ÖVP: Der Mythos von der Großpartei

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Obwohl die ÖVP seit zirka zwanzig Jahren stabil in der Wählergunst liegt, beklagt sie ihren Niedergang.

Zwei Dinge haben die wiederkehrenden Analysen aus der ÖVP zum vermeintlichen Niedergang der ÖVP gemeinsam. Erstens: Sie sind seit Jahren beinahe wortidentisch, ohne dass daraus Konsequenzen gezogen worden wären. Zweitens: Sie stimmen einfach nicht.

Drei dieser Thesen zur Misserfolgsgeschichte der bürgerlichen Partei, die inzwischen so etwas wie die Identität der heimischen Christlichsozialen ausmacht, lauten so:

•These 1: „Die ÖVP ist bei einem Minimum angekommen“. Die Großpartei steht damit am Ende einer langen kontinuierlichen Abwärtsentwicklung.

Betrachtet man die Ergebnisse der Nationalratswahl, ergibt sich aber folgendes Bild: Die ÖVP erlitt 1990 einen abrupten Zehn-Prozent-Absturz von 41,29 Prozent auf 32,1 Prozent und segelt seither konstant an der 30-Prozent-Marke dahin (sieht man einmal von den viel beschriebenen und oft erklärten 42,3 Prozent am 24. November 2002 ab). Die Volkspartei hat also seit nunmehr immerhin 18 Jahren die Zustimmung, die sie eben hat. Und das sind ungefähr dreißig Prozent (vier Prozent auf, vier Prozent ab). Die dafür aber sehr verlässlich.

Dass man für lange Zeit deutlich stärker war, erklärt zwar den schwarzen Phantomschmerz. Nicht aber, warum man immer noch so tut, als wäre man eigentlich eine knapp an der Absoluten kratzende Großpartei, die nur gerade irgendwie umständehalber schwächer dasteht – als Hauptumstand wird dabei übrigens der undankbare Wähler ausgemacht.

These 1 müsste also lauten: Die ÖVP ist längst keine Großpartei mehr. Wahlergebnisse jenseits der 35-Prozent-Marke sind unter normalen Bedingungen unrealistisch.

•These 2 formuliert ein ÖVP-Nachdenker so: „Dieser Niedergang kann nicht monokausal der Parteispitze angelastet werden – so unterschiedliche Charaktere wie Alois Mock, Josef Riegler, Erhard Busek, Wolfgang Schüssel und Wilhelm Molterer mussten als Vizekanzler grosso modo dieselben Negativerfahrungen machen.“

Betrachtet man diese Aussage allerdings aus der Sicht eines heute ungefähr 40-jährigen Menschen, dann konnte dieser zeit seines Wählerlebens, das sich übrigens mit der ÖVP-Phase als Zirka-30-Prozent-Partei deckt, genau zwischen zwei Typen von ÖVP-Spitzenkandidaten wählen: dem mächtigsten Bauernbündler (Riegler, Molterer, Pröll) oder einflussreichsten Wirtschaftsbündler (Busek, Schüssel). Der Absturz davor fällt unter die Obmannschaft von ÖAABler Alois Mock.

Hält man sich diese Tatsache vor Augen, wird die Verwunderung über das Nichtpunkten bei der urbanen Klientel und dem nicht geschützten Sektor deutlich kleiner. Dass die Wahl des Bauernvertreters Pröll, der übrigens mit Rieglers ökosozialer Marktwirtschaft punkten will, diese Gruppen wieder nicht ausreichend elektrisieren dürfte, wird in der ÖVP dennoch für einiges Erstaunen sorgen.

These 2 müsste also heißen: Die beiden Typen von Spitzenkandidaten, die bisher ausprobiert wurden, führen offenbar nicht zum Erfolg.

•These 3 lautet schließlich: Die ÖVP als staatstragende Partei stellt weitgehend unbedankt das Staatswohl vor das Wohl der Partei.

Wobei die Honorierung dieses selbstlosen Engagements durch den Souverän der Demokratie bisher ausblieb. Geht's der ÖVP schlecht, geht's dem Land gut?

Dieser Gedanke zu Ende gedacht bedeutet: In der Opposition wäre für die Partei alles viel besser. Nun gilt es aber als weitgehend unbestritten, dass die Volkspartei mit dem Gang in die Opposition die Existenz der Partei endgültig aufs Spiel setzen würde. Sie verlöre nicht nur mit einem Schlag eine Unmenge an politischen Posten, damit Geld und entscheidende Strukturen, sie hätte mit ihrer Illusion, eine Großpartei zu sein, wohl auch in der Opposition mit Gegnern wie FPÖ (skrupelloser), BZÖ (beliebiger) und Grünen (urbaner) einen schweren Stand.

These drei sollte also richtig lauten: Der Verbleib in der Regierung hat wenig mit der Sorge um das Staatswohl zu tun, sondern ist für die ÖVP der einzige Weg zur Existenzsicherung – zumindest, solange sie an ihren Thesen eins bis drei festhält.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2008)

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