Mitterlehner, ein neuer Schüssel?

Reinhold Mitterlehner richtet den Kurs der ÖVP neu aus.
Reinhold Mitterlehner richtet den Kurs der ÖVP neu aus.APA/HELMUT FOHRINGER
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Reinhold Mitterlehner will werden, was Wolfgang Schüssel war: Kanzler. Ihre Lebenswege sind ähnlich, ihr Zug zum Tor ist es auch. Die ideologische Ausrichtung unterscheidet sie jedoch.

Von der Biografie her sind sie einander nicht unähnlich: Wolfgang Schüssel, Jurist, Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, überzeugter Sozialpartner, später Wirtschaftsminister, Vizekanzler und ÖVP-Obmann. Reinhold Mitterlehner, Jurist, Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, überzeugter Sozialpartner, später Wirtschaftsminister, Vizekanzler und ÖVP-Obmann.

Als Schüssel ÖVP-Chef wurde, erst recht, als er Kanzler wurde, hat er sich neu erfunden. Mitterlehner ist gerade dabei. Mit ein wenig umgekehrten Vorzeichen allerdings. Legte Schüssel seinen Fokus auf eine liberalere Wirtschaftspolitik, so versucht Mitterlehner nun vor allem, im gesellschaftspolitischen Bereich liberalere Wege zu gehen.

„Wir werden den einen oder anderen verlieren“, meinte Reinhold Mitterlehner gestern vor dem versammelten ÖVP-Klub. Man könne leider nicht für 100Prozent Politik machen, die damit dann auch zu 100Prozent zufrieden seien. Die Zeit der Klientelpolitik sei vorbei. Die ÖVP dürfe nicht mehr als jene Partei wahrgenommen werden, die nur bewahre, nicht verändere. Die Abgeordneten, darunter auch die ÖVP-Minister, quittierten diese Kritik am Status quo dennoch mit Stakkato-Applaus. Ob aus Höflichkeit oder Überzeugung, lässt sich schwer sagen.

Homo-Rechte und Gymnasium

Es sind zwei Reizthemen, die Mitterlehner lösen will. Zum einen die Frage der Homosexuellengleichstellung: Hier scheint zumindest eine Verpartnerung am Standesamt unter Mitterlehners Ägide in greifbare Nähe zu rücken, die Frage der Adoption wird Teil des Evolutionsprozesses der ÖVP sein. Vor allem aber die Bildungspolitik: Die Festlegung „Das Gymnasium muss bleiben!“ habe der ÖVP ein Image der Nichtveränderung gebracht, sagte Mitterlehner, der sich als Ratgeber den in der schwarzen Lehrergewerkschaft umstrittenen Buchautor Andreas Salcher holte, gestern. Allerdings hat er schon auch noch Christgewerkschafter Paul Kimberger im Beraterpool. An den Bildungsbereich geht Mittlerlehner jedenfalls ohne Scheuklappen heran, bisherige ÖVP-Dogmen werden zur Seite gestellt. Der Ausgang ist offen.

Die Stimmung in der ÖVP ist so gut wie lange nicht. „Mitterlehner hat Schmäh, Authentizität und Bürgernähe“, meint ein Mandatar. Auch wenn der Mitterlehner-Effekt bei der Vorarlberger Landtagswahl ausgeblieben ist, in der ÖVP gibt es ihn. Wobei manche behaupten, unter Parteichef Michael Spindelegger hätte die ÖVP in Vorarlberg noch schlechter abgeschnitten.

„Es herrscht Aufbruchsstimmung“, sagt ein anderer ÖVP-Abgeordneter. Mitterlehner habe den Willen, die Partei, auch das Programm, zu modernisieren. Auch das Thema Steuerreform werde nun sehr professionell angegangen, die Entlastung bei Lohn- und Einkommensteuer werde endlich kommen. Spindelegger ist da ja eher auf der Bremse gestanden. Mitterlehner hingegen hat sich am Donnerstag einmal mehr darauf festgelegt, dass es eine Entlastung geben werde – allerdings ohne neue Schulden. „Mitterlehner hat alle Chancen der Welt, Kanzler zu werden“, sagt der Mandatar. „Wenn die Partei mitgeht.“

Hat Reinhold Mitterlehner also das Zeug zum Wolfgang Schüssel? Er zeigt auf jeden Fall einmal Leadership. Er will die Kommunikation in der Partei verbessern, Reformen besser erklären. Wolfgang Schüssel hat stets die Landesobleute und andere wichtige Player in der ÖVP in seine Entscheidungen miteingebunden. Die Frage ist, wie sehr Mitterlehner seine Sozialpartnervergangenheit abschütteln kann.

Einen kleinen Vorgeschmack gab es gestern vor den ÖVP-Abgeordneten jedenfalls schon einmal. „Freiheit und territoriale Integrität“ seien wichtiger als wirtschaftliche Interessen, meinte er in Bezug auf die Ukraine-Krise. Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl sieht das bekanntlich ein wenig anders.

Konsensorientierter

Dennoch ist nicht davon ausgehen, dass Mitterlehner, vom Typ her konsensorientierter als Wolfgang Schüssel, bewusst die Konfrontation mit den Sozialpartnern suchen wird. Zumindest nicht als Vizekanzler. Als Kanzler sähe die Welt möglicherweise anders aus.

Wobei die Zeitumstände heutzutage schon auch andere sind: Musste Schüssel, der die ÖVP nach rechts geführt hat, auf die Konkurrenz von der aufstrebenden FPÖ reagieren, so hat es Mitterlehner mit den liberalen Neos zu tun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2014)

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