„Nicht zu viele Busse auf einmal an die Grenze“

HUNGARY MIGRATION REFUGEES CRISIS
HUNGARY MIGRATION REFUGEES CRISIS(c) APA/EPA/Csaba Krizsan (Csaba Krizsan)
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In der Verkehrsleitzentrale der ÖBB wird der Transport der Flüchtlinge koordiniert. Polizei, Heer und Rotes Kreuz arbeiten hier Schreibtisch an Schreibtisch zusammen.

Wien. Die Meldung kommt am Dienstagvormittag. Ohne große Vorwarnung – schon wieder: Um 10, 12 und 13 Uhr werden im ungarischen Hegyeshalom an der Grenze zu Österreich insgesamt drei Züge erwartet. In jedem sollen sich 1500 Menschen befinden: Flüchtlinge, die über Österreich wohl wieder nach Deutschland kommen wollen.

In Wien, nur wenige Kilometer entfernt, laufen die Vorbereitungen nach dieser Nachricht auf Hochtouren: 50 Busse, drei Sonderzüge und der reguläre Zugverkehr sollen die Lage vor Ort beruhigen. Hier in der Verkehrsleitzentrale der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) in der Nähe des Hauptbahnhofes wird die Ankunft, Weiterreise und Unterbringung von Flüchtlingen in Österreich gemanagt. Zusammen mit der eigentlichen Hauptaufgabe der Stelle: Nämlich der Kontrolle und Koordination des Zugverkehrs in Österreich.

Wobei nicht die ÖBB allein mit der Koordinierung und Logistik im Flüchtlingsbereich beauftragt wurden. In dieser Ausnahmesituation hat quasi das Bundesheer das Kommando übernommen. Das Verteidigungsressort koordiniert federführend den Transport. Im Krisenstab sind außerdem auch andere betroffene Stellen vertreten. Man arbeitet unter anderem Schreibtisch an Schreibtisch mit dem Roten Kreuz und der MA 70, die die Notquartiere koordinieren.

Oberst Klaus Jäger leitet vor Ort die Geschäfte: Er steht vor einer großen Lagekarte, die Österreich und die wichtigsten Bahnstrecken zeigt. Daneben ist aufgelistet, wie viele Plätze in Notquartieren österreichweit belegt oder verfügbar sind. So kann entschieden werden, wie viele Menschen mit welchem Transportmittel abgeholt – und wohin sie gebracht werden.

Minister und ÖBB-Chef zu Besuch

Wobei einige Punkte zu beachten seien: „Es ist besser, nicht zu viele Busse auf einmal an die Grenze zu schicken“, sagt Jäger. Dann würden die Menschen zu den Transportmitteln stürmen, Familien getrennt, man würde den Überblick verlieren. Würden die Fahrzeuge nach und nach einfahren, könne man die Lage vor Ort besser im Auge behalten. Das sei aber nur ein Aspekt von vielen.

Jeden Morgen um 08:30 Uhr findet zusätzlich ein großes Briefing statt. An diesem Dienstag nehmen auch ÖBB-Chef Christian Kern und die SPÖ-Minister Alois Stöger (Verkehr) und Gerald Klug (Verteidigung) teil. Auch sie wollen sich ein aktuelles Bild der Lage machen – und ein paar Dankesworte loswerden. Aber zunächst zu den Fakten: Am Montag haben die ÖBB demnach fast 4300 Personen Richtung Deutschland befördert, etwa 3000 davon dürften tatsächlich über die Grenze gekommen sein, der Rest sich teilweise zu Fuß auf den weiteren Weg gemacht haben. Wobei als Reiseziel nicht mehr München (Stichwort Oktoberfest) anvisiert, sondern eher nach Hannover gefahren wird. Registriert hat man außerdem bei der Bahn, dass sich Flüchtlinge verstärkt mit Fahrkarten in regulären Zügen von Graz nach Wien aufmachen.

Die Lage auf den Bahnhöfen war laut ÖBB Dienstagfrüh eher ruhig: Auf dem Wiener Hauptbahnhof hielten sich demnach 250Personen auf, auf dem Westbahnhof 50. Auf Bahnhöfen und in Notquartieren hielten sich insgesamt landesweit rund 9300 Flüchtlinge auf. Am Nachmittag verkündeten die ÖBB eine weitere Meldung: Der Fernverkehr von und nach Bayern über den Hauptbahnhof Salzburg bleibt zunächst bis Sonntag, den 4. Oktober 2015, in beide Richtungen eingestellt. Schienenersatzverkehr gibt es keinen.

„Haben nicht gefragt, wer das zahlt“

Diese Entscheidung wird die Arbeit in der Verkehrsleitzentrale in den kommenden Tagen wohl nicht erleichtern: ÖBB-Chef Kern bedankt sich jedenfalls schon am Dienstag bei seinen Mitarbeitern für das „mörderische Arbeitspensum“. Er zeigt sich „ein bisschen stolz“: „Wir haben bis zum heutigen Tag nicht gefragt, wer das zahlt.“ Stöger freut sich darüber, dass „wir von der Putzfrau bis hin zum Generaldirektor unser menschliches Gesicht gezeigt haben“. Klug hingegen war von der „hohen Professionalität“ beeindruckt – der Transport laufe „professionell und human“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2015)

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