„Ein Funke kann die Region in Brand setzen“

Aleksandar Vucic the Prime Minister of the Republic of Serbia 20 02 2015 Brdo pri Kranju Sloveni
Aleksandar Vucic the Prime Minister of the Republic of Serbia 20 02 2015 Brdo pri Kranju Sloveni(c) imago/Pixsell (imago stock&people)
  • Drucken

Vučić bietet Österreich und Deutschland Gespräche über die Unterbringung von Asylwerbern an, fordert EU-Unterstützung in der Flüchtlingskrise für den Westbalkan, und er warnt vor Instabilität in Bosnien.

Serbien hat heuer schon mehr als 80.000 Flüchtlinge auf dem Weg nach Ungarn registriert. Fühlen Sie sich im Stich gelassen von der EU?

Aleksandar Vučić: Ich bin nicht der Typ, der jammert und weint. Aber wir brauchen mehr EU-Unterstützung. Wenn wir sie erhalten, ist es gut. Wenn nicht, werden wir unsere Arbeit fortsetzen. Die Situation ist nicht leicht für uns, aber wir behandeln die Flüchtlinge gut. Wir haben ein Aufnahmezentrum in Preševo errichtet, werden auch eines nahe Belgrad bauen und in Subotica. Wir sind sehr enttäuscht, dass Ungarn diesen Zaun an unserer Grenze errichtet. Das erinnert an vergangene dunkle Zeiten.

Welche Konsequenzen wird der Zaun haben? Wohin werden sich die Flüchtlinge wenden?

Sie bleiben heute schon zwei oder drei Tage länger in Serbien als früher. Aber sie finden immer noch genug Lücken in der ungarischen Grenze. Sie werden noch andere Routen finden, über Kroatien oder Rumänien. Die Flüchtlinge sind fest entschlossen, nach Österreich, Deutschland oder Skandinavien zu gehen. Sie wollen nicht bei uns bleiben. Nur zehn bis 20 der 80.000 Flüchtlinge haben um Asyl in Serbien angesucht.

Warum nur so wenige?

Weil wir noch immer sehr arm sind. Die Flüchtlinge können bei uns nicht so viel verdienen und so viel Sozialhilfe erhalten wie in Deutschland oder Österreich. Das ist der Hauptgrund, obwohl alle Flüchtlinge sehr zufrieden mit ihrer Behandlung in Serbien sind.

Nicht alle. In einem Bericht von Human Right Watch beklagen sich Flüchtlinge, von serbischen Polizisten misshandelt und erpresst worden zu sein.

Es gab einen Fall, und wir haben diese zwei Polizisten verhaftet. Das ist einzigartig in Europa.

Mazedonien hat seine Grenze für Flüchtlinge geöffnet, dann für zwei Tage geschlossen und jetzt wieder aufgemacht. Können Sie eine Logik dahinter erkennen?

Das kann ich nicht.

Was erwarten Sie von Mazedonien?

Nicht allzu viel. Wir müssen uns besser koordinieren. Mazedonien lässt die Flüchtlinge nach Serbien strömen und kümmert sich nicht um sie.

Skopje beklagt sich, dass Griechenland, ein EU-Staat, die Flüchtlinge zu tausenden nach Mazedonien durchwinkt.

Mazedonien beklagt sich zu Recht. Die Griechen lassen die Flüchtlinge einfach durch.

Haben Sie eine Idee, wie Europa die Krise meistern kann?

Ich bin ein starker Befürworter des Fünf-Punkte-Plans von Sebastian Kurz, und zwar nicht nur wegen Punkt vier, der mehr Unterstützung für die Balkan-Transitländer vorsieht. Wir müssen die Flüchtlingskrise an der Wurzel packen, in und um Syrien und den Irak. Nur darauf zu warten, dass etwas geschieht, wird nicht genug sein. Wir müssen handeln, wir brauchen eine umfassende Lösung der EU und aller europäischen Staaten.

Können Sie sich vorstellen, dass Serbien Asylwerber unterbringt, bis über ihre Anträge in Österreich oder Deutschland entschieden wird?

Wir haben mit den Flüchtlingen darüber gesprochen, aber sie wollen das nicht. Wir sind kein EU-Staat, aber wir sind bereit, mit Österreich, Deutschland und den anderen einen Teil der Last zu schultern. Doch es muss klar festgelegt sein, was unsere Pflichten sind. Das werden sie nicht von vielen Ministerpräsidenten in Europa hören, nicht einmal in der EU.

Würde Serbien im Rahmen eines europäischen Verteilungsschlüssels Flüchtlinge aufnehmen?

