Musik für Computerspiele: Zu Beethoven schießt es sich gut

Nur die Musik des Genies öffnet den geheimen Raum: Beethovens „Mondscheinsonate“ dient im düsteren Ego-Shooter „Resident Evil“ als Sesam-öffne-dich.
Nur die Musik des Genies öffnet den geheimen Raum: Beethovens „Mondscheinsonate“ dient im düsteren Ego-Shooter „Resident Evil“ als Sesam-öffne-dich. Web
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Längst ist die Musik für Computer- und Videospiele der Filmmusik ebenbürtig. Wie diese spielt sie mit der klassischen Tradition: Von tödlicher deutscher Romantik und der Tyrannei des Grafen Walzer.

Agentin Jill Valentine kennt sich nicht nur mit Feuerwaffen, Sprengkörpern und dem Knacken von Schlössern aus, sie kann auch gut Klavier spielen. In der grausigen, von Zombies bewohnten Villa des Biowaffenherstellers Oswell E. Spencer kommt ihr das zugute. Denn nur, wenn sie die von ihm so geliebte „Mondscheinsonate“ (richtig) spielt, gelangt sie in die Gruft, in der der unglückselige Architekt der Villa begraben liegt.

Nicht nur Spencer im düsteren Zombie-Shooter „Resident Evil“ liebt die deutsche Musik; in vielen Hollywood-Filmen haben Psychopathen eine Vorliebe dafür, vor allem, wenn sie Nazis sind. Vielleicht auch deswegen ist Musik von oder à la Beethoven bis Wagner (die ja auch NS-„Wochenschauen“ untermalte) zu einer beliebten Killermusik geworden – mit dem „Walkürenritt“ als Favoriten, etwa in „Apocalypse Now“. Der grausig-brutale Held von „A Clockwork Orange“ ist in Beethoven vernarrt, aber auch Carl Orff gibt der Gewalt öfter den Takt vor, etwa in „Natural Born Killers“. Bachs „Toccata und Fuge in d-Moll“ wiederum wurde häufig zu Schauerlich-Grausigem gespielt, von „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ aus dem Jahr 1931 bis hin zu „Sunset Boulevard“ oder Monty Pythons „Der Sinn des Lebens“.

Töten im Tschaikowsky-Takt. Europäische Emigranten, die tief in der klassischen Musik verwurzelt waren, haben im 20. Jahrhundert die Filmmusik geprägt. Und über die Filmmusik wirkt der Einfluss der klassischen Musik weiter, auf die Computer- und Videospiele. Da leben musikalische Traditionen und Klischees ungebrochen fort, man sieht es allein schon an der Wahl der Stücke. Peter Smucker von der US-amerikanischen University of Notre Dame hat in einer Arbeit über klassische Musik in Computer- und Videospielen u.a. eindrucksvoll deren Verwendung der "Mondscheinsonate" untersucht*. Dass diese einen Regenwurm im Raumanzug beim Töten begleitet, wie in „Earthworm Jim 2“, ist die ironische Ausnahme. In einem Trailer zum Nazi-Kill-Spiel „Velvet Assassin“ erklingt das in unzähligen Filmen gespielte Stück erwartungsgemäßer, nämlich zum Marsch von Nazi-Soldaten und der Stimme des Führers. Die Helden im alten Weltall-Actionspiel „Battlezone“ töten ebenso im Rhythmus von Tschaikowskys Ouvertüre „1812“ wie schon der politische Rebell im Film „V wie Vendetta“. Samuel Barbers „Adagio for Strings“ erklingt nicht nur, wenn Filme das sinnlose Sterben von Soldaten zeigen (wie „Platoon“), sondern wird auch im Strategiespiel „Homeworld“ zum mystischen Weltallklang.

