ÖVP: Auffanglager für Stronach-Flüchtlinge

OeVP-STAeRKSTER KLUB IM PARLAMENT: LOPATKA / NACHBAUR / ERTLSCHWEIGER
OeVP-STAeRKSTER KLUB IM PARLAMENT: LOPATKA / NACHBAUR / ERTLSCHWEIGERAPA/HANS PUNZ
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Der ÖVP-Klubchef wirbt zwei weitere Mandatare vom Team des Austro-Kanadiers ab. Darin sieht er das wirtschaftsliberale Element der ÖVP gestärkt.

„Würde am Ende des Lebens“: Die Broschüre zur Enquete über die Sterbebegleitung liegt auf einem Tisch im ÖVP-Klub. Der schwarze Parlamentsklub und Fraktionschef Reinhold Lopatka leisten eine Art politische Sterbebegleitung – für die schrumpfende Fraktion des Teams Stronach im Hohen Haus. Es ist auch durchaus würdevoll, wie Lopatka am Samstag kurz nach 13 Uhr seinen jüngsten Coup verkündet und die beiden neuen „Flüchtlinge“ aus dem Team des Austro-Kanadiers vorstellt: Darunter ist immerhin die einstige engste Vertraute von Frank Stronach bei der Parteigründung, Kathrin Nachbaur. Der Zweite ist Ex-Sprecher Rouven Ertlschweiger. Beide schließen sich jetzt als parteiungebundene Nationalratsabgeordnete dem ÖVP-Klub an.

Überraschend kommt dieser neuerliche Aderlass im Team Stronach und der Wechsel von bisherigen Mandataren zur schwarzen Fraktion nicht wirklich. Im Gegenteil: Anfang Juni konnte Lopatka bereits die ersten beiden Zugänge aus dem Team Stronach abhaken. Rechtsanwalt Georg Vetter und der Arzt Marcus Franz haben nach Auseinandersetzungen mit dem eigenwilligen Parteigründer das Weite gesucht. Seither war bezüglich der Frage, wer als Nächster beim Team Stronach abspringen würde, nur mehr über Namen und Zeitpunkt spekuliert worden.

Lopatka bestätigte jetzt erstmals auch, dass es schon damals ein Angebot an die Steirerin Nachbaur und den Burgenländer Ertlschweiger gegeben habe, dass „die Türen des ÖVP-Klubs offen stehen“. Am gestrigen Samstag um 11.20 Uhr habe ihn die frühere Stronach-Statthalterin angerufen – nach einer Aussprache mit Frank Stronach nehme sie dieses Angebot an. Er sei „angenehm überrascht“ gewesen. Ertlschweiger habe seine Entscheidung für den Wechsel sogar bereits am Donnerstag mitgeteilt.

Mit den beiden parteifreien Abgeordneten werde die ÖVP, wie beim heurigen Programmprozess der Volkspartei angestrebt, „jünger, weiblicher und moderner“, betont Lopatka. Nachsatz, um zu unterstreichen, dass dies kein Alleingang von ihm ist, sondern mit dem Sanktus der schwarzen Parteispitze mit Reinhold Mitterlehner erfolgt ist: „Davon ist auch der Bundesparteiobmann überzeugt.“


Angebot an dritte Abgeordnete. Der ÖVP-Klubobmann gibt außerdem preis, dass er versucht hat, noch eine dritte Abgeordnete des Teams Stronachs abzuwerben, die Wienerin Jessi Lintl. Diese habe allerdings das Angebot nicht angenommen.

Für den ÖVP-Fraktionschef ist vor allem Nachbaur ein Signal, dass in der ÖVP damit das wirtschaftsliberale Element gestärkt werde. Nicht zufällig fügt er hinzu, dass dies auch als Kampfansage an die Neos zu verstehen sei. Schließlich geht es für die pinke Partei gerade im heurigen Herbst bei der Wiener Gemeinderatswahl am 11. Oktober und auch bei der Landtagswahl am 27. September in Oberösterreich um die wichtigste Weichenstellung für die politische Zukunft.

Bei Nachbaur klingt in den ersten Worten die Enttäuschung über Rückschläge, Zerwürfnisse und Turbulenzen nach dem Einzug des Teams Stronach ins Parlament im Herbst 2013 mit: „Mit viel Herzblut haben wir eine Bewegung gebildet. Leider hat nicht alles so funktioniert.“ Zugleich beeilt sie sich festzustellen, dass sie auch nach der Aussprache Frank Stronach respektiere und „sehr, sehr bewundere“. Den Wechsel zum ÖVP-Klub begründet sie so: „Ich glaube, dass ich hier eine größere Plattform habe.“ Sie werde aber „nie ein schlechtes Wort über Frank Stronach“ sagen. Ertlschweiger, der sich als Ex-Journalist der Medienpolitik annehmen wird, adelt Stronach als „großen Österreicher“.


