Brandstetter: "Will nicht als großer Reformer dastehen"

„Wenn das Alte gut ist, warum soll man es nicht schätzen?“ Justizminister Wolfgang Brandstetter legt im Palais Trautson gern an seinem Wurlitzer auf.
„Wenn das Alte gut ist, warum soll man es nicht schätzen?“ Justizminister Wolfgang Brandstetter legt im Palais Trautson gern an seinem Wurlitzer auf.Die Presse
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Justizminister Wolfgang Brandstetter über sachliche Notwendigkeiten, fehlenden persönlichen Ehrgeiz und Scheitern des Ressorts bei der Mietrechtsreform.

Wir wollen heute über Reformen sprechen. Ist das der Grund dafür, dass Sie vorige Woche rasch eine Reform des Jugendgerichtsgesetzes zur Begutachtung verschickt haben?

Wolfgang Brandstetter: Nein. Wir wollten wieder eine ausreichende Begutachtungsfrist haben, deshalb wollten wir rasch vorgehen. Das ist völlig im Plan.

Aber die Vorlaufzeit war ziemlich lang. Die Reform wurde vor mehr als zwei Jahren von Ihrer Vorgängerin, Beatrix Karl, angestoßen, nach einem schweren Missbrauchsfall mit einem jugendlichen U-Häftling in Wien.

Das, was wir jetzt machen, geht weit darüber hinaus, was wir schon damals gemacht haben. Wir haben sofort reagiert. Die Maßnahmen haben relativ rasch gegriffen – Stichwort Sozialnetzkonferenzen und Vermeidung der U-Haft bei Jugendlichen.

Sie haben hier im Vorzimmer einen nostalgischen Wurlitzer stehen, Sie lieben Oldtimer, Sie sind weltanschaulich konservativ. Warum überhaupt Reformen?

Wenn das Alte gut ist, warum soll man es nicht schätzen? Ich liebe Technik, die man noch versteht. Zu den Reformen: Wenn man gut bleiben will, muss man den unbedingten Willen haben, immer besser zu werden, sonst bleibt man nicht gut. Das ist auch im Justizbereich so. Es geht nicht um Reformen um der Reformen willen; ich will nicht als der große Reformminister dastehen. Ich sehe nur in vielen Bereichen sachlich dringenden Reformbedarf.

Im Mietrecht ist seit Jahr und Tag bekannt, dass ein unbefriedigender Zustand herrscht.

Absolut.

Die Mieten hängen stärker vom Baujahr des Hauses und vom Alter des Mietvertrags als vom Wert der Wohnung ab, und darunter leiden vor allem Junge, die Wohnungen suchen. Es gibt längst Vorarbeiten im Ministerium, aber politisch ist eine Einigung unmöglich. Können Sie das hinnehmen?

Sie haben in allen Punkten recht. Die Bemühungen des Ministeriums waren sehr intensiv, wir haben versucht, mit allen involvierten Interessengruppen einen Grundkonsens herzustellen. Wir sind ja nur zuständig für die zivilrechtliche Umsetzung des Mietrechts; ohne grundsätzliche Einigung der Hauptinteressengruppen über die Frage, inwieweit man in Marktmechanismen eingreift, können wir den Reformbedarf nicht befriedigen. Wir haben versucht, treibende Kraft zu sein, und das ist Mitte des Vorjahres gescheitert. Damit kann ich mich nicht abfinden, deshalb habe ich die Bereichssprecher im Parlament gebeten, einen Grundkonsens zu finden. Und bei diesem Status sind wir immer noch. Daher ist das leider eines jener Reformvorhaben, die bisher nicht verwirklicht werden konnten.

Die Urheberrechtsnovelle haben Sie durchgebracht, aber ohne Leistungsschutzrecht, das Verlagen die Kontrolle über ihre Inhalte im Internet sichern sollte. Fehlt Ihnen auch dafür die politische Durchschlagskraft?