Und nicht nur Stücke werden weitergereicht. Einige der berühmtesten Filmkomponisten der Gegenwart schreiben mittlerweile auch für die Computer- und Videospiele-Industrie. Hans Zimmer etwa, der wie kaum einer Hollywoods neueren Action-Sound geprägt hat, hat die Musik für den Ego-Shooter „Call of Duty: Modern Warfare 2“ mitverfasst. Da geben ein schwermütig umherirrendes Cello und furchtsam flirrende Geigen gleich eingangs die Stimmung vor, um dann den Bläsern Platz zu machen, die mit ihrem epischen Thema die (Helden-)Brust weiten – das ist Blockbuster-Sound, aber ausgezeichneter.

Trailer wie bei Blockbustern. Das Royal Symphony Orchestra hat ihn 2011 in sein Album „Greatest Video Game Music“ aufgenommen; auf dieser CD ist unüberhörbar, dass die Musik der Computer- und Videospiele der Filmmusik längst ebenbürtig ist. Immer mehr filmartige Sequenzen erlauben durchkomponierte Passagen; mit dem Fortschritt der visuellen Technik steigen auch die Ansprüche an die musikalische Atmosphäre; zwar ergeben sich Schwierigkeiten bei der Vertonung durch den interaktiven Charakter der Spiele (die Spieler sind nicht zur selben Zeit am selben Ort und verhalten sich nicht gleich); aber auch dafür findet die Technik immer bessere Lösungen. Und da die Spieler nicht wie beim Film zwei, sondern oft unzählige Stunden mit einem Spiel verbringen und dabei auch emotional intensiv in dessen Welt eintauchen, kann sich die Musik tief einprägen.

Klangkörper mit Filmmusikerfahrung wie das London Symphony Orchestra und das Royal Philharmonic Orchestra spielen in den Abbey Road Studios längst auch Musik zu Spielen ein. Bei Klassik-Fans wird diese ebenfalls immer beliebter, das zeigt die kürzlich veröffentlichte „Hall of Fame“ des britischen Radiosenders Classic FM, der aufgrund einer Hörerabstimmung jährlich die beliebtesten „klassischen“ Musikstücke präsentiert: Unter den ersten 20 waren diesmal drei Stücke aus Computer- bzw. Videospielen. Eines davon ist der monumentale Soundtrack zur Rollenspielserie „The Elder Scrolls“ von Jeremy Soule, der gern Debussy, Wagner und Mozart als seine Lehrmeister angibt.

Künstlerisch interessanter ist die höllische Musik von Garry Schyman in „Dante's Inferno“. Er spielt virtuos mit dem Stil von Avantgardisten des 20.Jahrhunderts wie Penderecki, um Angst und Horror in Musik zu verwandeln. In dem düsteren Thriller-Spiel „BioShock“ huldigt er dem Filmkomponisten Bernard Herrmann, der die Musik zu Hitchcock-Filmen wie „Psycho“ oder „Der unsichtbare Dritte“ komponiert hat. Der wahnsinnige Komponist Sandor Cohen zwingt darin einen verängstigten Pianisten, sein Rachmaninow-ähnliches Scherzo zu spielen. Als der arme Pianist auf seine „Allegro! Allegro! Presto!“-Rufe nicht befriedigend reagiert, jagt er kurzerhand Klavier und Klavierspieler in die Luft – ein Zitat: Auch im Film noir „Hangover Square“ von 1945 geht es um einen Komponisten und Psychopathen; dieser spielt am Ende sein eigenes Klavierkonzert (ein realiter von Bernard Herrmann komponiertes „Concerto Macabre“), während rund um ihn alles in Flammen aufgeht.


