Politische Überläufer: Auseinandergehen ist schwer

Hans-Peter Martin (links) verließ die SPÖ, Şenol Akkılıç (rechts) wechselte zu ihr von den Grünen. Karl-Heinz Grasser kehrte der FPÖ den Rücken und dockte im ÖVP-Regierungsteam an.
Hans-Peter Martin (links) verließ die SPÖ, Şenol Akkılıç (rechts) wechselte zu ihr von den Grünen. Karl-Heinz Grasser kehrte der FPÖ den Rücken und dockte im ÖVP-Regierungsteam an.Reuters/APA
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Zwischen Opportunismus und Entfremdung: der politische Überläufer – von Winston Churchill bis Şenol Akkılıç. Der Wechsel der Partei kann die Karriere fördern. Oder auch nicht.

"In einem parlamentarisch regierten Staat ist die Heimat eines Politikers seine Partei. In ihr lebt er, in ihr muss er sich durchsetzen und sich bewähren, sie trägt und schirmt ihn. Die Partei zu wechseln ist für einen Politiker so etwas wie Emigration. Wer es tut, lädt sich ein kaum tragbares politisches Handicap auf: Seiner alten Partei gilt er als Verräter, der neuen als verdächtiger Fremder", schrieb der deutsche Publizist Sebastian Haffner 1976 in seiner Winston-Churchill-Biografie. Und weiter: „Man kennt kein Beispiel in der englischen Parlamentsgeschichte, dass einer es getan und unbeschädigt überlebt hätte außer Churchill. Er tat es zweimal, und er überlebte es zweimal, gewiss nicht unbeschädigt, aber triumphierend.“

Winston Churchill hatte seine politische Karriere wie es sich für einen Spross aus altem Adel gehörte, bei den Konservativen begonnen. Doch dem Tatenhungrigen wurden nur die hinteren Bänke zugewiesen. Als die Konservativen die Macht an die Liberalen verloren, wechselte Churchill einfach die Partei. Er war bei den Liberalen zwar ein Fremdkörper, machte aber rasch Karriere. An der Seite des aufstrebenden klassenkämpferischen David Lloyd George wandelte er sich zum Linken. Der liberale Premierminister Herbert Asquith erkannte die Gefahr, die von den beiden ausging – und stellte Churchill ruhig, indem er ihn zum Marineminister machte.

1915 war damit allerdings Schluss: Churchill hatte das Weltkriegsfiasko bei Gallipoli zu verantworten und wurde abgelöst. Erst als Lloyd George Premier wurde, in einer Koalition mit den Konservativen, die Churchill seit seinem Verrat inbrünstig hassten, kehrte er 1917 wieder in die Regierung zurück. Mit Lloyd George sollte er sich dann überwerfen. Und 1922 war Churchill wieder in der konservativen Partei. Nicht nur aus opportunistischen Gründen – die große Zeit der Liberalen war vorbei –, sondern auch aus ideologischen. Die russische Oktoberrevolution hatte Churchill erschüttert: Nun wandelte er sich zum Reaktionär.

Der Rest der Geschichte ist bekannt: Churchill rettete England – und die Welt – vor Hitler-Deutschland. Und war zweimal Premierminister. Der politische Wechsel hatte seiner Karriere nicht nur nicht geschadet, sondern diese auch befördert.

Von Grün zu Rot. Ob es – einige Etagen tiefer – im Fall von Şenol Akkılıç auch so sein wird, wird sich weisen. In der Vorwoche war der Wiener Gemeinderat von den Grünen zur SPÖ gewechselt. Die Grünen waren erbost über den Verrat. Allerdings: Wirklich gut dürften sie ihn zuvor auch nicht behandelt haben. Dass ihn führende Grüne lang nicht gegrüßt hätten, beklagte Akkılıç im kleinen Kreis einmal. Auch er – ein Fremdkörper in seiner Partei. Im Vorjahr hat der gebürtige Kurde dann die Reise des grünen EU-Mandatars Michel Reimon ins umkämpfte irakische Jesiden-Gebiet organisiert. Die Lorbeeren heimste Reimon allein ein.

Mangelnde Wertschätzung – das war auch der Grund dafür, dass sich Stefan Schennach von den Grünen entfremdete und 2010 zur SPÖ wechselte. Er war zuvor grüner Bundesrat und Bezirksrat gewesen. Ein neuerliches Mandat im Bezirk wurde ihm von der Basis verwehrt. „Man hat mir das Wohnzimmer genommen“, meinte er damals. Allerdings, sagt er heute, sei das nur ein Mitgrund gewesen, immerhin sei er erst ein halbes Jahr nach der Bezirksrat-Entscheidung gegangen.

Wenig Wertschätzung. Seine internationale Expertise – SPÖ-Bundesrat Schennach ist heute etwa auch Chefverhandler des Europarats für russisch-ukrainische Fragen – sei bei den Grünen zu wenig gewürdigt worden. Bei der SPÖ sei das Interesse an Internationalem weit größer. Zudem sei er schon zuvor als grüner Bundesrat mit SPÖ-Fraktionsführer Albrecht Konecny „wie Vater und Sohn“ gewesen.

