Syrien: "Mangel an Hilfe treibt Menschen in die Flucht"

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UNO-Helfer Kleinschmidt beklagt, dass Weltgemeinschaft nicht einmal einen Dollar pro Flüchtling in Jordanien bereitstellt.

Wien. Kilian Kleinschmidt weiß, wie wirkliche Flüchtlingskrisen aussehen. Fast drei Jahrzehnte lang hat der bullige Deutsche überall auf der Welt für die UNO die viel beschworene „Hilfe vor Ort“ geleistet. Bis im vergangenen Jahr noch als Leiter des Flüchtlingscamps Saatari im Norden Jordaniens, mit rund 100.000 Hilfesuchenden das zweitgrößte Flüchtlingslager weltweit. Manchmal, sagt er, seien allein in einer Nacht zweitausend Neuankömmlinge aus Syrien eingetroffen.

Hilfe in den Herkunftsländern und in der Region – das verlangen Politiker bei jeder Diskussion über den Flüchtlingsansturm in Europa. Diese Hilfe könnte vieles lindern und auch rasch geleistet werden, machte Kleinschmidt am Donnerstag auf einer Pressekonferenz mit der Caritas deutlich. „Aber die Weltgemeinschaft schafft es nicht einmal, die Grundversorgung von Flüchtlingen herzustellen. Wir sprechen von geringen Summen: einem Dollar pro Tag pro Person.“ Für Essen, Wasser, eine Unterkunft. Vor wenigen Wochen hat das World Food Programm (WFP) Alarm geschlagen, das den Großteil der Flüchtlinge in Syriens Nachbarstaaten versorgt. Allein 1,5 Millionen leben in Jordanien und im Libanon, jeweils mehr als ein Viertel der Landesbevölkerung. Weil das Geld fehlt, hat das WFP die Nothilfe um mehr als die Hälfte reduziert. Mittlerweile müssen die meisten Flüchtlinge mit knapp 14 Dollar im Monat auskommen. Für August stand das Programm insgesamt infrage, bis die USA in letzter Minute mit einer 47-Millionen-Dollar-Spende einsprangen.

Aber die Finanzierung ist unsicher, und Kleinschmidt empört sich darüber, dass „humanitäre Hilfe immer nur ein Strohfeuer bleibt“ und das Interesse an Krisen so schnell abflaut. Auch die Konsequenzen dieser Vernachlässigung hat er, wie er sagt, oft gesehen: Da werden Mädchen sehr früh verheiratet oder in die Prostitution gezwungen, Buben zur Terrormiliz Islamischer Staat geschickt. „Es geht um Überlebensstrategien.“

Christoph Schweifer, Chef der Auslandshilfe von der Caritas Österreich, spricht von einer „humanitären Katastrophe“. Nur ein Drittel der Gelder für die Grundversorgung sei gesichert; bis Ende des Jahres brauche allein das WFP weitere 45 Millionen US-Dollar. Der Mangel an Hilfe vor Ort treibe die Menschen in die Flucht. Schließlich flüchteten die meisten aus Verzweiflung. Und die stellt sich ein, wenn man auch in einem Flüchtlingscamp ums Überleben kämpfen muss, sind sich die Experten einig.

Kleinschmidt, der mittlerweile als unabhängiger Berater arbeitet, plädiert dafür, den Flüchtlingen in der Region eine Perspektive zu schaffen. Schließlich gehörten auch Ausbildung, Arbeit, eine sinnvolle Beschäftigung zu den Bedürfnissen. „Man darf sich nicht wundern, wenn die Menschen nach fünf Jahren Krieg die Frage stellen: Was ist denn meine Zukunft?“ Auch so entsteht die Idee, nach Europa weiterzuziehen. Und was, fragt der Experte, hindere die europäischen Staaten daran, syrischen Flüchtlingen sofort die Möglichkeit zu geben zu arbeiten?

„Traiskirchen völlig unverständlich“

Aufgrund seiner Expertise haben sich auch die österreichischen Behörden schon an Kleinschmidt gewandt. Sogar als Flüchtlingskoordinator war er im Gespräch. Es sind freilich unbequeme Antworten, die er gibt. In Traiskirchen, sagt Kleinschmidt, könne man durch besseres Management viel erreichen. „Es ist vollkommen unverständlich, dass in einem Land wie Österreich jemand auf dem Boden schlafen muss.“ Selbst im jordanischen Lager Saatari wurde jeder Flüchtling in einem Zelt untergebracht. Auch dann, wenn in einer Nacht 2000 auf einmal kamen. (raa)

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2015)

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