EU kontert Österreich: "Keine Zeit für Klagen"

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Asylkrise: Die Regierung will der EU- Kommission zwei Monate geben, um die Dublin-Verordnung zu verbessern. Sonst könnte es eine "Untätigkeitsklage" geben.

Kühl konterte die EU-Kommission Österreichs Ankündigung, sie notfalls wegen der Dublin-III-Verordnung vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen: "Jetzt ist definitiv nicht die Zeit, um gegeneinender vor Gericht zu ziehen", sagte EU-Kommissionssprecherin Annika Breidthard am Mittwoch in Brüssel. "Jetzt ist die Zeit, um Solidarität zu zeigen und die ehrgeizige Migrationsagenda der EU-Kommission umzusetzen. Der Hintergrund: Innen- und Justizministerium wollen den Druck auf die EU erhöhen, die Flüchtlinge besser auf die Staaten der Union zu verteilen.

In einem Hintergrundgespräch hatten die Ressortchefs am Dienstag angekündigt, der EU-Kommission eine zweimonatige Frist zur Anpassung der Dublin-Verordnung zu setzen. Sonst werde man sich an den Europäischen Gerichtshof wenden. Geplant ist zudem eine Verschärfung des Schlepperparagrafen. "Wir haben nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte", bezog sich Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) auf Artikel 80 des Lissabon-Vertrages, wonach von den EU-Mitgliedsstaaten generell Solidarität und Lastenaufteilung gefordert wird. Darauf werde in der Dublin-III-Verordnung zu wenig Rücksicht genommen. Per Ministerratsbeschluss wollen sich Innen- und Justizministerium an die Europäische Kommission wenden, damit diese die Regelungen dahingehend modifiziert.

Welche Maßnahmen die Kommission genau treffen könnte, ließen die Regierungsvertreter noch offen. Der Antrag der Regierung an die Kommission stützt sich auf ein vom Innenministerium in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten.

Solidarität auch innerhalb Österreichs nötig

Konkret soll die Kommission von der Republik Österreich zwei Monate Zeit bekommen, eigene Vorschläge zur Verbesserung der Dublin-Verordnung einzubringen. Geschieht das nicht, will man sich mit einer "Untätigkeitsklage" an den EuGH wenden. Gäbe dieser der Beschwerde recht, wäre die Kommission unbedingt gefordert zu handeln, hofft Mikl-Leitner. Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) ergänzte: "Ich bin überzeugt, dass das gar nicht notwendig sein wird." Eine derartige Solidarität müsse es übrigens auch innerstaatlich geben, sagte der Minister in Richtung der Bundesländer.

Brandstetter plant überdies eine Verschärfung des Schlepperparagrafen im Strafrecht. Geltende Rechtslage ist es, dass Schlepper nicht in Untersuchungshaft kommen, wenn sie maximal zehn Personen mitgeführt haben. Diese Grenze will Brandstetter aufheben - denn in letzter Zeit hätten sich Fälle mit weniger als elf Geschleppten gehäuft. "Österreich soll ein schlechter Zielort für Schlepper sein", begründete der Minister sein Anliegen.

Kanzleramts-Juristen geben Klage kaum Chancen

Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes räumt der angedrohten Klage Österreichs wenig Chancen ein. Die Hausjuristen von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) zweifeln am Rechtsgutachten, dass von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in Auftrag gegeben wurde. Das geht aus einer Stellungnahme des Verfassungsdienstes vom Mittwoch hervor.

Zum einen hält der Verfassungsdienst die rechtlichen Grundsätze der Solidarität und der fairen Aufteilung der Flüchtlinge, die im Lissabon-Vertrag festgeschrieben wurde und auf die sich das Innen-und Justizministerium berufen, für nicht einklagbar. Auch halten die Juristen des Bundeskanzleramtes es für fraglich, ob Österreich durch eine Untätigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) tatsächlich konkrete Änderungen erwirken könnte, da das Gericht der Kommission keine inhaltlichen Vorgaben machen könne.

Unterdessen erhielt das chronisch überfüllte Flüchtlingslager in Traiskirchen am Mittwoch Besuch von Bundespräsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP).

Häupl macht Mikl-Leitner ein Angebot

Wiens SPÖ-Landeshauptmann Michael Häupl meldete sich indes via Ö1-"Morgenjournal" in der Causa zu Wort und bot dem Innenministerium an, die Bundesbetreuungsstelle Wien-Erdberg mit rund 500 Flüchtlingen als Stadt Wien zu übernehmen. So könnte das Ministerium entlastet werden. Auch gehörten die dort mehrheitlich minderjährigen Flüchtlinge "betreut und nicht bewacht". Und Häupl betonte: "Wir lösen in humanitärer Form in Wien diese Flüchtlingsherausforderung. Es gibt bei uns keine Container, es gibt bei uns keine Zelte, es gibt bei uns keine unversorgten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter."

Das Innenministerium gab sich am Dienstag gesprächsbereit. Allerdings dürfe dadurch die derzeitige "Puffer-Funktion", welche die Einrichtung für das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen erfülle, nicht verloren gehen, sagte ein Sprecher des Ressorts. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sah am Mittwoch indes "keinen ersichtlichen Grund", warum die Stadt Wien das Asyl-Quartier in Erdberg übernehmen soll.

Dublin III-Verordnung

Das Dublin-Prinzip gilt seit 1990, der dazugehörige Rechtstext wurde seither jedoch mehrfach reformiert. Die aktuell gültig Fassung ist die sogenannte Dublin III-Verordnung, die mit 1. Jänner 2014 vorhergehende Regelungen ablöst. Sie ist für alle EU-Staaten rechtlich bindend. Bei einer Nichtbeachtung droht ein Vertragsverletzungsverfahren und in letzter Konsequenz eine Verurteilung zu Strafzahlungen durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Die Verordnung legt fest, dass jenes EU-Land für die Bearbeitung von Asylverfahren zuständig ist, in dem Schutzsuchende erstmals EU-Boden betreten haben. Sie wird immer wieder heftig kritisiert, weil sie Länder an der EU-Außengrenze wie Ungarn, Italien, Griechenland, Bulgarien oder Malta besonders stark in die Pflicht nimmt. Rufe nach einer Reform des Dublin-Systems scheiterten bisher am Widerstand von EU-Staaten, die sich entweder nicht an der EU-Außengrenze befinden oder nicht Hauptziel von Flüchtlingen sind.

>>> Der Vertrag von Lissabon

>> Häupl im Ö1-"Morgenjournal"

(APA/Red.)

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