Mir ist schon klar, dass man als parteiungebundener Justizminister zwar gewisse Vorteile hat, was die Argumentation betrifft, aber andererseits den Nachteil, dass man nicht auf Knopfdruck eine gewisse politische Kraft aktivieren kann. Wir müssen mit unseren Argumenten überzeugen. Mit der Speichermedienvergütung ist es uns gelungen, eine Abgeltung der urheberrechtlichen Ansprüche von Künstlern sicherzustellen. Das Leistungsschutzrecht gehört zu den Themen, bei denen es vielleicht später Regelungsmöglichkeiten gibt oder den Entfall von Regelungsnotwendigkeiten. Letztlich ist das durch das Internet fast ein globales Problem.

Als weitere große Baustelle sehen Sie den Straf- und Maßnahmenvollzug. Da haben Sie eine organisatorische Maßnahme ergriffen, indem Sie die Vollzugsdirektion aufgelöst haben und die Zuständigkeit ins Ministerium geholt haben. Beim Maßnahmenvollzug mit psychisch kranken Tätern wollen Sie die Krankenversicherungsträger einbinden. Es laufen Gespräche mit den Ländern, von denen Sie Geld wollen. Ich nehme an, deren Begeisterung ist ähnlich groß wie bei der Unterbringung von Flüchtlingen.

Es geht nicht darum, dass ich von den Ländern Geld will. Die öffentliche Hand muss einen menschenrechtskonformen Strafvollzug sicherstellen. Wir haben in einzelnen Bereichen massive Schwächen, die man bereinigen muss. Aber immer nur zu überlegen, welcher Kompetenzbereich hat was zu finanzieren, ist höchst unbefriedigend. Ob das, was finanziert werden muss, auf Länderebene, vom Bund, über den Finanzausgleich oder von beiden Teilen finanziert wird, kann nicht entscheidend sein.

Aber es muss geklärt werden.

Es kann nicht sein, dass es aufgrund irgendwelcher sozialversicherungsrechtlicher Regelungen notwendig ist, bei akuten Fällen Häftlinge aus Korneuburg in die Psychiatrie nach Mauer-Öhling (bei Amstetten, Anm.) zu bringen statt nach Wien. Mittlerweile habe ich mit Wien sichergestellt, dass das nicht so sein muss und dass wir uns den Aufwand zweier Justizwachebeamter, die für die Fahrt nach Mauer-Öhling einen ganzen Tag im Dienst sind, ersparen. Das hätte ich nicht erzwingen können, da muss man auf die Länder zugehen. Und ich sage Ihnen: Das funktioniert.

Auch bei der Gerichtsorganisation sind Sie mit den Segnungen des Föderalismus konfrontiert. Es scheint, Sie hätten sich mit dem Jetztstand angefreundet und würden keine Kleinbezirksgerichte mehr auflassen wollen.

Angefreundet? Ganz im Gegenteil! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie mir die jetzige Situation, vor allem in Niederösterreich, auf die Nerven geht. Weil Stückwerk ist, was wir dort haben. In manchen Bereichen ist die Gerichtszusammenlegung nur auf dem Papier passiert. In einigen Bundesländern – Burgenland, Vorarlberg, Tirol – haben wir noch nichts erreicht. In diesem Bereich bin ich höchst ungeduldig und kümmere mich selbst darum. Es ist auch unerträglich, dass die Bediensteten so lang verunsichert sind. Es braucht rasche Lösungen, mit einer vernünftigen effizienten Gerichtsstruktur und verbessertem Serviceangebot für Bürger. Das schaffe ich in größeren Einheiten leichter als in kleineren. Andererseits verschließe ich mich regional- und verkehrspolitischen Argumenten nicht. Ich will keinen Kahlschlag bei den Bezirksgerichten. Die Justiz soll auch in den Regionen Flagge zeigen. Die Sache nur rein ökonomisch zu betrachten, halte ich für falsch.

Wie viele Gerichte wollen Sie schließen?

