„Haider war ein von der Geschichte Getriebener“

Gastkommentar. Der Kärntner Landeshauptmann hat die Hoffnung auf Liebe verkörpert – auch wenn vieles nur Inszenierung war.

Man muss den Schmerz und die Trauer um Haiders Tod ernst nehmen. Zu den Angehörigen im weiteren Sinne gehören viele. Dass Haider intelligent und charmant war, ist unbestritten. Er war aber auch in die Herzen vieler Österreicherinnen und Österreicher eingedrungen. Das lag daran, dass er in rastlosem Einsatz die Hoffnung auf Zusammengehörigkeit, Liebe und Berührtwerden verkörpert hat. Verkörpert im Sinne des Wortes.

Er soll jedem Kärntner mehrfach die Hand gegeben haben. Auf einem Brief am Unfallort, der in den Medien gezeigt wurde, war zu lesen: „Du warst für uns Lady Diana, ein Mann der Herzen.“ Ein Straßenarbeiter am Unfallort sagte: „In dem Auto da war unser oberster Chef. Immer wenn er mich sah, kam er auf mich zu.“

In einer Gesellschaft, in der mehr denn je Wirtschaftsegoismus, Lieblosigkeit und Konkurrenz herrschen, konnte der Glaube an jemanden, der Arm und Reich, Alt und Jung, nah und fern in seiner Liebe zusammenbringt, jeden Tag auf fruchtbaren Boden fallen. Auch der Erlebnishunger kam auf seine Kosten.

Marke-Ich-Kalkül

Dass die Echtheit und Vitalität der Begegnung selbst eine vorbereitete Inszenierung in wechselnden Kostümen und ein strategisches Marke-Ich-Kalkül sein könnte, wurde infolge des Bedürfnisdrucks nur noch aus den Augenwinkeln wahrgenommen oder immer wieder vergessen. Es wäre für die Berührten auch zu kränkend, das direkt zu sehen. Ein Mensch, der so denkt, wie der zitierte Arbeiter, erhält das Gefühl, dass er nicht austauschbar ist, dass er in dieser Welt nicht so schnell vergessen und vertrieben werden kann. Dies kann und soll höchstens anderen passieren. Vor zwei Jahren ging in Kärnten das Wahlkampfmotto „Wir sind wir“ bereits einher mit den ersten Abschiebungen von (zu Unrecht) als Gewalttäter bezeichneten Flüchtlingsjugendlichen und der Idee von einem „tschetschenenfreien Kärnten“. Auch die Parole „Kärnten wird einsprachig!“ bedroht eine Minderheit mit dem Entzug von Heimatrechten. Die Zugehörigkeits- und Ausschlussinszenierungen sind zwei Seiten einer Medaille.

Haider war bei all dem auch ein von der Geschichte Getriebener, vielleicht sogar Traumatisierter. Haiders Eltern waren aktive Nationalsozialisten, die nach 1945 zur Rechenschaft gezogen wurden und gelitten haben. Wir wissen aus der Traumaforschung, dass nicht nur die Kinder der Opfer, sondern auch die Kinder der Täter die traumatischen Motive in einer verschobenen und „transponierten“ Form reinszenieren. Das findet wie in Trance statt und ist ein mehr oder weniger verzweifelter Versuch, das Trauma der Eltern irgendwie handhabbar zu machen. Haider hat immer wieder spontan die Verstrickung der „Kriegsgeneration“ in die Nazi-Verbrechen bagatellisieren und rechtfertigen müssen und hat damit – nach den ersten Aufregungen – eine Gewöhnungs- und Beruhigungstherapie für viele österreichische Familien produziert.

Haider wird derzeit als zum Ende hin geläutert dargestellt. Er hat aber noch bis zum Schluss wie unter Zwang Nationalsozialismus gespielt. Im letzten Interview (Kl. Zeitung 12.10.08) forderte er vehement die Einrichtung einer Sonderanstalt für Flüchtlinge, in der – unter Missachtung des Rechtsstaates – neben angeblichen Gewalttätern auch Traumatisierte, Hepatitis-C-Infizierte und Seh- und Hörbehinderte untergebracht und auf eine später mögliche Abschiebung warten sollen.

Wirkliche „Trauerarbeit“ im Sinne der Psychoanalyse würde bedeuten, dass wir uns des widersprüchlichen Charakters der Liebe zum verlorenen Objekt und seiner verführerischen Faszination Schritt für Schritt bewusst werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2008)

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