Ein ganzes Spiel im Kopf Chopins. Neben den US-Komponisten dominieren in der Spielemusik die Japaner; und nicht nur das Copyright, sondern auch das japanische Faible für klassische Musik ist wohl der Grund dafür, dass schon die frühen klanglich primitiven Spiele jede Menge davon enthielten. In „Echochrome“ puzzelt man zu berückenden Haydn-artigen, aber neu komponierten Streichquartett-Klängen. In „Eternal Sonata“ tritt sogar Frédéric Chopin auf – oder eigentlich ab, denn er stirbt. Davor jedoch spielt sich in seinem Kopf noch die Handlung des Spiels ab. Da hat Chopin eine 14-jährige Begleiterin namens Polka und trifft auf die Andantinos, die angeführt vom jungen Rebellen Jazz gegen die Tyrannei des Grafen Walzer kämpfen. Die Spieler können in der Landschaft Fragmente von Chopins Musik finden und diese mit anderen, denen sie begegnen, gemeinsam aufführen.


Die Lust am Leitmotiv. Der in der „Hall of Fame“ von Classic FM bestplatzierte Soundtrack ist jener zur Rollenspielserie „Final Fantasy“, er stammt von Nobuo Uematsu. Bei ihm klingen Romantiker wie Brahms und Schumann durch, aber auch Carl Orff. Wagners Leitmotivtechnik hat zwar schon Erich Wolfgang Korngold für Stummfilme eingesetzt (in den „Herr der Ringe“-Verfilmungen lebt die Tradition fort), doch so exzessiv wie in „Final Fantasy“ und anderen Rollenspielen wurde sie noch nie genutzt; jeder Charakter bzw. jede Charakterklasse hat ein eigenes Motiv.

So beliebt ist die Musik zu „Final Fantasy“, dass das London Symphony Orchestra unter dem Titel „Final Symphony“ eigene Konzerte dazu in aller Welt veranstaltet. Da ergeben sich kuriose Nachbarschaften, wenn Gamer in lässigen T-Shirts und Nintendo-Konsolen in der Hand neben Leuten in Abendgarderobe sitzen.

In Deutschland finden schon viele Spielemusikkonzerte statt, morgen etwa in München, mit einem 90-köpfigen Orchester und Musik aus einer weiteren legendären japanischen Rollenspielserie, „The Legend of Zelda“. Ob Okarina, Geige, Flöte oder Klavier – auf YouTube spielen unzählige Fans die eingängigen Melodien des Japaners Kōji Kondō nach, der auch zu den „Super Mario“-Spielen die Musik geschrieben hat und zu den berühmtesten Nintendo-Angestellten gehört.

Zu etlichen Spielemusikstücken in diversen Arrangements gibt es auch schon Noten zu kaufen. „Mein Patenbub ist ,Legend of Zelda‘-Fan“, erzählt Ann-Kathrin Kühl von der Computerspiele-Zeitschrift „Gamestar“ der „Presse am Sonntag“ – „ich krieg' ihn damit gerade zum Klavierspielen.“

* Smucker, Peter. "Functions and Roles of Classical Music in Video Games." Paper presented at the Music Research Day Conference at Indiana University East, Richmond, IN, November 10, 2010.

4 TIPPS

1„BioShock“
Der US-Amerikaner Garry Schyman weiß Musik der Avantgarde virtuos und anspruchsvoll zur Angsterzeugung zu nutzen – im düsteren Thriller-Spiel „BioShock“ wie in „Dante's Inferno“.

2„The Elder Scrolls“
Jeremy Soule wird gern „John Williams der Filmmusik“ genannt; seine Musik zur Rollenspielserie „The Elder Scrolls“ (die letzten drei Teile sind „Skyrim“, „Oblivion“ und „Morrowind“)

erreichte zuletzt Platz elf in der „Hall of Fame“ des britischen Klassik-Radiosenders Classic FM.

3„Grim Fandango Remastered“
Dieses Adventure ist zwar nicht direkt von der klassischen Musik inspiriert; aber wegen seines höchst abwechslungsreichen Jazz-Soundtracks sei es hier ebenfalls empfohlen.

4„Journey“
Der Soundtrack zu dieser Wüstenreise wurde 2012 für einen Grammy nominiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2015)

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