Strolz: "Mitterlehner ist ein Pharisäer“

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Strolz: "Mitterlehner ist ein Pharisäer“Die Presse (Fabry)
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Matthias Strolz über die liberalere ÖVP als Problem für die Neos, die Millionenrücklagen der Wirtschaftskammer und seine Enttäuschung über die „glatten Lügen“ der Grünen.

Die Presse: Wären die Neos je gegründet worden, wäre Reinhold Mitterlehner schon 2011 ÖVP-Chef geworden und nicht Michael Spindelegger?

Matthias Strolz: Ich glaube schon. Weil die Mission der Neos die Erneuerung für Österreich ist.


Die ÖVP ist ja jetzt erneuert.

Es wurden einmal Namensschilder ausgetauscht. Und es ist eine Welle der Sympathie durch das Land gegangen. Aber in der Sache sehe ich überhaupt keinen Fortschritt.


Mitterlehner hat gesellschaftspolitisch einige liberale Akzente gesetzt.

Da haben wir sie zu einer gewissen Öffnung gezwungen. Das ist gut so. Wirtschaftspolitisch ist Mitterlehner ein Pharisäer. Er redet das eine und tut das andere. Er ist ja eigentlich ein Kämmerer. Die ÖVP ist seit über 10.000 Tagen in Regierungsverantwortung, hat den wirtschaftspolitischen Kurs entscheidend mitbestimmt. Mit dem Ergebnis, dass wir heute eines der Schlusslichter in der EU sind, was Wachstum betrifft.


Daran ist der Kanzler schuld, sagt der Wirtschaftskammer-Präsident.

Der Wirtschaftskammer-Präsident ist Teil einer Horde von Wegelagerern. Die wie die Zöllner im Mittelalter am Wegesrand stehen und die Unternehmer melken. Das ist ja unglaublich, dass sich Leitl so vollmundig an die Bühnenkante traut. Die Wirtschaftskammer hat Rücklagen von 685 Millionen Euro – wie wir nun in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage sehen. Und sie verweigert die Rechnungshofprüfung für vorgelagerte Unternehmen. Dagegen ist die Arbeiterkammer ein Hort der Transparenz. Leitl hebt eigentlich eine Lohnsummensteuer mit der Kammerumlage II ein – die beträgt 308 Millionen Euro. Da könnten wir sofort die Unternehmen entlasten. In den vergangenen neun Jahren sind die Kammerzwangsbeiträge fast um ein Drittel gestiegen. Das ist weit über der wirtschaftlichen Entwicklung. Und dann stellt sich Leitl hin und redet von einer „Unvermögenssteuer“. Den höchsten Steuerbeitrag wird hier übrigens die ÖVP zu leisten haben. Nach 10.000 Tagen Regierungsbeteiligung.


Sind Vermögensteuern für die Neos vorstellbar?

Wir sind nicht bereit, über zusätzliche Steuern zu diskutieren, solange die Regierung nicht klare Strukturreformen macht.


Auch keine Erbschaftssteuer?

Kommt nicht in die Tüte.


Da die Neos immer sehr auf Leistung setzen: Der Erbe hat für die Erbschaft nichts geleistet.

Ich verstehe diese Debatte. Aber sie wird immer hoch populistisch geführt. Die SPÖ suggeriert, die Erbschaftssteuer wäre eine der Lösungen. Dann schauen wir einmal nach Deutschland: Was heben die ein mit der Erbschaftssteuer? 4,6 Milliarden. Dann wären wir in Österreich ungefähr bei 460 Millionen. Damit hupfen wir nicht weit.


Kommen wir noch einmal zu Mitterlehner: Lässt der nun liberalere ÖVP-Chef den Neos nicht zu wenig Luft zum Atmen?

Das ist für uns ein Ansporn, dass wir noch besser werden. In der Bildungspolitik etwa. Wir wollen eine Bildungswende von unten: Schulautonomie. Das müsste dem Mitterlehner eigentlich taugen. Katholische Soziallehre, Kernwort Eigenverantwortung. Da mauert die ÖVP aber. Wir wollen, dass Lehrer grundsätzlich an der Schule angestellt werden. Die Eltern sollen freie Schulwahl haben. Die ÖVP ist nicht einmal bereit, erprobte jahrgangsübergreifende Modelle in Volksschulen mitumzusetzen.


Soll es Strafen bei Integrationsverweigerung geben?

Ich bin an sich ein Fan von Sebastian Kurz, aber das war ein Griff daneben. Als Ultima Ratio kann man über Sanktionen diskutieren. Ich bin nur nicht bereit, die Diskussion mit populistischen Maßnahmen zu eröffnen. Wir sollten lieber aufsuchende Angebote machen: Wenn die Eltern nicht in die Schule kommen, dann kommt die Schule mit der Autorität des Staates zu ihnen. Aber nicht gleich mit einem Strafzettel. Das wäre für die betroffenen Kinder kontraproduktiv.


Die Unos, Ihre Fraktion bei der Wirtschaftskammer-Wahl, sind gegen ein generelles Rauchverbot in Lokalen. Die Parteilinie ist aber eine andere – oder?

Es gibt offensichtlich einzelne Unos-Vertreter, die ich nicht persönlich kenne, die sich so geäußert haben. Wir in der Partei sind da sehr geeint: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Also rasch umstellen auf eine rauchfreie Gastronomie. Weg mit dem bisherigen Murksgesetz! Und die Unternehmer, die hier gezwungen wurden zu investieren, entschädigen.


In Wien kooperieren die Neos mit der Bürgerinitiative gegen das Drogenzentrum Alsergrund. Eine doch ungewöhnliche Allianz, die von der – nennen wir sie einmal Gutmenschenseite – sehr argwöhnisch betrachtet wird.

Die Bürgerinitiative war ja nicht grundsätzlich gegen das Drogenberatungszentrum. Sie hat dagegen protestiert, wie Häupl und Vassilakou das durchgepeitscht haben – ohne Beteiligung der Bürger. Ich kann nicht über Nacht dort ein Drogenzentrum hinsetzen und nicht mit den Anrainern vorher darüber reden. Wir sind eine Bürgerbewegung mit einer liberalen Grundhaltung. Und wir werden Partizipation immer hochhalten. Wenn wir die Kluft zwischen Politik und Bürgern ein Stück schließen wollen, müssen wir moderne Formen der Teilhabe etablieren.


Was rechnen sich die Neos bei der Wien-Wahl aus?

Unsere Latte sind sieben Prozent.


In Wiener Neustadt sind die Grünen nun eine Kooperation mit der FPÖ eingegangen. Ist das auch für die Neos vorstellbar?

In Wien, auf Landesebene, schließe ich es aus. Weil wir in Sachen Europa oder Integration so unterschiedliche Haltungen haben, dass das zum Scheitern verurteilt wäre. Aber Zusammenarbeit – themenbezogen – jedenfalls.


Wie ist Ihr Verhältnis zu den Grünen derzeit?

Das ist meine größte Überraschung der ersten eineinhalb Jahre: Dass die Grünen gnadenlose Populisten sind. Von TTIP, wo sie ganz glatte Lügen mitverbreiten, bis hin zur Unterstellung, wir wären für Fracking. Wir waren für ein Verbot von Fracking, wollten aber die Bio-Fracking-Forschung in Leoben nicht kippen. Das wussten die Grünen. Das ist eine persönliche Enttäuschung. Aber die werde ich aushalten. Beim U-Ausschuss zur Hypo arbeiten wir jedoch gut zusammen.

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