Keine ideologischen Gräben. Größere ideologische Differenzen sieht Nachbaur jedenfalls nicht. „Ich werde mich nicht verbiegen“, kündigt sie mit Nachdruck an. „Ich bin eine echte Wirtschaftsliberale mit Herz.“ Allerdings hat das Team Stronach vor allem im Nationalratswahlkampf 2013 die beiden Regierungsparteien wegen des ständigen Schuldenmachens und deren übergroßen Einflusses in allen Lebensbereichen der Republik scharf kritisiert. Nachbaur selbst hat noch vor dem Beschluss der rot-schwarzen Steuerreform Anfang Juli im Parlament an dieser ebenso kein gutes Haar gelassen wie an den Rettungsaktionen für Griechenland. Dazu befragt, antwortet sie: „Ich bleibe, was Griechenland anlangt, eine EU-Kritikerin.“

Mit dem Grundsatzprogramm der ÖVP aus dem heurigen Mai würden sich bei ihr viele Kernthemen decken. Bei Fragen zu Bildung und Familien sieht Jungmutter Nachbaur sogar viel Übereinstimmung. Der ÖVP-Klubchef findet in den beiden Parteiprogrammen ebenfalls keine großen Unterschiede oder ideologische Gräben.

Betrug am Wähler oder Probleme mit Glaubwürdigkeit sehen weder Nachbaur noch Lopatka. Er wolle zwar, dass es eine möglichst starke Mehrheit gebe, aber ein Ausscheren hält er für zulässig: „Ein starker Klub muss das aushalten.“

Dass der ÖVP-Klub nunmehr zu einer Art Auffanglager für weitere Stronach-Enttäuschte wird, erwartet Lopatka nicht. Andere Stronach-Mandatare, die zuvor schon bei anderen Parteien waren, kämen „aus prinzipiellen Gründen“ für ihn „nicht infrage“. Ein Abgeordneter habe von sich aus angefragt. Namen nennt er keinen. Ob es sich dabei um Ex-ÖVP-Mann Leo Steinbichler handle? „Fragen Sie ihn selbst!“
Finanziell und bezüglich der politischen Stärke hat sich der Wechsel für die ÖVP ausgezahlt. Die Klubförderung steigt damit um gut 96.000 Euro.


ÖVP 51, SPÖ 52. Was die Stärkeverhältnisse betrifft, ist die ÖVP der SPÖ im Nationalrat nun ganz nahe gerückt und hält bei 51 Mandataren, die SPÖ stellt 52 Abgeordnete im Nationalrat. Insgesamt gerechnet wurde die Kanzlerpartei SPÖ sogar überholt: Mit 51 Vertretern im Nationalrat, 24 im Bundesrat sowie fünf EU-Abgeordneten, die ebenfalls zum Klub gezählt werden, kommt Lopatka auf insgesamt 80. Das sind um zwei mehr für die ÖVP, denn die SPÖ hält bei einer solchen Rechnung bei 78. Nicht umsonst wurde zu der Pressekonferenz kurzfristig unter dem Titel eingeladen, dass die ÖVP nun stärkste Kraft im Parlament sei.

Lopatka relativiert allerdings den Zuwachs. Er spricht von einer Stärkung der Koalition, die im Nationalrat nun gemeinsam 103 Abgeordnete habe: „Das bedeutet, wir sind gestärkt in der Zusammenarbeit.“ Das sei gut für die von der ÖVP angestrebten Bemühungen um mehr Reformen. Eines kann er jedenfalls ausschließen: „Von der SPÖ hat sich noch niemand gemeldet, der zu uns wechseln möchte.“

Fakten

Vier Wechsel. Mit den Übertritten der beiden Abgeordneten Kathrin Nachbaur und Rouven Ertlschweiger und jenen von Marcus Franz und Georg Vetter Anfang Juni sind vier Mandatare vom Team Stronach nun im ÖVP-Klub.

Mandatsstand. Im Nationalrat stellt die SPÖ 52 Abgeordnete, die ÖVP nunmehr 51. Rot-Schwarz hat damit 103 Mandatare. Schwarz-Blau stellt zusammen 89, denn die FPÖ hat 38 Abgeordnete. Das Team Stronach ist mit nunmehr sieben Abgeordneten die kleinste Parlamentspartei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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