Ich bin bereit, mit Angela Merkel und Sebastian Kurz über alles zu diskutieren, was hilfreich sein kann, auch darüber.

Der Westbalkan-Gipfel in Wien wird überschattet von der Flüchtlingskrise. Welche Themen hätten Sie gerne forciert?

Wir brauchen politische Unterstützung von Deutschland, Österreich und der EU, um regionale Stabilität zu sichern. Als serbischer Premier habe ich keine Angst vor harten Wirtschaftsreformen, aber ich habe große Angst vor regionaler Instabilität. Ein Funke kann die gesamte Region in Brand setzen.

Wo?

Am meisten Sorgen bereitet mir die Situation in Bosnien.

Wie kann man Stabilität fördern?

Durch Infrastrukturprojekte. Wir werden das auch in Wien besprechen. Wenn wir eine Autobahn zwischen Niš und Prishtina oder eine Eisenbahnstrecke zwischen Sarajewo und Belgrad errichten, müssen Serben und Bosnier zusammenarbeiten, später in einem Zug zusammensitzen. Das verbindet die Menschen, das ist politisch und psychologisch wichtig. Investoren sind willkommen, aber wir brauchen euer Geld nicht. Wenn ihr uns bei Machbarkeitsstudien helft, danke. Wir haben genug Geld, um die Projekte zu finanzieren. Wir haben unser Budgetdefizit unter die Maastricht-Kriterien gedrückt und so Spielraum geschaffen.

Sie wollten in Wien eine Versöhnungsinitiative starten, einen gemeinsamen Erinnerungstag für die Opfer der Jugoslawien-Kriege. Sind Sie enttäuscht, dass Kroatien, Kosovo und Bosnien den Vorschlag abgewürgt haben?

Ich bin nicht enttäuscht. Ich habe nicht allzu viel erwartet. Ich sprach über Opfer, nicht über Schuldige. Es gab unschuldige Opfer auf allen Seiten: Bosnier, Serben, Kroaten, Albaner.

Man muss doch auch über die Täter in diesen Kriegen reden.

Man kann über alles sprechen, auch über Aggressoren. Doch es wird dann nicht leichter, sich zu einigen. Wer wäre denn der Aggressor in der „Operation Sturm“ in Kroatien? Wer hat 300.000 Serben aus Kroatien vertrieben?

Sie wollten vermeiden, die serbische Täterrolle zu thematisieren.

Wir sind das einzige Land, das bereit ist, darüber zu sprechen. Deswegen ging ich zu der Gedenkveranstaltung in Srebrenica.

Sie wurden dort mit Steinen beworfen. Kann es sein, dass manche Ihnen nicht abkaufen, dass Sie sich verändert haben sollen?

Es geht doch da nur darum, politische Manöver zu rechtfertigen. Wer nicht mutig genug für Wirtschaftsreformen ist, verweist lieber auf das, was vor 20 Jahren passierte. Das ist doch nur blabla.

Es gab offenbar einen Moment in Ihrer Karriere, in dem Sie ihre Richtung geändert haben ...

Das war nicht nur ein Moment, das war ein Prozess.

Was hat Sie zum Umdenken bewogen? Vor ein paar Jahren noch riefen Sie auf (den als Kriegsverbrecher angeklagten, Anm.), Ex-General Mladić zu beschützen.

Das wurde aus dem Kontext gerissen, aber egal: Es ist normal, sich zu ändern, wenn man älter wird. Wenn die Leute merken, dass man es ehrlich meint, erkennen sie es an.

Hat vor allem Ihre Haltung zur EU Ihre Koordinaten verschoben?

Zum Teil, ja. Meine Partei ist heute die einzige große EU-Befürworterin in unserem Land.

ZUR PERSON

Aleksandar Vučić (geb. 1970 in Belgrad) ist seit April 2014 Premier Serbiens. Der Jurist hat eine ultranationalistische Vergangenheit, war Mitglied der Radikalen Partei und in der Ära Milošević während des Kosovo-Kriegs serbischer Informationsminister. 2008 trat er zur nationalkonservativen Fortschrittspartei über, wurde 2012 Vizepremier und Verteidigungsminister.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

MINISTERRAT: PRESSEFOYER
Außenpolitik

Flüchtlinge: Dicke Luft zwischen Wien und Prag

Nach einer Rüge von Kanzler Faymann für Osteuropas Quoten-Verweigerer kontert Tschechiens Außenminister und macht zugleich Brüssel Vorwürfe: „Die EU hat die Situation am Westbalkan unterschätzt.“

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.