„Eine Notsituation“: Für Flüchtlinge vorerst 75 Millionen Euro extra

FL�CHTLINGSGIPFEL DER BUNDESREGIERUNG: MITTERLEHNER / FAYMANN
FL�CHTLINGSGIPFEL DER BUNDESREGIERUNG: MITTERLEHNER / FAYMANN(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Bis zu 5000 Asylwerber pro Tag werden erwartet: Die Regierung gibt sich bei den Mehrkosten aber zugeknöpft.

Wien. Es sei „kein Lizitierungswettbewerb“: Vizekanzler Reinhold Mitterlehner war immerhin ehrlich. Der ÖVP-Obmann begründete nämlich damit am Freitag bei der Information der Koalitionsspitze über die Regierungsklausur zur Asylfrage, warum keine Gesamtsumme für die zu erwartenden Mehrkosten für die Versorgung und Integration der Flüchtlinge in Österreich genannt werde. Er ging damit weiter als Bundeskanzler Werner Faymann, der meinte, jeder könne sich bei einem Taggeld bis zu 20 Euro die Notwendigkeiten ausrechnen. Dabei sprachen beide von einer „Notsituation“. Geschätzt werden die Kosten auf mindestens eine halbe Milliarde Euro, wobei die Grundversorgung heuer allein rund 420 Millionen Euro ausmachen dürfte.


•Damit bleibt von der halbtägigen Klausur im Bundeskanzleramt, an der auch Flüchtlingskoordinator Christian Konrad teilgenommen hat, was das Budget betrifft, ein konkret bezifferbares Ergebnis: 75 Millionen werden aus einem „Topf für Integration“ zusätzlich für Asylwerber bereitgestellt. Dieser wird bei Finanzminister Hans Jörg Schelling eingerichtet. Daraus können Projekte wie Deutschkurse, mobile Einsatzteams von Lehrern in Schulen oder Lehrangebote finanziert werden. Für den Arbeitsmarkt werden 70 Millionen Euro umgeschichtet.


•Den Ländern kommt die Bundesregierung finanziell entgegen. Ausgaben für die Flüchtlingsbetreuung werden bis zu maximal 0,1Prozent der Wirtschaftsleistung nicht auf den innerösterreichischen Stabilitätspakt und das Budgetdefizit angerechnet. Das wären knapp 350 Millionen Euro. Details müssen vom Finanzministerium aber erst mit den Ländern verhandelt werden.


•Bis Mitte Oktober sollen dann keine Asylwerber mehr in Zelten untergebracht sein. Derzeit haben 2300 in Traiskirchen noch kein festes Quartier.

Dieses „Nichtlizitieren“ bei den erwarteten Mehrkosten erfolgt ganz bewusst vor der Oberösterreich-Wahl am 27. September und der Wien-Wahl am 11. Oktober. Mitterlehner gab offen zu, dass Bürger kein Verständnis zeigten, warum etwa für Pensionisten keine zusätzlichen Mittel vorhanden seien. Er verwahrte sich sogar gegen den Ausdruck „Geld lockermachen“ für Flüchtlinge. Schon zuvor hatte er gewarnt, man habe angesichts des anhaltenden Flüchtlingszustroms und nach der in der Vorwoche positiven Haltung der Bevölkerung den Eindruck, es gebe „jetzt fast ein Kippen der Stimmung“.

Zugleich war die Regierungsspitze sichtbar bemüht zu signalisieren, dass Österreich an einer humanen Praxis in der Flüchtlingspolitik festhalten wird. Bis zu 5000 Asylwerber pro Tag seien zu erwarten. „Wir müssen mit dieser hohen Zahl fertigwerden“, versicherte Faymann. Die Grenzen werden nicht dichtgemacht. Auf Asylwerber würden schon gar „keine Gewehre gerichtet“, weder in Deutschland, „sicher nicht in Österreich“, und man werde schauen, dass es auch sonst nirgendwo in Europa passiere, bekräftigte er.


•Die Bundesregierung lässt auf EU-Ebene für eine Lösung und einheitliche Standards für Flüchtlinge nicht locker. Am kommenden Dienstag wird es eine Telefonkonferenz Faymanns mit der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, und dem amtierenden EU-Ratspräsidenten, Donald Tusk (Polen), geben. Einmal mehr attackierte Faymann Ungarn scharf, das er mitverantwortlich für die Weiterreise tausender Flüchtlinge nach Deutschland macht, weil diese das Gefühl hätten, sie würden in Ungarn kein Asyl bekommen.


•Für den Transport der Flüchtlinge wird nun das Kommando an den Generalstabschef des Bundesheeres, Othmar Commenda, übertragen. Die Transporte werden aber weiterhin mit Zügen der ÖBB und Bussen von Privaten durchgeführt, das Heer hat dafür gar keine Kapazitäten. (ett)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2015)

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