalerweise wirbt man doch außerhalb der eigenen Grenzen für sein Land und braucht keine Aufmunterungs-, ja Durchhalteparolen für die eigenen Leute.

Apropos Wien: Die halbe Stadt liefe ja ohne Vorarlberger nicht, und es geht hier nicht um Hilfsdienste. Beispiele gefällig? Das Wiener Bier etwa - Ottakringer - macht Sigi Menz aus Dornbirn. Die Bregenzerin Sabine Haag macht das Kunsthistorische Museum. Und den „Falter"- die ur-urbane „Wiener Stadtzeitung" - macht ebenfalls ein Bregenzer, Armin Thurnher.

Weltoffen sind wir schon lange

Dass all die erwähnten nicht g'hörigen Dinge auch bei uns passieren, kommt natürlich vor. Aber nicht jeder von uns ist eben g'hörig, und gegen den Import fremder Sitten kann man sich schwer abschotten. Wir sind nämlich in der Tat weltoffen, und zwar mindestens so, wie es manche in Wien von sich bzw. ihrer Stadt behaupten. Das liegt unter anderem an der Lage Vorarlbergs, das schon Richtung Schweiz, Süddeutschland, Frankreich und wenn wir wollen Norditalien hin offen war und einen entsprechenden Waren-, Personen-, Kultur- und Lebensartaustausch hatte, als der Osten und Süden Österreichs noch vom erwähnten Eisernen Vorhang und Jugoslawien umhüllt war und sozusagen im eigenen Sud schmorte. Fuhr man noch Ende der 1980er über Tirol beispielweise nach Linz oder Wien, hatte man wirklich - das fing etwa ab Mondsee, spätestens bei Wels an - das Gefühl, als fahre man in einen muffigen Sack hinein - in den sie halt zur Rettung der dortigen Menschheit ein paar coole Lokale, Museen, Theater, Kulturveranstaltungen und andere Attraktionen zum Zeitvertreib aufgestellt hatten.

Bregenz, typische Wetterlage
Bregenz, typische Wetterlagewg



Es mag sein, dass man östlich des Arlbergs nur selten Vorarlberger Nummerntafel sah und sieht. Aber es gibt eben erstens weniger Autos bei uns als in den größeren Ländern Ostarlbergiens, und zweitens sieht man Ländle-Nummerntafeln dafür eben häufiger in den angrenzenden Regionen der erwähnten westlichen und nördlichen Nachbarstaaten, also das ist nicht weniger weltoffener, als würde man nach Ostarlbergien fahren.

Und da war noch ein wichtiger Faktor, ein medialer: Im Ländle gab es schon ab den 1960ern etwas, das man „Ringleitung" nannte und im Grunde Kabelfernsehen war. Damit ließen sich alle Schweizer und (west)deutschen TV-Sender bis hinab zu Regionalkanälen wie dem Südwestfunk, MDR und NDR empfangen. Durch die aber kam ein breiterer Ausschnitt der Welt zu uns als im Großteil Ostarlbergiens, wo sich die Welt bis in die 1980er durch zwei Kanäle des Staatssenders ORF quetschen musste. Ich kann mich noch erinnern, wie eigenartig das immer war, wenn es bei meinem Onkel Johnny, der nahe Hörsching bei Linz wohnte, nur FS1 und FS1 gab, und das noch Anfang der 80er.

Konservativ ist cooler

Ja, natürlich sind wir tendenziell eher konservativ. Aber ist das eine schlechte Eigenschaft? Konservativismus ist doch vielmehr eine vernünftige Konsequenz gesunder Skepsis! Wir nehmen halt nicht alles, was als „neu", „alternativ", „fortschrittlich", „besser" daherkommt, und sicher nicht jeden Blödsinn, unreflektiert als automatisch g'hörig auf.

Ein wenig konservativ sein ist nicht falsch
Ein wenig konservativ sein ist nicht falschwg

Wir schauen uns die Dinge erst einmal an und wägen sie ab, bevor wir sie beurteilen und gegebenenfalls für g'hörig befinden. Wir fällen ungern Schnellschuss-Urteile, wie sie leider etwa im Journalismus so alltäglich wie nötig sind.

Im Übrigen ist konservativ, das Bewahren, eine grundsätzliche Eigenschaft eines jeden Menschen: Jeder ist bezüglich dessen konservativ, was ihm wichtig ist. Versuchen Sie etwa einmal, an den im Zuge langer Auseinandersetzungen aufgebauten Arbeits- und Sozialrechten oder beim Umweltschutz etwas wegzunehmen: Ach, da werden Sozialisten, Grüne und andere Linke aber schnell sehr konservativ.

Also, hat unser Chefredakteur mit seiner These Recht? Ja und nein, denke ich. Wir Gsiberger sind, von einigen zum teil banalen Offensichtlichkeiten abgesehen, keine genetisch besseren Österreicher. Aber wir sind entspannter. Direkter. Moderater. Und g'höriger. Wir versuchen zumindest, es zu sein, das lassen wir uns nicht nehmen, Harrgottzack!

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Doch, doch, ein paar Besonderheiten aus dem Bregenzerwald würden auch dem übrigen Österreich ganz gut tun.

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