Asyl: „Nicht nach Ungarn blinzeln“

Stefan Wallner
Stefan Wallner(c) Teresa Zötl/detailsinn.at
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Der grüne Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner fordert mehr Professionalität bei der Suche nach Quartieren. Die Innenministerin mache ein lösbares Problem größer, als es ist.

Die Presse: Haben die Grünen einen Plan für die Lösung des Asylproblems?

Stefan Wallner: Es ist möglich, gemeinsam mit den erfolgreichen, erfahrenen Hilfsorganisationen für menschenwürdige Unterkünfte zu sorgen. Das geht nur dann nicht, wenn das Innenministerium jahrelang gegen die Länder und Hilfsorganisationen arbeitet und jetzt in großer Aufgeregtheit ein lösbares Problem größer macht, als es ist.

Sie glauben, es gäbe eigentlich genügend Betreuungsplätze?

Es gibt sie dann, wenn sich die Innenministerin ein Vorbild an Angela Merkel nimmt und nicht an Viktor Orbán. Ich habe den Eindruck, dass sowohl die Innenministerin als auch der Außenminister zu viel nach Ungarn blinzeln und zu wenig zu schauen, wie gelassen und ruhig Deutschland mit der Herausforderung umgeht, während in Österreich die Innenministerin jede Woche mit einem neuen Superlativ der Überforderung aufwartet. In Deutschland wurde auch ein Sonderbudget beschlossen.

Scheitert es am Geld? Ist es nicht so, dass die Länder die Plätze einfach nicht haben?

Die Frage ist, zu welchen Tagsätzen Quartiergeber tatsächlich Plätze zur Verfügung stellen können. Man kann von den Hilfsorganisationen nicht verlangen, dass sie diese öffentliche Aufgabe aus Spenden finanzieren. Österreich ist verpflichtet, für eine Unterbringung während des Asylverfahrens zu sorgen. Das schaffen auch die anderen europäischen Länder, die mit uns vergleichbar sind. Man muss es nur professionell angehen.

Hunderte Menschen müssen in Traiskirchen im Freien schlafen, weil die Innenministerin unprofessionell ist?

Es gibt dramatische Bilder von obdachlosen Familien und Kindern. Die sind auch deshalb obdachlos, weil Erwin Pröll sie, anstatt für Unterkünfte zu sorgen, in seine Quote in Niederösterreich hineinrechnet. Erwin Pröll erfüllt seine Quote durch Obdachlosigkeit.

Nicht nur Niederösterreich ist säumig, sondern auch Salzburg und Tirol, wo Grüne für Asyl zuständig sind.

Diese beiden Bundesländer haben sehr stark aufgeholt. Beide haben heuer jeweils über hundert Plätze pro Monat geschaffen. Es sind eher Länder wie Burgenland und Kärnten, die im Moment säumig sind.

Braucht es jetzt einen Notfallplan gegen die Obdachlosigkeit?

Es braucht professionelle Koordinierung und ausreichend Mittel. Es wäre klug, einen Regierungsbeauftragten einzusetzen. Es gibt etwa beim Roten Kreuz hochqualifizierte Menschen, die mit genau solchen Situationen auch international Erfahrung haben.

Sehen Sie generell eine Grenze der Aufnahmefähigkeit?

Es gibt eine Verpflichtung, Menschen, die vor Vergewaltigung, vor bestialischen Morden fliehen, Schutz zu bieten. Das ist natürlich auch eine europäische Herausforderung, da kann unser Europa mehr, als es jetzt zeigt. Wir sehen die ängstliche Seite Europas, wo nationale Egoismen sich durchsetzen und Grenzzäune hochgezogen werden, wo es gilt, die eigenen Werte in der Praxis zu beweisen.

Es gibt also keine Grenze?

Menschen, die auf der Flucht sind, ist Schutz zu gewähren. Und wir haben schon schwierigere Situationen bewältigt.

Innenpolitisch profitiert von der Situation eher die FPÖ als die Grünen.

Diese Sichtweise ist zynisch. Es geht um Menschen und Menschlichkeit. Wir versuchen eine Politik der Hoffnung zu machen. Dass im Moment viele versuchen, mit Angst zu spielen, halte ich für gefährlich. Das Problem ist, dass SPÖ und ÖVP da den Freiheitlichen hinterherhupfen.

Weil sie damit bei den Wählern ankommen.

Man sieht gerade wieder, dass die Freiheitlichen die Partei mit Korruptionshintergrund ist. Und wenn die Freiheitlichen immer von Sicherheit reden, zeigt die Erfahrung, dass sie das größte Sicherheitsrisiko in der österreichischen Innenpolitik sind. Weil keine Partei eine höhere Kriminalitätsrate hat.

Grüne sitzen in sechs Landesregierungen. Kommt nun die Trendwende? Fliegen Sie in Wien oder Oberösterreich raus?

Im Gegenteil: Wir merken, dass dort, wo wir regieren, das Vertrauen noch stärker wächst.

Rot-Grün in Wien wird bleiben?

Die SPÖ wird sicher einen Schubser brauchen. Und dieser Schubser wird ein gutes Wahlergebnis von Maria Vassilakou sein.

AUF EINEN BLICK

Stefan Wallner (44) ist seit 2009 Bundesgeschäftsführer der Grünen. Davor war er Generalsekretär der Caritas Österreich. Bei der Suche nach Flüchtlingsquartieren fordert er mehr Professionalität seitens des Innenministeriums und eine Anhebung der Mittel für die Betreuung. Österreich solle sich Deutschland als Vorbild nehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2015)

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