Christiane Druml: Europa unterwirft sich US-Regeln

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Christiane Druml, Chefin der Bioethik-Kommission, findet europäische Forscher zu wenig selbstbewusst und glaubt, dass alle Berufe ethische Standards brauchen.

Die Presse: Angesichts der Finanzkrise müsste Ethik – auch abseits der Bioethik – Hochkonjunktur haben. Warum wird darüber eigentlich nicht lauter diskutiert?

Christiane Druml: Na ja, andererseits ist es ein Thema, bei dem jeder fröhlich dilettiert – so, wie über das Wetter, was natürlich schon etwas problematisch ist. Denn letztlich existieren hier doch Standards!

Bräuchte es vielleicht neben der Bioethikkommission auch eine Wirtschaftsethikkommission?

Druml: So gesehen bräuchte man auch eine für den Journalismus.

Warum nicht? Früher gab es dafür den Presserat. Aber zumindest die Qualitätspresse hat einen ungeschriebenen Ethikkodex.

Druml: Wahrscheinlich müsste jeder Berufszweig seine eigenen Standards festlegen.


Haben fehlende ethische Regeln zur aktuellen Weltkrise geführt?

Druml: Sicher. Obwohl gerade die USA, von wo aus diese Krise ausgegangen ist, der ganzen Welt zumindest ihren forschungs- und bioethischen Stempel aufzudrücken versuchen. Fast alle Studien weltweit, die auf Veröffentlichung warten, werden in ClinicalTrials.com eingegeben, und dort muss man natürlich mit den Regeln der Amerikaner einverstanden sein. Es gibt kein klinisches Forschungsregister in Europa.

Wären europäische Regeln besser?

Druml: Sie wären anders. Nehmen wir die Forschung an nicht einwilligungsfähigen Patienten. Dafür gibt es mannigfaltige Regeln in Österreich, die die Amerikaner nicht haben und auch nicht akzeptieren wollen. Wer international publizieren will, tut sich da schwer.

Obwohl bei uns strengere Regeln gelten?

Druml: Ja. Wir unterwerfen uns zu oft und haben in Europa in Bezug auf unsere Forschungslandschaft zu wenig Selbstbewusstsein.

Die Wissenschaft ist zu national?

Druml: Ja. Gerade was die Ethik betrifft, haben wir in Europa überall eigene Kommissionen und Regeln. Die EU möchte sich da nicht zu sehr einmischen – ein Problem, das sie bei Glühbirnen nicht hat.

Und wie wird mit Wissenschaft in Österreich umgegangen?

Druml: Die Wissenschaft sitzt in Österreich in einem Elfenbeinturm. Sie sollte öffentlicher sein; die Position des Wissenschaftlers ist zu wenig anerkannt.

US-Forscher verlassen allerdings auch selbst den Elfenbeinturm und schreiben zum Beispiel Bücher für eine breitere Öffentlichkeit.

Druml: Deswegen haben wir das Projekt „Bioethik in Schulen“ initiiert.

Was halten Sie von Ethikunterricht?

Druml: Ich glaube, dass Religionsunterricht jenseits der Religiosität eine Daseinsberechtigung hat. Es geht um Wissen, das wir den Kinder vermitteln müssen. Sie sollen ja selbst entscheiden, ob sie religiös leben wollen oder nicht. Dazu gehört auch zu wissen, wie diese Religion entstanden ist und was sich in der Geschichte getan hat.

Es sollte also beides geben: Religions- und Ethikunterricht?

Druml: Ja. Das, was in vielen Schulen passiert, ist: Wenn der Religionsunterricht fad ist, geht man lieber in Ethik. Das ist nicht ideal.

Wenn man über die Bioethikkommission liest, dann geht's immer nur um Stammzellenforschung. Gibt's denn kein anderes Thema?

Druml: Doch. Wir haben zuletzt drei Empfehlungen abgegeben: Erstens: Das Anlegen von Nabelschnurblutbanken ist nur für die Forschung und eventuell für eine solidarische Gabe, aber nicht für die kostenintensive Eigenvorsorge sinnvoll. Zweitens gibt es eine Empfehlung zu Frauen in Ethikkommissionen und klinischer Forschung. Für Forschung an Frauen gibt es – etwa wegen der Gebärfähigkeit – Einschränkungen. Das führt dazu, dass man über sie weniger weiß. Viele Krankheitsbilder stellen sich aber völlig anders als bei Männern dar, etwa HIV.

Medikamente sind in ihrer Wirkung auf Männer besser erforscht?

Druml: Ja, da gibt es den stehenden Spruch: „Single white male, wanted for medical research.“ Die dritte Kommissionsempfehlung ist die Möglichkeit der Forschung an embryonalen Stammzellen. In der Debatte kamen alle möglichen Experten zu Wort, nur nicht die betroffenen Forscher. Es ärgert mich überhaupt, dass in Österreich immer nur zwei, drei Wissenschaftler öffentlich wahrgenommen werden.

Solchen „öffentlichen“ Forschern wird von der Scientific Community gern Scharlatanerie vorgeworfen.

Druml: Es geht nicht darum, die eigene Person ins Licht zu rücken, sondern der Sache zu dienen. Ich würde mir wünschen, dass Medien auch zurückhaltende Forscher fragen – auch wenn man mit den anderen mehr Schlagzeilen macht.

Wahrscheinlich braucht's aber doch Zugpferde wie Prof. Hengstschläger für die Genetik oder Prof. Taschner für die Mathematik.

Druml: Sicher. Andererseits sollte es so sein, dass auch der normale, sich seriös fühlende Wissenschaftler keine Scheu empfindet, an die Öffentlichkeit zu gehen. Gerade das Bild medizinischer Forschung ist von Fernsehserien geprägt und oft recht dubios. Zeigen Sie mir den Krimi, in dem der Wissenschaftler der Gute ist! Andererseits erwartet jeder, wenn er krank ist, maximale Betreuung und beste Behandlung.

Und der Tod ist ein Betriebsunfall.

Druml: Ja, der wird ausgeklammert.

Was erhofft man sich von Forschung an embryonalen Stammzellen?

Druml: Gerade ist die erste Anwendung am Menschen von der FDA (amerikanische Arzneimittelbehörde, Anm.) im Rahmen der Behandlung von Querschnittslähmung genehmigt worden.

Warum gibt es so wenige Spitzenfrauen in der Forschung, speziell in der Medizin?

Druml: Ich glaube, dass es eine manifeste Nichtberücksichtigung von Frauen gibt. Professorinnen an der Medizin kriegen oft Stellen mit weniger Ressourcen – weniger Geld, weniger Laborflächen – als Männer. Es sind zwar Frauen da, aber oft ist es reine Augenauswischerei.

Wie kann man das ändern?

Druml: In einer Übergangssituation leider nur durch Quoten.

Wie attraktiv sind die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft?

Druml: Es bräuchte attraktivere Zukunftsaussichten für junge Leute.

Bisher erschienen: Christian Konrad (5.4.), Thomas Geierspichler (8.4.), Josef Taus (9.4.).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2009)

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