Ich kann mich nicht auf eine Zahl festlegen. Wir haben jetzt von 145 auf 116 reduziert. Dort, wo es wirklich sinnvoll ist, wird man noch einige schließen können, aber ich erwarte mir keine dramatischen Veränderungen mehr.

Für Veränderungen brauchen Sie die Zustimmung der Länder.

Das ist für mich kein wirkliches Problem. Auch hier ist es sinnvoll, auf Kooperation zu setzen. Wer weiß denn am besten um die regionalen Bedürfnisse? Das sind doch ohnehin immer die Ländervertreter.

Österreichs Justiz rühmt sich gern der geringen Verfahrensdauer, die es im Durchschnitt auch gibt. Es fällt aber auf, dass schwierige Verfahren dennoch sehr lang dauern. Ende 2013 etwa war fast jedes fünfte streitige Zivilverfahren bei den Landesgerichten und beim Handelsgericht Wien länger als drei Jahre in erster Instanz anhängig. Was tun Sie, um Zivilprozesse zu beschleunigen?

In richtigen Großverfahren haben wir sowohl im Strafverfahren als auch im Zivilverfahren ein echtes Problem. Wir müssen versuchen, sie zum Teil mit neuen Instrumentarien in den Griff zu kriegen. Im Bereich der Staatsanwaltschaft versuchen wir es mit Teambildung und eigenen Experten – Stichwort Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Da ist schon einiges passiert. Offenbar muss man auch im Zivilverfahren die Sonderstellung der großen Verfahren gesondert sehen. Es geht um die Ausgestaltung von neuen Formen der Sammelklage, der Zusammenlegung von Verfahren. Da werden wir etwas ausarbeiten, unter ganz starker Einbindung der Erfahrungen aus der Praxis.

Wie lang kann das noch dauern? Die Sammelklage stand schon im Programm der vorangegangenen Regierung!

Weil es hier um ein spezielles Phänomen für Großverfahren geht, muss man spezielle Lösungen finden. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber ich glaube schon, dass das Regierungsprogramm in diesem Punkt erfüllbar ist.

Gibt es eine Reform, mit der Sie gern in die Annalen der Justiz eingehen würden?

Nein, den Ehrgeiz habe ich nicht. Mir geht es um sachliche Notwendigkeiten. Wir wollen bestmögliche Arbeit leisten und die notwendigen Reformen umsetzen. Bis jetzt hat das auch gut funktioniert – mit unserer Methode, auf Konsens zu setzen. Das mag vielleicht da oder dort defensiv wirken, aber ich sehe gerade in der Funktion einer parteipolitisch nicht gebundenen Ministerschaft durchaus Vorteile. Ich bin natürlich in direktem Kontakt mit den maßgeblichen Vertretern beider Koalitionsparteien, aber auch mit den Justizsprechern der Oppositionsparteien.

Bräuchten Sie nicht mehr Ehrgeiz?

Ehrgeiz in persönlicher Hinsicht habe ich wirklich nicht. In sachpolitischer Hinsicht habe ich einen sehr großen Ehrgeiz. Da können mir nötige Reformen nicht schnell genug gehen.

Steckbrief

Wolfgang Brand-stetter, am 7.Oktober 1957 in Haag (NÖ) geboren, ist seit 16.Dezember 2013 parteiloser Justizminister. Der damalige ÖVP-Obmann und Vizekanzler Michael Spindelegger hatte ihn, einen ehemaligen Arbeitskollegen, langjährigen Bekannten und CV-Bruder, als Ressortchef vorgeschlagen.

Professor, Strafverteidiger. Brandstetter kommt aus der Wissenschaft. Er habilitierte sich 1991 an der Uni Wien für Strafrecht und Strafprozessrecht. Dort lehrte er, bis er 2007 Vorstand des Instituts für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht an der WU Wien wurde. Brandstetter war in spektakulären Causen als Strafverteidiger tätig, etwa für Kanzler Werner Faymann (Inseratenaffäre, keine Anklage) oder den früheren kasachischen Botschafter Rachat Alijew, der sich im Februar in seiner U-Haft-Zelle erhängte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2015)

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