Vorratsdatenspeicherung: Richterchef warnt Politik

PK - AKTUELLE ENTSCHEIDUNGEN DES VFGH: HOLZINGER
PK - AKTUELLE ENTSCHEIDUNGEN DES VFGH: HOLZINGER(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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VfGH-Präsident Holzinger appelliert an die Regierung, trotz der Pariser Anschläge nicht erneut Grundrechte einzuschränken. Dies wäre die „falscheste Antwort“.

Wien. Wenn es um die Einschränkung von Grundrechten geht, war Verfassungsgerichtshof-Präsident Gerhart Holzinger schon immer einer, der die Kritik nicht scheute. Am Mittwoch wurde Holzinger aber besonders deutlich, als es um die mögliche Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ging. Diese Maßnahme könne nicht die richtige Reaktion auf die Pariser Anschläge sein. Ja, sie wäre sogar „die falscheste Antwort auf diese Bedrohung“. Es brauche nun nämlich „mehr Rechtsstaatlichkeit und nicht weniger“.

Die Speicherung der Verbindungsdaten aller Bürger (wer hat wann mit wem telefoniert oder online kommuniziert) war erst im Vorjahr vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) für rechtswidrig erklärt worden. Vorausgegangen war ein Urteil des EU-Gerichtshofs. Das ändert nichts daran, dass in Österreich vor allem ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Justizminister Wolfgang Brandstetter die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen wollen. Diesmal mit mehr Einschränkungen (so sollen die Daten nur noch bei schwersten Straftaten herausgegeben werden). Wie auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner erklärt hat, möchte man aber eine neue Lösung auf EU-Ebene abwarten. Kanzler Werner Faymann hat erklärt, „aktuell keinen Grund“ für eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung zu sehen.

Gesetze schützten Frankreich nicht

Die Ereignisse in Frankreich seien „in der Dimension derart erschreckend, dass man jedes Verständnis haben muss, dass die Politiker Antworten darauf suchen, wie man dieser Bedrohung durch den islamistischen Terror entgegentreten kann“, sagte Holzinger. Aber „selbst eine Überwachung großen Stils wird Verbrechen wie diese nicht verhindern können“, betonte der VfGH-Chef. „Ich mache nur darauf aufmerksam, dass in Frankreich die Regelungen über die Vorratsdatenspeicherung in einem sehr weiten Umfang bestanden haben, und offenbar hat das auch nicht dazu geführt, dass man diese Terrorakte verhindern konnte.“

Bei allem Verständnis vor dem Schutzbedürfnis: „Aber eines kann jedenfalls nicht die Antwort auf dieses gravierende gesellschaftliche Problem sein, nämlich ein Abrücken von den Grundrechten und von der Rechtsstaatlichkeit“, fuhr Holzinger fort. Er will sein Plädoyer freilich nicht als Präjudiz dafür verstehen, wie das Gericht im Fall der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung entscheiden würde. Auch, ob es im Licht des VfGH-Erkenntnisses aus dem Vorjahr überhaupt noch Raum gibt, die Überwachungsmethode wieder einzuführen, wollte der Höchstrichter auf Nachfrage nicht beurteilen.

Klage gegen Frauenbonus gescheitert

Hintergrund für Holzingers Äußerungen war die Präsentation aktueller VfGH-Entscheidungen. Neben dem aufgehobenen Adoptionsverbot für gleichgeschlechtliche Paare (siehe Seite1) und der steuerlichen Absetzbarkeit von hohen Managerbezügen (Seite19) musste das Gericht über die Beschwerde eines Salzburger Arztes entscheiden. Er hatte sich dagegen gewehrt, dass weibliche Frauenärzte gegenüber männlichen bei der Vergabe von Kassenverträgen bevorzugt werden.

So gibt es im Punktesystem einen eigenen Bonus für die „durch das weibliche Geschlecht zusätzlich vermittelbare besondere Vertrauenswürdigkeit“. Das Landesgericht Salzburg hatte beim VfGH beantragt, die Bevorzugung von Frauen aufzuheben, weil sie gleichheitswidrig sei. Die Höchstrichter haben aber entschieden, dass die geltende Regelung bestehen bleibt. So ist laut Holzinger die Bevorzugung der Frauen so lange in Ordnung, „wie der Mangel an weiblichen Frauenärzten gegeben ist“. Momentan seien nur 23,2 Prozent der Gynäkologen mit Kassenvertrag Frauen. Gleichzeitig würden eingereichte Wahlarztrechnungen zeigen, dass viele Frauen zu Gynäkologinnen ohne Kassenvertrag gehen.

„Hoher Bedarf“ an Gynäkologinnen

„Es ist eindeutig, dass es objektiv einen hohen Bedarf an weiblichen Vertragsärzten für Gynäkologie gibt“, erklärte Holzinger. Ab welchem Grad der Ausgeglichenheit zwischen Mann und Frau man die Bevorzugung des weiblichen Geschlechts bei den Kassenverträgen beenden müsse, lasse sich jetzt noch nicht sagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2015)

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