Analyse: Schwere Zeiten für die Ärzteschaft

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Ärztin(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
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Die Spitalsärzte wollen einen Gehaltsausgleich, die Hausärzte protestieren gegen ELGA, und die Jungen flüchten ins Ausland. Was ist da los?, fragen sich die Patienten. Aus gutem Grund.

Wien. Zuletzt häuften sich die Meldungen und die schlechten Nachrichten: Die Spitalsärzte wollen höhere Grundgehälter, die Hausärzte mobilisieren gegen die Elektronische Gesundheitsakte, immer mehr junge Mediziner verlassen frustriert das Land, und überhaupt droht Österreich ein Ärztemangel, wie die dramabegabte Standesvertretung nicht müde wird zu betonen. Wie es scheint, befindet sich ein ganzer Berufsstand gerade im Umbruch. Und wie die einzelnen Geschichten ausgehen, ist auch für die Patienten nicht ganz unbedeutsam.

Bei den Spitalsärzten sind die letzten Worte noch lang nicht gesprochen. Seit Monaten feilschen sie mit ihren Dienstgebern, den Bundesländern, um höhere Grundgehälter, da ihnen durch die neue Arbeitszeitregelung Zuverdienstmöglichkeiten wie Nachtdienste und Überstunden genommen wurden. Seit Jahresbeginn dürfen angestellte Mediziner im Schnitt nur noch 48 Stunden pro Woche arbeiten, bisher waren es 60. Es sei denn, sie unterschreiben eine Verzichtserklärung (diese Übergangslösung läuft allerdings 2021 aus).

Einig sind sich Ärzte und Länder bisher nur in Niederösterreich, Salzburg und der Steiermark. In Kärnten, Oberösterreich, Tirol und am Wiener AKH wird der Gehaltsstreit auf dem Rücken der Patienten ausgetragen. Die Ärzte machen aus Protest nur noch Dienst nach Vorschrift, weshalb es zu längeren Wartezeiten in den Ambulanzen und bei elektiven, also nicht dringenden Operationen kommt.

In den restlichen Ländern gibt es immerhin Übergangslösungen. Im Laufe des Jahres wird man aber auch hier neue Lösungsansätze, vermutlich eine Mischung aus höheren Grundgehältern und neuen Dienstplänen, finden müssen.

Enorme Gehaltsunterschiede

Bemerkenswert ist, dass in dieser Debatte alle in einen (Geld-)Topf geworfen werden. Die enormen Gehaltsunterschiede innerhalb der Ärzteschaft hat bisher nur der oberösterreichische Landeshauptmann, Josef Pühringer (ÖVP), thematisiert. Er will Jungärzte und den Mittelbau finanziell stärken, nicht aber die Spitzenmediziner, die – exklusive Privatordinationen und Gutachtertätigkeiten – bis zum 20-Fachen eines Jungarztes verdienen, wie Pühringer hat ausrechnen lassen.

Weitgehend unbeachtet blieb bisher auch eine Untersuchung des Instituts für Höhere Studien, in der die Autoren zu demselben Schluss kamen wie die Patientenanwaltschaft oder – vor längerer Zeit schon – der Verein für Konsumenteninformation: Dass nämlich Privatpatienten in öffentlichen Krankenanstalten viel schneller einen Operationstermin bekommen als jene, die weder eine Zusatzversicherung haben noch über eine Privatordination gekommen sind (Akutfälle freilich ausgenommen).

Die Regierung hat den Spitälern vor einigen Jahren zwar transparente, also im Internet einsehbare OP-Wartelisten vorgeschrieben, um gar nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, dass es in Österreich eine Zwei-Klassen-Medizin gäbe. Bisher haben aber nur Nieder- und Oberösterreich die Vorgaben erfüllt.

Unerwünschte Einblicke

Auch an anderer Stelle im Gesundheitssystem ärgern sich die Ärzte über unerwünschte Einblicke in ihren Alltag. Insbesondere die Allgemeinmediziner protestieren, angeführt vom Hausärzteverband, gegen die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA), in der spätestens 2017 sämtliche Daten aller Patienten – Befunde, Medikation, Spitalsaufenthalte – gespeichert sein sollen.

Die Mediziner fürchten – nicht ganz zu Unrecht, wie auch Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) findet – einen Mehraufwand, weil sie verpflichtet werden, vor jeder Behandlung den gesamten Patientenakt durchzulesen, schlimmstenfalls also zahlreiche PDF-Dokumente. In derselben Zeit könnten dann weniger Personen behandelt werden, lautet der Einwand. Das ist aber nur die halbe Wahrheit: Weniger Patienten bedeuten auch einen Verdienstentgang für die Ärzte.

Ihre Standesvertretung warnt bereits vor einem Ärztemangel, vor allem in den Landpraxen. Wobei das weniger mit ELGA zu tun hat. In den nächsten Jahren geht (wie bei den Lehrern) die Babyboomer-Generation in Pension. Außerdem emigrieren immer mehr Mediziner. Allein in Deutschland arbeiten derzeit rund 3000 Ärzte aus Österreich.

Viele von ihnen haben sich unmittelbar nach dem Medizinstudium verabschiedet. Ihr Motiv war meist Unzufriedenheit – mit der Ausbildungssituation in der Heimat. Denn Jungärzte werden nach wie vor dazu angehalten, die Personallücken in der Krankenhausbürokratie zu füllen. Im Schnitt wendet der Turnusarzt 40 Prozent seiner Arbeitszeit für nicht medizinische Tätigkeiten auf. Ob die Reform der Ärzteausbildung, die Mitte des Jahres in Kraft tritt, daran etwas ändern kann, wird sich erst weisen.

Kammer „Teil des Problems“

Im EU-Ausland gibt es dagegen keinen Turnus (oder Vergleichbares). Dort könne man, wie einer der Auswanderer, der namentlich lieber nicht genannt werden will, unlängst der „Presse“ geschrieben hat, „als Arzt von Anfang an selbstständig arbeiten und sich spezialisieren“.

Die Ärztekammer sei hier nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, meint der Jungarzt. Das gelte auch für die Facharztausbildung, in der Stellen Mangelware seien. Und zwar durchaus gewollt: Denn die Kammer vertrete ihre Mitglieder. Und die verspürten wenig Lust, den Kuchen zu teilen.

AUF EINEN BLICK

Die neue Arbeitsregelung für Spitalsärzte sorgt in Kärnten, Oberösterreich, Tirol und am Wiener AKH für längere Wartezeiten in den Ambulanzen und bei nicht akuten Operationen. Eine Lösung ist vorerst nicht in Sicht. Die Ärzte fürchten Gehaltseinbußen, weil sie seit 1. Jänner im Schnitt nur noch 48 statt 60 Wochenstunden arbeiten dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2015)

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