Schennach war in jungen Jahren übrigens schon einmal SPÖ-Mitglied. Wie auch der spätere Grünen-Chef Alexander Van der Bellen. Dafür war Karlheinz Töchterle von den Grünen ins Lager der ÖVP gewechselt. Wobei: ÖVP-Mitglied wurde er nie. Nicht als Wissenschaftsminister und nun auch nicht als Wissenschaftssprecher im Parlamentsklub. Mit Franz Renkin fand sich 2003 gar ein Ex-Bundesgeschäftsführer der Grünen auf der Landesliste der ÖVP-Niederösterreich wieder. Und von den Grünen zur ÖVP gewechselt war 2005 auch der Wiener Gemeinderat Günter Kenesei.

Ein ähnlicher Fall wie Töchterle war Karl-Heinz Grasser. Er kehrte 2002 der FPÖ den Rücken und dockte im ÖVP-Regierungsteam an – Mitglied wurde auch er nicht. Grasser förderte damit also seine Karriere – allerdings zahlte es sich à la longue nicht aus. Als er 2006 Vizekanzler für die ÖVP werden sollte, legte Andreas Khol sein Veto gegen den „ideologischen Flachwurzler“ (© Jörg Haider) ein.

In früheren Zeiten waren Farbwechsel eher unüblich, schon gar nicht gab es sie zwischen den großen Lagern von SPÖ und ÖVP. Am ehesten könnte man hier noch den früheren Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger einordnen: Er war nach dem Krieg kurz ÖAAB-Mitglied, später dann (parteiloser) Außenminister in der Alleinregierung Kreisky. Der damalige SPÖ-Justizminister Christian Broda war übrigens eine Zeit lang Kommunist gewesen.

Richtig in Schwung gekommen war der Parteienwechsel durch die Erosion der beiden Lagerparteien, die mit dem Auftauchen Jörg Haiders verbunden war. Dieser zog Rote und Schwarze an. Dafür verlor er Weggefährten wie Heide Schmidt, die ihre eigene Partei, das Liberale Forum, gründete. Pointe am Rand: Der vormalige freiheitliche Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager hatte, nachdem er schon ein paar Jahre beim LIF war, noch immer ein FPÖ-Pickerl auf seinem Aktenkoffer. Heide Schmidts Nachfolger als LIF-Chef, der Gesundheitsökonom Christian Köck, ist heute übrigens Sozialdemokrat und Stammgast beim Mai-Aufmarsch.

Einen Fraktionswechsel von den Grünen zu den Liberalen im Nationalrat vollzog Karel Smolle. Ein Mitgrund, wieso sich dann viele Kärntner Slowenen – von Angelika Mlinar bis Rudi Vouk – für das LIF engagierten.

Später tat es dann auch Jörg Haider selbst: Er verließ die FPÖ und gründete das BZÖ. Einige wanderten Jahre später von dort zum Team Stronach weiter. Wie Robert Lugar oder Elisabeth Kaufmann-Bruckberger. Von der SPÖ zu Stronach wechselte der damalige Nationalratsmandatar Gerhard Köfer.

Ein Fall für sich war Hans-Peter Martin. Für die SPÖ ins EU-Parlament eingezogen, gründete er dann seine eigene Liste. Und zerstritt sich der Reihe nach mit seinen Mitstreitern. Monika Werthmann wechselte zum BZÖ, Karin Resetarits zum LIF.


Andere Kulturen. Jede Partei habe ihre eigene Kultur, meint Stefan Schennach. Auf was sich Şenol Akkılıç nun also einstellen muss? „Die SPÖ ist hierarchischer. Allerdings auch breiter. Die Grünen haben eine engere Hierarchie.“ Die SPÖ sei tiefer in der Bevölkerung verankert. Sie sei offener für Neues. Und verfüge über unterschiedliche Bildungsgrade. „Es ist ein Unterschied, ob ich beim BSA über die EU rede oder beim Frühschoppen in Simmering.“ Beides habe seinen Reiz. Auch die einzelnen Teilorganisationen seien sehr stark. Akkılıç, der frühere Arbeiter aus Favoriten, könnte mit der SPÖ ohnehin kompatibler sein als mit den Grünen.

Das bekannteste Beispiel für einen Wechsel von Grün zu Rot ist wohl Otto Schily. Der frühere RAF-Anwalt war Mitbegründer der deutschen Grünen. Mit der Zeit wurden ihm diese aber zu links – beziehungsweise er zu rechts. Schily trat der SPD bei und machte sich als Law-and-Order-Innenminister im Kabinett Schröder einen Namen. Deutscher EU-Kommissar war damals übrigens der SPD-Mann Günter Verheugen. In den 1970er-Jahren war er noch Generalsekretär der FDP gewesen.

Konvertiert

Stefan Schennach. Von den Grünen zur SPÖ, für die er heute im Bundesrat und im Europarat sitzt.

Karl-Heinz Grasser.Von der FPÖ ins Regierungsteam der ÖVP. Beigetreten ist er allerdings nicht.

Karlheinz Töchterle.Der vormalige Grüne wurde Minister für die ÖVP und sitzt heute noch im ÖVP-Klub.

Elisabeth Kaufmann-Bruckberger.
Von der FPÖ zum BZÖ. Von dort dann zum Team Stronach.

Karin Resetarits.
Von Hans-Peter Martin im Streit geschieden, wechselte sie zum Liberalen Forum.

Heide Schmidt.
Sie eröffnete den Reigen freiheitlicher Abspaltungen und gründete das LIF.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2015)

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