Der Industrielle Hannes Androsch sieht eine „Verschweizerung“ als sozialdemokratisches Programm und lehnt „Robin-Hood-Aktionen“ ab.
Die Presse: Herr Androsch, wir reden über Bildung für die nächste industrielle Revolution unter dem Stichwort Industrie 4.0, während gleichzeitig die BIG dem Bund Mieten für die Schulen stunden muss, damit dieser ein paar fehlende Millionen für die Lehrergehälter aufbringt. Da läuft doch etwas schief, oder?
Hannes Androsch: Ja, das ist lächerlich und beschämend. Das liegt daran, dass die Staatsausgaben nicht nur zu hoch sind, sondern dass wir auch noch falsche Ausgabenstrukturen haben. Das muss sich ändern. Nicht durch die Streichung von Sozialausgaben, sondern durch Beseitigung von Verschwendung und Ineffizienzen.
Da kann man sich ja an einige internationale Beispiele halten.
Genau. Ich sage jetzt nicht ohne Ironie: Mir gefällt, dass unser Bundeskanzler, mein Parteivorsitzender, entdeckt hat, dass wir ein westliches Nachbarland namens Schweiz haben, das Spitzenpositionen innehat.
Der Kanzler will von dort aber eher nur die Vermögensteuer importieren.
Ich bin dafür, dass wir das nicht punktuell, sondern insgesamt zum Vorbild nehmen – und uns „verschweizern“. Beim Pensionsantrittsalter, bei der Forschungsquote, bei den Unis und bei der Steuer- und Abgabenquote . . .
. . . die um sieben BIP-Prozentpunkte unter unserer liegt . . .
. . . was wiederum bedeutet, dass wir Jahr für Jahr 22 Milliarden zum Fenster hinauswerfen. Denn die Schweiz ist ja nicht schlechter verwaltet als Österreich.
Einen Teil davon soll die Vermögensteuer finanzieren.
Ich bin gegen diese Robin-Hood-Rufe. Natürlich ist das alles auch eine Verteilungsfrage, aber die Vermögensverteilung ist bei uns viel ausgeglichener als anderswo.
Heißt das, Ihre Partei geht da mit falschen Zahlen hausieren?
Und mit falschen Annahmen. Ungerechtigkeiten gibt es bei uns in fehlender Chancengleichheit. Große Ungerechtigkeiten gibt es im Pensionssystem, in der Familienförderung und im Steuersystem durch die Ausnahmen im Lohnsteuerbereich. Das ist wirklich zynisch. Die Vermögensverteilung ist nicht das Problem.
Aber irgendeine Form der Vermögensteuer wird wohl kommen.
Wenn man nach einer Vermögensteuer voller Ausnahmen ruft und nicht sagt, für wen die wirklich gelten soll, dann wird nichts herauskommen. Wir haben so etwas ja schon erlebt: 2012 haben wir mit einer unüberlegten Steuer die ausländischen Investoren vertrieben und die Börse schwer geschädigt, ohne dass uns das wirklich etwas gebracht hätte. Mit der inadäquaten Grundsteuer haben wir schon eine Vermögensteuer. Was wirklich korrigiert gehört, ist die Steuerquote und die irrwitzige Steuerprogression im Bereich zwischen 1200 und 4500 Euro brutto. Wir haben eine der höchsten Steuerquoten, die höchste Sozialquote, kommen aber mit dem Geld nicht aus und beklagen Ungerechtigkeit. Da kann ja wohl etwas nicht stimmen.
Zum von Ihnen geforderten „Verschweizern“ gehört wohl auch eine Verwaltungsreform. Da gibt es gerade große Widerstände, weil die angeblich nicht wirklich viel bringt.
Das sind privilegienverteidigende Schutzbehauptungen. Natürlich bringt das was. Wir haben eine dreimal so hohe Bürokratiequote wie Bayern oder die Schweiz. Werden die schlechter verwaltet? Es ist eine grobe Ungerechtigkeit, kleine Gruppen unter dem Titel „wohlerworbene Rechte“ geschützt zu lassen. Wenn man Gerechtigkeit will, muss man auch das angehen, nicht nur Robin-Hood-Aktionen setzen. Wenn wir uns zum „Verschweizern“ entschließen würden, wäre das ein tolles sozialdemokratisches Regierungsprogramm.
Das dürften viele in der SPÖ aber nicht so sehen.
Der Bundeskanzler ist aber gerade in die Schweiz gefahren, um sich das anzusehen. Wenn man das entdeckt, dann bitte schön alles. Man kann sich ruhig Beispiele nehmen. Anderswo, in Deutschland, Schweden, der Schweiz geht es besser, gescheiter und zukunftsorientierter. Die Deutschen haben bei 40 Prozent Steuerquote die Arbeitslosigkeit seit Ausbruch der Krise halbiert. Bei uns wurde sie, einschließlich Frühpensionisten, verdoppelt, und trotzdem haben wir hohe Schulden. Das Problem ist in sehr hohem Maß die qualitative Schwäche der Ausgaben: Wir verwenden das ausgeliehene Geld zu wenig für Innovation. Konsumfinanzierung zulasten späterer Generationen ist wirklich eine schwere Ungerechtigkeit.
Zur Person
Hannes Androsch (76) ist Industrieller (AT&S, Salinen, AIC) in Wien. Vor der Gründung seines Firmennetzwerks war Androsch Steuerberater, Finanzminister und Vizekanzler in der SPÖ-Alleinregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky und von 1981 bis 1988 Generaldirektor der damals staatlichen Creditanstalt. Er gilt nach wie vor als einflussreich in der SPÖ.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2014)