Sozialversicherung mitten in der Gewitterzone

THEMENBILD GESUNDHEITSREFORM : MEDIKAMENTE IN ARZTPRAXIS
THEMENBILD GESUNDHEITSREFORM : MEDIKAMENTE IN ARZTPRAXIS(c) APA (HARALD SCHNEIDER)
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Der Abgang von Hauptverbandschef Peter McDonald in die Parteizentrale der ÖVP erfolgt in einer heiklen Phase. Den Krankenkassen droht ein Defizit, die Konfrontation um das Gesundheitswesen eskaliert.

Wien. Nach nicht einmal einem Jahr im Amt ist der bisherige Vorstandschefs des Sozialversicherungsimperiums, Peter McDonald, zuletzt in Richtung ÖVP-Bundesparteizentrale von Bord gegangen. Der Vorsitzende der Dachorganisationen aller Sozialversicherungsträger hinterlässt kein einfaches Erbe: Nach Jahren mit schwarzen Zahlen drohen die Krankenkassen nun wieder ins Minus zu rutschen. Mit der Ärztekammer und der Pharmawirtschaft stehen angesichts des engen Finanzspielsraums harte Auseinandersetzungen bevor.

Krankenkassenprobleme: Der Kurs unter McDonalds Vorgänger an der Spitze des Hauptverbandes, dem heutigen Finanzminister Hans Jörg Schelling, hat dank eines Kostendämpfungsprogramms und kräftiger Finanzspritzen aus dem Bundesbudget zu schwarzen Zahlen in den meisten Krankenversicherungen geführt. Schulden wurden abgebaut. Nach den aktuellen Prognosen, basierend auf den Daten der einzelnen Kassen, rechnet man für heuer mit einem Minus von 129,3 Millionen Euro (Prognose von Mitte August). 2014 hatte man noch mit einem Plus von 88 Millionen Euro abgeschlossen. Hauptverband und Krankenkassen führen das speziell auf geringere Beitragseinnahmen als Folge der mageren Konjunkturentwicklung und auf hohe Medikamentenkosten zurück.

Gesundheitsreform: Die Sozialversicherung kämpft an der Seite von Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) für die Einführung sogenannter Primärversorgungszentren, in denen Ärzte mit Pflegern, Therapeuten und anderen Gesundheitsdienstleistern zusammenarbeiten sollen – was dem Patienten längere Öffnungszeiten in den Ordinationen bescheren soll. Doch die Ärztekammer und vor allem die Allgemeinmediziner laufen dagegen Sturm, drohen mit Streik und fühlen sich von den Krankenkassen und der Politik verraten. In den nächsten Wochen soll nach verbalen Fernduellen erstmals verhandelt werden.

Außerdem setzt der Hauptverband in der zweiten Jahreshälfte 2016 ein Pilotprojekt zur telefon- und webbasierten medizinischen Erstberatung auf (die ebenfalls im Reformvertrag festgeschrieben ist). Und zwar in den Ländern Wien, Niederösterreich und Vorarlberg. Dadurch sollen Ambulanzen und Ordinationen entlastet werden.

Medikamentenkosten: Ähnlich rau ist das Klima wegen der Milliardenausgaben der Krankenversicherung für Medikamente. Die Pharmawirtschaft wehrt sich gegen Zwangsrabatte und zu starke Beschränkungen durch Hauptverband und Krankenkassen. Im Raum steht, dass Gesundheitsministerin Oberhauser die Pharmakonzerne möglicherweise mittels Gesetzes zu niedrigeren Medikamentenpreisen zwingt.

Elektronische Gesundheitsakte: ELGA, die elektronische Gesundheitsakte, treibt seit Jahren die Ärztekammer auf die Barrikaden. Nun steht die schrittweise Einführung bevor. Ende des Jahres gehen die ersten öffentlichen Spitäler in Wien und der Steiermark mit ELGA in Echtbetrieb. Danach folgen die Krankenhäuser in Niederösterreich. 2016 soll so die zusammenhängende ELGA-Region Wien-Steiermark-Niederösterreich entstehen. Nach und nach sollen alle Spitäler mit ELGA arbeiten.

Die E-Medikation, ein Teil von ELGA, wird zunächst in einer steirischen Region eingeführt und kann dann auf freiwilliger Basis von Ärzten und Apotheken verwendet werden. Verpflichtend wird ELGA samt E-Medikation im niedergelassenen Bereich allerdings erst ab Mitte 2017 sein.

Kuraufenthalte: McDonald hat heuer im Sommer die Debatte über eine Neuausrichtung von Kuren angeheizt, die mehr zu einem nachhaltig gesünderen Lebenswandel von Kurpatienten führen sollen. Nach einem Pilotprojekt in der Pensionsversicherung hängt eine breitflächigere Umsetzung in der Luft.

Pensionsversicherung: Allein in der gesetzlichen Pensionsversicherung sind jährlich mehr als zehn Milliarden Euro als Bundeszuschuss aus dem Budget notwendig. Bis 29. Februar 2016 soll Klarheit geschaffen werden, ob und welche weiteren Reformmaßnahmen gesetzt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2015)

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