Orbán zu Faymann: „Österreich will gar nichts“

UNGARISCHER MINISTERPR�SIDENT ORBAN IN �STERREICH
UNGARISCHER MINISTERPR�SIDENT ORBAN IN �STERREICH(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Ungarns Premier greift in Wien die Haltung der Regierung an: Wien lehne sowohl Grenzzäune als auch Korridor ab.

Wien. Kurz vor Mittag sagt Viktor Orbán, die Beziehungen zwischen Ungarn und Österreich seien nach seinem Treffen mit Bundeskanzler Werner Faymann besser als um 8 Uhr in der Früh. Doch ob diese Zustandsbeschreibung auch noch um 12.30 Uhr nach Ende seiner Pressekonferenz im barocken Marmorsaal der ungarischen Botschaft in Wien gilt, ist fraglich. Denn Ungarns Premier spart vor der dicht gedrängten Journalistenschar nicht mit spitzen Bemerkungen gegen die österreichische Bundesregierung und deren Haltung in der Flüchtlingskrise.

„Österreich hat die Freundschaft in schwierigen Zeiten verweigert“, poltert Orbán. Sein Land sei alleingelassen worden. Und mehr: Während Ungarn seiner Pflicht, dem Schutz der Schengen-Grenze, nachkomme, sei von hinten das „friendly fire“ eröffnet worden. Nun seien die Beziehungen zu Österreich „beschädigt“. Und deshalb sei er nach Wien gekommen, weil er wieder ein gutes zwischenstaatliches Verhältnis herstellen wolle. Mit großmütiger Geste erklärt sich Orbán bereit, alle Ärgernisse und Affronts der vergangenen Wochen zu „vergessen“. Und dann breitet er doch ausführlich aus, was er da alles vergessen wolle: Faymanns „absurden Nazi-Vergleich“ und den Vorwurf, Ungarn begehe Menschenrechtsverletzungen. „Das war eine glatte Lüge“, sagt Orbán.

Der ungarische Premier kommt in Fahrt, er scheint die Aufmerksamkeit zu genießen. Er fühlt sich stark, im Aufwind, bestätigt auch durch den jüngsten EU-Sondergipfel. Dort hatten alle 28 EU-Regierungschefs bekräftigt, sich an die Dublin-Asylregeln zu halten. Und ist nicht Ungarn das Land, das am kompromisslosesten versucht, die Grenzen zu kontrollieren und die Migranten zu registrieren? Orbán begreift die Flüchtlingskrise als seinen großen Moment in Europa. Kritik steckt er weg. Seine Positionen mögen manchen herzlos und hart erscheinen, doch sie sind schlüssiger als der Zickzackkurs seiner Gegner.

Entspannen wird sich die Lage noch lange nicht. Orbán glaubt, einen „Algorithmus“ der Flucht erkannt zu haben. 250.000 bis 280.000 Migranten erwartet er bis zum Ende des Jahres auf der Balkanroute. Und der „Nachschub“ im Nahen Osten und in Afrika sei unerschöpflich, dort seien noch einmal „zig Millionen Menschen“ bereit, sich auf den Weg nach Europa zu machen.

Für Orbán geht das Problem tiefer. Er lehnt Einwanderung ab. Und er sieht es als „Gefahr“ an, dass die „Hälfte Europas“ Zuwanderung als Chance begreife, um demografische Probleme des Kontinents zu lösen. Das sei eine Einladung für Migranten, in die EU zu kommen, höhnt er.

Beim EU-Sondergipfel habe er, Orbán, angeboten, zusammen mit anderen Mitgliedstaaten die Grenzsicherung in Griechenland zu übernehmen. Doch das sei abgelehnt worden. Jeder Tag zähle, denn jeden Tag kämen wieder 8000 bis 10.000 neue Migranten. „Die Frage ist nun: Sind wir bereit, die Völkerwanderung an der kroatisch-ungarischen Grenze zu stoppen?“

Orbán sieht zwei Möglichkeiten. Entweder, man gehe auf das Angebot des kroatischen Premiers ein, einen Korridor für Flüchtlinge zu errichten. Darüber könne auch Ungarn reden. Doch Faymann habe ihm gesagt, dass Österreich einen solchen Korridor ablehne. Als zweite Option bleibe dann nur noch übrig, einen Zaun an der Grenze zu Kroatien zu bauen. Doch auch das wolle Österreich nicht. „Österreich will gar nichts“, sagt Orbán. Auf Dauer sei dieser Standpunkt jedoch nicht aufrechtzuerhalten. „Früher oder später muss etwas gewollt werden.“ Denn schon bald, so Orbán, könnte sich die Flüchtlingskrise mit vollem Gewicht auf Österreich legen.

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Die Bundesregierung will freilich schon etwas: ein Quotensystem zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU – und das wiederum lehnt Ungarn ab: „Ein Quotensystem ist sicher nicht annehmbar“, sagt Orbán: „Wir wollen nicht denen helfen, die Einwanderer reinlassen und dann sagen: Das ist zu viel, die gehören verteilt.“ Ungarns Außenminister Péter Szijjártó hat zuletzt auch eine Klage nicht ausgeschlossen. Es sei aber noch keine Entscheidung gefallen, heißt es in seinem Ressort auf Anfrage der „Presse“.

Ob er Ungarn denn nun auch an der Grenze zu Slowenien abzäunen wolle? Orbán winkt ab. Dort seien bloß Bodenarbeiten im Gange, um mobile Grenzbefestigungen zu errichten, die jedoch binnen eines Tages abgebaut werden könnten. Slowenien sei Schengen-Mitglied, und deswegen werde Ungarn nichts ohne Zustimmung des Nachbarn unternehmen. Bei Kroatien liege der Fall anders.

Die Bühne gehört Orbán an diesem Tag. Eine gemeinsame Pressekonferenz mit dem Bundeskanzler, wie sonst üblich bei offiziellen Besuchen, gibt es nicht. Faymann begnügt sich nach seinem Vier-Augen-Gespräch mit einer dürren Aussendung. Darin hält er fest, dass die Schengen- und Dublin-Regeln nach wie vor aufrecht seien, aber natürlich auch die Menschenrechtskonvention. Eine zarte Mahnung in Richtung Orbán.

Der ungarische Gast hält sich da weniger zurück und plaudert vor Journalisten aus, warum er entgegen seinen Plänen in Wien nicht auch FPÖ-Chef Strache getroffen habe. Seine Gesprächspartner seitens der österreichischen Bundesregierung (also Faymann und Vizekanzler Mitterlehner) hätten ihn gebeten, davon Abstand zu nehmen. Diesem Wunsch habe er entsprochen. Um der guten Beziehungen willen.

Diese Indiskretion wird sein Verhältnis zu Faymann kaum verbessern.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2015)

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